In Karo- und Schanzenviertel fürchtet man bereits ein Untergangsszenario, rund um die Schlafstätte von Donald Trump am Feenteich und in der HafenCity ist man entspannt

Die drei Schuldigen sind im Karoviertel schnell gefunden. Ihre Fotos hängen als Steckbriefe im Schaufenster des Plattenladens Groove City an der Marktstraße, getoppt mit der wenig netten englischen Version von „Verzieht euch!“ Nein, zu Sympathieträgern werden Bürgermeister Olaf Scholz, Innensenator Andy Grote und Polizeidirektor Hartmut Dudde in den letzten Tagen vor dem G20-Gipfel nicht mehr. Im Gegenteil, sie werden wie Kriegstreiber geschmäht. Einen Tag nach dem umstrittenen Polizeieinsatz im Protestcamp Entenwerder haben viele Bewohner im Karo- und Schanzenviertel ihre Hoffnung auf eine deeskalierende Taktik seitens der Staatsmacht aufgegeben. Ergebnis: offene Ablehnung.

„Die Leute haben jetzt schon keinen Bock mehr“, fasst Gero, Mitarbeiter im Getränkeladen St. Pauli Perle an der Glashüttenstraße, zusammen. Das halbe Karoviertel haue ab, Familien mit Kindern noch eher als alle anderen. „Aber auch die sind genervt.“ Und inzwischen auch wütend. Siehe Entenwerder, ein Solidarisierungsimpuls habe eingesetzt. Selbst die Werber der benachbarten Agentur Jung von Matt, „eigentlich die fluffigsten Typen überhaupt“, seien schwer angefasst ob der Dinge, die da nun noch kommen mögen. Bis Mittwoch werde im Getränkeshop noch gearbeitet, danach müsse man weitersehen.

Diesen Satz hört man in der Gipfelwoche öfter in den beiden hochpolitisierten Nachbarvierteln der Messe. Denn das Gespenst der epochalen Straßenschlacht geht um. Ob sie kommt, weiß niemand. Aber mit Blick auf die linksradikalen Demonstrationen, laut Polizei mit bis zu 8000 militanten Teilnehmern, wird ein Untergangsszenario sondergleichen befürchtet. Dabei hat die Mobilisierungshysterie schon jetzt bemerkenswerte Züge angenommen.

Flugblätter in der Schanze rufen etwa Nachbarn dazu auf, sich zu solidarisieren und die Türen für Unterschlupf suchende Demonstranten zu öffnen. Ein roter Punkt an der Tür, so steht es auf anderen Flugblättern, soll Hausflure für Verletzte oder Hilfesuchende kennzeichnen, den Weg zu einem sicheren Rückzugsort oder schmerzlindernden Kühlpacks weisen. In vielen Läden hängen von der Antifa unterstützte Plakate mit der Bitte:
„Spare our Store“ – „Verschont unseren Laden“. Es scheint, als rüste man sich für einen Bürgerkrieg.

Damit hat die Erwartungshaltung an gewalttätige Auseinandersetzungen eine groteske Höhe erreicht. Rette sich, wer kann, ist die Botschaft. Überall stehen Sperrholzplatten bereit oder werden jetzt noch schnell in die Läden getragen. Beim Büromarkt Hansen auf dem Schulterblatt ebenso wie in der Schlachthofpassage, dem Bindeglied zwischen Karo- und Schanzenviertel, wo die letzten Vorbereitungen zur Verbarrikadierung der Schaufenster laufen. „Wir machen zu“, sagen die Ladenbesitzer und rücken die letzten Platten zurecht. „Zum Shoppen kommt ab Donnerstag eh keiner mehr her.“ Den politischen Protest finden sie dennoch richtig. Wie viele hier halten sie nicht die Demonstranten, sondern die mehr als 15.000 Polizisten und deren Schutzbefohlene des Gipfels für das Problem, die eigentliche Provokation.

„Wir erleben gut informierte Anwohner“, sagt Burkhard Streck, der mit einem Kommunikationsteam der Polizei an der S-Bahn-Station Sternschanze steht. Feindselige Stimmungen seien ihm bisher fremd. „Die meisten Fragen der Passanten und Anwohner beziehen sich auf die Sicherheitszone und die Hubschrauber“, sagt der erfahrene Beamte.

Sicherungsmaßnahmen am Senatsgästehaus

Die Hubschrauber seien ein notwendiges, aber nervtötendes Übel für die Sicherheit, erklärt er dann. Eine Sicherheit, die Montagmittag allein vor dem östlichen Bereich der Messe mit 52 Polizeiwagen demonstriert wird. Noch regiert in den Mannschaftswagen aus allen Bundesländern das Handy zum Zeitvertreib. Manchmal auch das Buch. Öder Sicherungsalltag. Bis Mittwoch sind Streck- und Kommunikationsteam noch als stationäres Team vor Ort. Danach, wenn der Sicherheitsgürtel enger gezogen wird, bilden sie mobile Einsatzteams. Redebedarf wird voraussichtlich an zahlreichen Stellen in der Stadt bestehen. Feindbild vieler dürfte dabei US-Präsident Donald Trump sein. Seine mutmaßliche Schlafstätte, das Gästehaus des Hamburger Senats, steht schon seit Tagen unter besonderem Polizeischutz. Sicherheitskreise gehen nach Abendblatt-Informationen davon aus, dass der US-Präsident während des G20-Gipfels hier nächtigt. Am Montagmittag patrouillieren nicht nur Polizisten vor den Absperrgittern, die das Areal an der Straße Schöne Aussicht sichern sollen. Auch eine Fahrzeugkolonne des Technischen Hilfswerks (THW) hat vor der Villa am Feenteich Halt gemacht.

