Für die Beamten ist es der schwierigste Einsatz ihres Lebens, für ihre Partnerinnen auch. Im Abendblatt schildern drei von ihnen, wie sie mit ihren Sorgen umgehen und wonach sie sich sehnen

Der eine hat sich daran gewöhnt, beschimpft, beleidigt oder sogar bespuckt zu werden. Erst beim Anrempeln oder Schubsen setzt er sich zur Wehr. Der andere lässt seit ein paar Tagen sein Auto lieber zu Hause stehen und fährt mit dem Rad in seine Dienststelle nach Winterhude. Seitdem Unbekannte die Kennzeichen von Privatwagen notieren, Radmuttern lockern und ein Fahrzeug angezündet haben, erscheint nicht nur ihm das besser so. Der Dritte hat sich für zwei Wochen mehr oder weniger von Frau und Kind verabschiedet. Bereitschaft praktisch rund um die Uhr ist angesagt. Der Gipfel lässt grüßen.

Die Rede ist von drei Polizeibeamten aus Hamburg unmittelbar vor G20. Zwar ergeben sich die Einsatzpläne kurzfristig, doch steht jetzt schon fest: Sollten Proteste eskalieren, kann einer wie der andere im Brennpunkt der Gewalt stehen. Auch für die Familien der Einsatzkräfte bedeutet diese Situation eine außergewöhnliche Belastung. Was empfinden Angehörige, deren Lebensgefährte in Polizeiuniform beim Gipfel mittenmang ist?

Auf Initiative des Abendblatts haben sich drei Frauen in Rathausnähe an einen Tisch gesetzt, um über dieses Problem zu sprechen. Trotz intensiver Suche war kein Mann dazu bereit, dessen Frau für die Polizei beim Gipfel in vorderster Reihe steht. In Zeiten, in denen manches aus den Fugen gerät, kann Zurückhaltung ratsam sein. Traurig, aber wahr: Militante scheuen vor Attacken aufs Privatleben nicht zurück. Drohungen gibt es zuhauf – mehr als öffentlich bekannt. Entsprechend bitten die drei Frauen darum, Nachnamen und genauen Wohnort nicht zu nennen.

„Ich habe Angst“, sagt Antonia frank und frei, „nicht um mich, sondern um meinen Mann.“ Je näher G20 rücke, desto schlimmer empfinde sie die Lage. Die Verwaltungsangestellte aus einem Vorort östlich von Hamburg ist seit drei Monaten verheiratet; die Hochzeitsreise steht im September auf dem Programm. Ihr Mann ist seit seinem 16. Lebensjahr bei der Polizei, das sind jetzt 28 Jahre. „Er übt seinen Beruf mit Herzblut und Anstand aus“, berichtet Antonia. Als Polizei-Oberkommissar ist er während des Gipfels als Gruppenführer im Einsatz – gewissermaßen an der Front.

In WhatsApp-Gruppen warnt man sich gegenseitig

„Ich habe keine Angst um meinen Mann, jedoch ein mulmiges Gefühl“, sagt Stefanie, Rechtsanwaltsfachangestellte in einer Kanzlei in der Hamburger Innenstadt. An die psychische Belastung habe sie sich gewöhnt. „Gewöhnen müssen“, ergänzt sie. Ihr Ehemann ist seit 14 Jahren im Polizeidienst, gut die Hälfte seines Lebens. Für Ehefrau und die sieben Jahre alte Tochter hat der stellvertretende Zugführer seit Tagen keine Zeit. Momentan ist er im Stadtpark postiert, möglicher Standort eines Protestcamps.

„Ich bin nicht ängstlich, weil ich nicht ängstlich sein will“, fügt Berufskollegin Steffi aus dem Norden der Hansestadt hinzu. „Ich bin nur noch wütend.“ Sorgen gehören in ihrem Leben dazu. Wie gut, dass die kleine Tochter davon noch nichts weiß. Ihren dritten Geburtstag in dieser Woche wird sie weitgehend ohne Vater feiern müssen. Dieser koordiniert in der Einsatzzentrale die Technik. Begleitung und Sicherung von Wasserwerfern bei Tumulten sind Bestandteile dieses Jobs. Vor ein paar Wochen ging es noch gemächlicher zur Sache: Am Rande des Hafengeburtstags war der Polizeihauptmeister an Bord eines Hubschraubers und eines Schiffs aktiv.

Steffis Lebensgefährte, den sie im Herbst heiraten möchte, ist einer von jenen Polizeibeamten, die derzeit lieber mit dem Fahrrad in die Polizeizentrale an der Hindenburgstraße kommen. Gemeinsam mit Kollegen beobachtete er zuvor unbekannte Personen. Sie notierten Privatautos und Zeiten, zu denen die das Gelände verließen. Sind es lediglich Einschüchterungsversuche? Oder ist es mehr? Die drei Frauen erzählen von WhatsApp-Gruppen der Polizisten. Darin warnt man sich gegenseitig, wenn wieder Radmuttern gelockert, Reifenventile aufgeschlitzt oder Nägel verstreut wurden. Drohungen im Internet machen die Runde, dass Lebensgefährten und –innen von Polizeibeamten drangsaliert und „fertiggemacht“ werden sollen.

