Nach 127 Jahren verlässt der Damenmodesalon Hoffmann am Neuen Wall seine Räume. Hier waren Lilli Palmer, Shirley Bassey und Kaiserin Soraya Kundinnen. Jetzt endet eine Ära

Es gibt Geheimnisse, die sind aus Seide, Samt oder Spitzen. Sie kitten Ehen, schenken Kinder oder entflammen einen neuen Mann. Von diesen Geheimnissen kennt Rita Feldmann aus ihren 48 Berufsjahren genügend, um zu wissen, dass „Hoffmann“ am Neuen Wall, wo sie die Geschäfte führt, mehr ist, als nur ein Bekleidungsgeschäft für Damenmode. Viel mehr. Nun muss der weit über die Grenzen Hamburgs bekannte Salon am 22. Juni nach 127 Jahren seine Räumlichkeiten verlassen. Gut 300 Euro Monatsmiete pro Quadratmeter lassen sich bei Hoffmanns im Aussterben begriffenen Ladenkonzept mit acht Fachverkäuferinnen und 170 Quadratmetern Ladenfläche nicht aufbringen.

Aber Rita Feldmann macht weiter: Für zunächst fünf Jahre hat sie zwei Etagen darüber eine kleinere Fläche für einen Salon angemietet, in dem vieles fortleben soll, was Hoffmann so einzigartig und liebenswert gemacht hat. Zugleich arbeitet sie ihre langjährige Mitarbeiterin Anja Hübner (47) als Partnerin ein. Ein Großteil des Inventars, einschließlich Mahagoni-Tresen und zwei eleganten Jugendstil-Umkleidekabinen, wird allerdings verkauft. Zu Ende geht damit eine lange Tradition, die 1909 damit begann, dass Paul Hoffmann an der Stadthausbrücke eine Korsettfabrik gründete. Nach seinem frühen Tod 1945 führte seine damals 43-jährige Witwe Gertrud das Geschäft am Neuen Wall weiter, zunächst mit Miederwaren und sehr feiner, extrem teurer Luxus-Wäsche, ab Mitte der 1960er-Jahre auch mit exklusiver Kleidung.

1969 nahm sie eine gertenschlanke 19 Jahre alte Einzelhandelskauffrau in ihrem Betrieb auf, die bald darauf auch den Kundinnen die begehrten Kleider als Mannequin vorführte: Rita Feldmann, heute Geschäftsführerin und von Anfang an „Verkäuferin mit Leib und Seele“. Mit ihren 67 Jahren sieht sie blendend aus, ihre Frisur sitzt perfekt, und die grünen Augen blitzen aus einer kobaltblauen Lid-Umrandung. Ihre Entscheidung für Hoffmann hat sie „nicht einen Tag bereut“. Ihr Leben lang hat die Tochter eines Kriminalbeamten und einer Hausfrau nirgendwo anders gearbeitet als hier. Niemand ist so eng verbunden mit der sehr treuen, sehr wohlhabenden und oft auch bekannten Kundschaft, wie sie. Niemand so vertraut mit der besonderen Art der Kundenbetreuung aus den Jahrzehnten mit der modebewussten Gertrud Hoffmann. Weil es hier nur hochwertige, klassisch-elegante Ware gibt, immer nur wenige Exemplare von ein und demselben Kleid, und drei Schneiderinnen außerdem fast jeden Sonderwunsch erfüllen, kommen von jeher Schauspielerinnen, Sängerinnen und ein Großteil des alten norddeutschen Adels hierher: „Bis heute kaufen Prinzessinnen und Herzoginnen bei uns.“ Rita Feldmann nennt viele sehr berühmte Adelsgeschlechter, will die Namen aber nicht so gern in der Zeitung gedruckt sehen.

Fürstin Bismarck habe hier bereits ihre Korsetts gekauft, und ihr Gatte habe darauf bestanden, dass sie zwei Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder dort hineinpassen müsse. Wenn nicht, müsse eben stärker geschnürt werden. Die Liste der Prominenten Hoffmann-Besucher ist lang: Der Designer Christian Dior etwa war hier zu Gast. Die englische Sängerin Shirley Bassey („Goldfinger“) hat sich auf Aufforderung ihres großzügigen Gönners komplett eingekleidet, ein Foto an der Wand zeigt sie lachend in einem nachtblauen Paillettenkleid. Denn es gab eine Zeit, da hatte Hoffmann alles, vom Büstenhalter über Schuhe bis zum Zobel.

Der Volksschauspieler Heinz Rühmann kam mit seiner Frau als Stammkunde her, und wenn Lieselotte Pulver oder Lilli Palmer in Hamburg drehten, ließen sie sich jene bis in die 1980er-Jahre wahnsinnig angesagten, sündhaft teuren Seidenjersey-Kleider des italienischen Designers Emilio Pucci ins Hotel bringen. „Wir sind immer hingefahren und haben alles möglich gemacht“, erzählt Frau Feldmann.