Männer in blauen Anzügen hieven Metallstangen von einem Lkw-Anhänger. Direkt neben dem Fußweg an der Außenalster setzen sie diese zu einem meterhohen Gerüst zusammen. Ein zweites bauen die Einsatzkräfte auf dem Grundstück des Gästehauses auf. Was genau hier entsteht? „Sicherungsmaßnahmen“, teilt ein Polizeisprecher mit. Details nennt er nicht.

Das Aufgebot des THW zieht die Blicke der Passanten auf sich. Immer wieder stoppen Spaziergänger vor der Senatsvilla, versuchen von der Feenteichbrücke einen Blick auf das Grundstück zu erhaschen. Dass die Villa während des Gipfels den US-Präsidenten beherbergen soll, hat sich herumgesprochen. „Ich fühle mich nicht wohl, dass Trump hier wohnen wird“, sagt eine Frau, die in der Hartwicusstraße lebt, aber ihren Namen nicht nennen will. „Es ist ekelhaft, dass ausgerechnet dieser Mann, der niemanden respektiert, uns so näher rückt.“ Für die Sicherheitsmaßnahmen in ihrer Nachbarschaft zeigt sie dennoch Verständnis. „Es ist gut, dass die Polizei so präsent ist.“ Beeinträchtigt in ihrem Alltag fühle sie sich nicht. Zu unscheinbar sind die vielen Fahrzeuge mit Berliner Kennzeichen und verdunkelten Scheiben, die sich an zahlreichen Stellen in das Hamburger Stadtbild einfügen. Vor dem Hotel Le Méridien an der Alster stehen sie bereits in Kolonnen aufgereiht. Mission streng geheim.

Auf der Uhlenhorst blickt Michael Funck interessiert von der Feenteichbrücke hinüber zur Senatsvilla. „Wenn der Wind richtig steht, fliegt Trump in seinem Hubschrauber vielleicht an unserem Haus vorbei“, sagt der Anwohner vom Hofweg. Er wolle Trumps Konvoi unbedingt sehen, wenn der US-Präsident schon einmal in der Nachbarschaft sei. Die Sicherheitsvorkehrungen für den G20-Gipfel sieht er gelassen. „Wenn das Alstervergnügen oder das Hofwegfest gefeiert werden, ist auch alles tagelang abgesperrt.“

Zur Sperrzone für die Öffentlichkeit wird während des G20-Gipfels zeitweise auch die Elbphilharmonie. Hier findet am Freitagabend das Konzert für die Staatsgäste auf Einladung der Kanzlerin statt. Rund um Hamburgs neues Wahrzeichen richtet die Polizei wie auch um die Messehallen eine Sicherheitszone ein. Doch am Montag ist auf den ersten Blick alles wie immer. Touristen mit Kamera und Sonnenbrille reihen sich ein für den Plaza-Besuch. Vor dem Eingang zur Tube, die die Besucher zur Aussichtsplattform bringt, beobachten zwei Hamburger Polizisten das Treiben. Sie unterhalten sich, lachen.

Welcher Gipfel? Am Flughafen läuft der Betrieb noch ruhig

Von Anspannung zumindest hier noch keine Spur. Doch es ist nicht alles wie immer. Neben der Tiefgarage des Konzerthauses weht weiß-rotes Flatterband, ein Lkw liefert mehrere Fahnenmasten und Bodenhalterungen an. Auf der Elbe fährt ein Schlauchboot vorbei. An Bord mehrere Polizeitaucher mit Sauerstoffflaschen. Über der Elbphilharmonie kreist ein Polizeihubschrauber. Das spüren auch die Besucher. „Man sollte sich fragen, ob der Aufwand gerechtfertigt ist“, sagt Dieter Klodwig, der zwei Freunden aus Nordrhein-Westfalen gerade die Elbphilharmonie zeigt. Das Polizeiaufgebot zum Gipfel von Beamten aus ganz Deutschland und den Nachbarländern ist das Gesprächsthema. Die Polizeipräsenz habe sich in der ganzen Stadt spürbar erhöht. „Aber wir richten den Gipfel nun mal aus, dann müssen wir auch alles für die Sicherheit tun“, fügt der Hamburger Klodwig hinzu. Er hoffe, dass es ruhig bleibe. Keine Ausschreitungen. „Und dass der Gipfel Ergebnisse bringt.“

Gipfel? Welcher Gipfel? Das könnte man sich zumindest noch am Flughafen fragen. Bis auf die deutsch-österreichischen Polizeistreifen ist am Montag alles wie immer. Familien freuen sich auf die Reise in die Sonne, Geschäftsleute eilen mit ihren Rollkoffern zum Sicherheitscheck. Noch schnell weg, bevor auch hier der Ausnahmezustand einsetzt.