Von ganz oben gibt es eine Dienstanweisung, derzeit besonders aufmerksam zu sein und zum Beispiel Radmuttern an Privatwagen zu kontrollieren. Zudem sei es ratsam, einmal öfter als sonst in den Rückspiegel zu blicken. „Offensichtlich gibt es für einige keine Grenzen mehr“, fürchtet Antonia. „Dabei stecken in Uniformen doch Menschen wie du und ich.“

„Wie weit geht das noch?“, fragt Stefanie. An fehlenden Respekt habe sich ihr Mann gewöhnt, an Hinterlist und Hinterhalte nicht. „Angriffe ins Privatleben sind perfide“, ergänzt Steffi. „Diese Leute kämpfen nicht mit offenem Visier“, sagt Antonia. Als ihr Mann am Rande des wegen Terrorverdachts abgesagten Fußball-Länderspiels in Hannover Dienst tat, habe sie nachts kaum schlafen können. Auch rund um den 1. Mai, wenn bisweilen Pflastersteine fliegen, mache sie sich verstärkt Sorgen. Andererseits habe ihr Mann schon manche brenzlige Situation sicher überstanden, beispielsweise bei den Castor-Transporten.

Eine wie die andere bestätigt, an Tagen wie diesen intensiver Nachrichten zu hören. Solange der Lebenspartner zwischendurch eine kurze Nachricht via Smartphone sende, wirke es beruhigend. Nicht auszudenken, wenn diese ausbleiben. „Irgendwie wartet man immer auf ein Lebenszeichen“, sagt Steffi. Die beiden anderen nicken zustimmend. Da sie in einer Berliner Anwaltskanzlei arbeitet und pendelt, und ihr zukünftiger Ehemann zweieinhalb Wochen abgemeldet ist, wurde das Kind zwischenzeitlich „bei Oma geparkt“. Bei so vielen während des Gipfels diensthabenden Polizisten sei das so.

Antonia kümmert sich mit um die Verpflegung der Beamten

Das Trio macht übereinstimmend klar, dass die Partner den Polizeialltag in diesen Gipfeltagen professionell betrachten und frei von Furcht sind. „Sie haben den Beruf bewusst gewählt und mögen ihn nach wie vor – trotz allem“, sagen die drei unisono. Besonders wichtig in turbulenten Zeiten seien Kollegialität und Zusammenhalt. Ein Bindeglied sei die Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Während der Gipfeltage organisiert die GdP einen speziellen Service. Gemeinsam mit 105 anderen Mitstreitern kümmert sich Antonia neben ihrem Hauptberuf ehrenamtlich um die Polizisten an vorderster Linie. Über eine zentrale Handynummer kann bei ausufernden Dienstzeiten Verpflegung geordert werden. Die Helfer fahren dann los und bringen koffeinhaltigen Kakao, Energiedrinks oder Kaffee. „Manchmal ist die menschliche Wärme wichtiger als ein heißes Getränk“, weiß Antonia.

Geteilter Stress ist halber Stress. Gilt dies auch für Angehörige? Es gibt eine Menge privater Kontakte unter­einander, sagen die Frauen. Es gehe allerdings nicht so weit, dass sich die Lebenspartner aktiver Bereitschaftspolizisten gezielt treffen, um über das belastende Thema zu sprechen. „Ohnehin ist es besser, gar nicht so oft an meinen Mann vor Ort zu denken“, sagt Steffi. Antonia bemüht sich um Ablenkung durch Sport oder Filme. Doch glückt die Zerstreuung erfahrungsgemäß selten: „Dann kommt die Angst um ihn zurück.“

Klar, dass neue Nachrichten über militante Demonstranten und anreisende Gewalttäter aus aller Welt nicht ignoriert werden können. Und kommt es zu Randale, verärgert die Frauen eine aus ihrer Sicht oft ungerechte Einstufung der Vorfälle. „Demonstranten dürfen schlagen, treten und beißen“, sagt eine von ihnen. „Wenn sich dann ein Polizist wehrt, machen diese Bilder die Runde.“ Mehr Verständnis wäre wünschenswert.

„Hoffentlich ist die Schlacht bald friedlich geschlagen“, sagt Stefanie. „Dann kehrt wieder Alltag ein“, hofft Steffi. „Darauf freuen wir uns“, fügt Antonia hinzu. Mit Blick auf die schönen Seiten des Lebens lassen sich die kommenden Tage besser verkraften. Denn Grund zur Vorfreude hat jede von ihnen. Sei es auf durch Überstunden verdiente freie Tage, endlich wieder ein halbwegs geregeltes Familienleben, die Hochzeitsreise, die Trauung oder ein Urlaub in Schweden. Einfach mal wieder normal zu leben, diese Sehnsucht ist groß.