Hamburg. Marc Meiritz und Patrick Klein sind Polizeiseelsorger. Mit rund 50 Kollegen begleiten sie den Gipfel

Das Gespräch war gerade zu Ende, Marc Meiritz hatte sich schon verabschiedet, da rief ihn die Polizistin noch einmal zurück. Die Beamtin hatte gerade auf einen Menschen schießen müssen und war völlig aufgelöst. Sie habe eine Bitte: „Können wir beten?!“

Beten ist Meiritz‘ Job, noch mehr als das Beten, ist es sein Job, den Hamburger Polizisten eine Art „spirituelles Innehalten“ zu ermöglichen, ihnen nach belastenden Erlebnissen als Vertrauensperson zur Seite zu stehen. Ob nach schwierigen Einsätzen im Schanzenviertel, bei Bedarf auch während der normalen Dienstzeit an jeder x-beliebigen Hamburger Wache, egal, wann und wo also – Meiritz und sein Kollege Patrick Klein sind zur Stelle, wenn Polizisten psychischen und geistlichen Beistand benötigen. Sie hören zu, geben Ratschläge. Und, wenn gewünscht, spenden sie Kraft. Kraft durch ihren Glauben.

Meiritz und Klein sind Polizeiseelsorger, im Präsidium bilden sie eine Zwei-Mann-Dienststelle – die geistliche Taskforce der Hamburger Polizei sozusagen und gelebte Ökumene im öffentlichen Dienst: Polizeidiakon Meiritz (53) ist katholisch; Klein (43) evangelischer Pastor. Ihre Dienststelle wird in den nächsten Tagen kräftig wachsen: Insgesamt werden zum G20-Gipfel nicht nur mehr als 15.000 Landes- und Bundespolizisten erwartet, sondern auch rund 50 Polizeiseelsorger, die die Einsatzhundertschaften aus ganz Deutschland in Zwölfstundenschichten beim Gipfel begleiten und unterstützen. Das sind doppelt so viele wie beim OSZE-Gipfel im Dezember. Meiritz und Klein wollen da nicht tiefstapeln. „Das wird der größte seelsorgerische Einsatz in der Geschichte Deutschlands.“

Man ruft sie nach besonders belastenden Situationen

Und wohl auch ein extrem schwieriger. Die Sicherheitsbehörden rechnen mit rund 8000 gewaltbereiten Demonstranten aus dem linksextremistischen Spek­trum, die zum Gipfel am 7. und 8. Juli in die Stadt kommen werden. Wenn es knallt, werden Meiritz und die anderen Seelsorger im „Einsatzraum“ für ihre Kollegen da sein – natürlich nicht an vorderster Front. Sie werden ihnen zuhören, sie trösten „oder danebenstehen, eine Zigarette rauchen und die Klappe halten“, sagt Meiritz, der die Arbeit der Seelsorger auch als „empathisches Kaffeetrinken“ bezeichnet. „Wichtig ist, dass die Kollegen wissen: Da ist jemand, der mich auffängt, ein Ansprechpartner.“ Für Menschen außerhalb des Polizeiapparats dürften Meiritz und Klein an den Gipfeltagen praktisch unsichtbar sein, sie sind in Zivil unterwegs. Von ihren uniformierten Kollegen werden sie wohl trotzdem erkannt – das Gespann ist einfach zu bekannt.

Zumal sie häufig gerufen werden, wenn Beamte besonders belastende Situationen überstehen müssen – etwa nach schweren Unfällen, Suiziden, Tötungsdelikten oder einem Schusswaffengebrauch. Von den persönlichen Gesprächen dringt nichts nach außen, die beiden Polizeiseelsorger unterliegen der Schweigepflicht, mitunter sogar dem Beichtgeheimnis, der höchsten Stufe der Diskretion.

Für Meiritz und Klein ist es gar nicht so einfach zu erklären, was ihr Wirken von der Arbeit der Polizeipsychologen unterscheidet. In Teilen machen sie zwar einen ähnlichen Job wie ihre Kollegen von der psychosozialen Notfallversorgung. Hinzu kommt bei den Seelsorgern aber noch eine transzendente Ebene. „Wir stehen ein für etwas, das man nicht fassen kann“, sagt Klein.

Sich die Ängste und Gedanken der Kollegen anzuhören ist das eine, Klein und Meiritz haben aber noch etwas anderes im Angebot: Hoffnung. Zuversicht. Glauben. „Ich höre oft: Jetzt bist du da, jetzt kann uns nichts mehr passieren“, sagt Klein. Dabei seien viele Polizisten gar nicht oder kaum religiös. „Gebetet wird trotzdem häufig – nur handelt es sich da nicht immer um das klassische Gebet, das mit Amen endet.“ Im Übrigen würden alle Polizisten von ihn betreut – gleich welcher religiösen Prägung.

Manchmal sei es auch einfach nur gut, präsent zu sein, sagt Meiritz. Wie nach den Krawallen am 21. Dezember 2013 im Schanzenviertel, als 120 Polizisten verletzt worden waren. Auf dem Rückzugsplatz der Hundertschaften am Heiligengeistfeld habe statt der üblichen Aufbruchsstimmung im Gefolge des harten Einsatzes gespenstische Ruhe geherrscht, sagt Meiritz. Alle seien niedergeschlagen gewesen, vom Erlebten gelähmt. Ein gestandener Beamter mit viel Einsatzerfahrung zeigte ihm seinen Helm mit dem eingeschlagenen Visier, die Splitter hätten ihm fast das Gesicht zerschnitten. Aus der bedrückenden Situation seien Gespräche erwachsen, die ihn noch heute mit dem Einsatz und den Menschen verbänden.

Meiritz ist seit 1990 bei der Hamburger Polizei, nebenbei studierte er Theologie. 2011 wurde er Seelsorger, es ist sein „Traumjob“. Sein Kollege Patrick Klein war mal Journalist, studierte ebenfalls Theologie und wechselte ins Pfarramt. Er war Gemeindepastor auf dem Land, dann in der Hauptkirche St. Jacobi, bevor er sich 2015 als Seelsorger bei der Polizei verdingte, um in Notlagen und krisenhaften Situationen „dicht bei den Menschen“ zu sein. Fünf- bis sechsmal hält er pro Jahr in der „Polizeikirche“ St. Jacobi für die Hamburger Beamten den Gottesdienst.

Der Glaube, so Klein, sei für ihn „eine Kraftquelle“. Der Glaube mag Berge versetzen, aber zur Organisation des größten Polizeieinsatzes in Hamburg taugt er wenig. Wie die Beamten der Hundertschaften werden sich deshalb alle 50 Polizeiseelsorger, die bis zum 6. Juli aus allen Teilen Deutschlands anreisen, vor dem Gipfelstart zusammensetzen, um den Einsatz zu besprechen. Davor werden sie aber gemeinsam innehalten: mit einer Andacht und einem Gebet für ihre Kollegen, die beim Gipfel den Kopf hinhalten werden.