Ein Pucci-Kleid kostete schon mal knapp 20.000 Mark, weil es vom Pariser Traditionshaus Lesage mit tausend Perlen bestickt war. Ähnlich hat es der Schah von Persien, Reza Pahlavi gehalten, „er bestellte Negligés und Nachthemden für Kaiserin Soraya, und wir brachten sie im Hotel Atlantic vorbei.“

Die Nachtgewänder aus feinster Baumwolle nebst passendem Negligé waren ein solcher Geheimtipp, dass sogar die elegante Prinzessin Caroline von Monaco sie kaufte. Genäht wurden sie aus feinster Baumwolle von venezianischen Nonnen, die dafür geklöppelte Spitze verarbeiteten. Eines kostete schon in den 1960er-Jahren ein kleines Vermögen, 900 Mark, mit Negligé bis zu 3500 Mark. Oder die verführerische Unterwäsche von Marthe Schapiro aus Brüssel! „Nur aus traumhaftem Material“, erinnert sich Rita Feldmann, „Seide, Satin, schönste Spitzen.“ Heute gibt es die Hemdchen, Bustiers und Höschen von Madame Schapiro nicht mehr. Stattdessen hängen noch einige letzte hauchfeine seidene Spitzenkleider auf den Bügeln von Hoffmann, vergünstigt, bis das Geschäft am 22. Juni schließt, seine Wäschesparte einstellt und WMF dort mit Metallwaren Einzug hält.

Mancher Mann träume für seine Frau von so schöner Wäsche, wenn er die Tür zu Hoffmann öffne, erzählt die Geschäftsführerin. Solche großzügigen Männer habe sie viele Jahre lang zuhauf bedient, besonders vor den Feiertagen: „Sie haben gleich beides gekauft: Nachthemd und Negligé. Denn sie wollten, dass ihre Frau schön aussieht. Die Ehefrauen haben es dann oft zum Umtauschen zurückgebracht, weil sie nicht mehr bügeln wollten. Und in eine Strickjacke umgetauscht. Die Geliebten dagegen haben ihre Geschenke fast immer behalten.“

Die Qualität ihrer Ware ist also nur der eine, vielleicht sogar weniger wichtige Teil des Erfolgs, der Hoffmann so lange hat bestehen lassen, und bis heute 600 Menschen zu den zweimal jährlich stattfindenden Modenschauen ins Hotel Elysée zieht. Der andere ist eine Mischung aus Professionalität, Vertrautheit und Diskretion, die, so mischt sich eine Dame ins Interview ein, „in ganz Deutschland einzigartig“ ist. „Hier“, so sagt diese Stammkundin, die gerade einen seidenen Schal für ihre Enkelin gekauft hat, „ist man nämlich auch noch menschlich zu uns Kundinnen!“

Für manche Kundinnen ist der Salon die zweite Heimat

Damit hat sie wohl den Nagel auf den Kopf getroffen: „Den Kindern unserer Kunden Geld leihen? Sich Weihnachtsgeschenke für ratlose Ehemänner ausdenken? Betrogene Ehefrauen wieder aufrichten? Man macht alles“, sagt Rita Feldmann mit fester Stimme. Selbst dann, wenn sich die Ehefrau und die Geliebte eines Mannes, die sich zum Glück nicht kennen, zur selben Zeit in unterschiedlichen Kabinen des Ladens befinden, wie sie es „öfter mal“ durchgestanden hat. Ohne sich das Geringste anmerken zu lassen, versteht sich.

Nicht selten lässt sie sich dazu hinreißen, eine ihrer einsameren Kundinnen zum Essen einzuladen, Champagner zu kredenzen oder sie stundenlang zu unterhalten. Auch deshalb, gesteht sie, will sie den Salon unbedingt weiterführen, „damit wir den Leuten weiterhin ein Zuhause geben können“. Hinzu kommt die Professionalität ihrer seit Jahrzehnten hier geschulten Verkäuferinnen, die alle wissen, dass beim ersten Nein einer Kundin das Verkaufen erst anfängt, und wie es dann weitergehen kann. „Menschen spüren, ob da jemand steht, der sie weiterbringt.“

Eine Verkäuferin müsse ehrlich sein, findet Rita Feldmann. Also auch sagen, wenn etwas gar nicht gehe. Dann rate sie womöglich zu einem Figur stabilisierenden Mieder, zu regelmäßigem Sport, oder sie sage so etwas wie: „Darf ich Ihnen zeigen, womit Sie gut aussehen?“ Ohne eine spürbare Beziehung zur jeweiligen Kundin geknüpft zu haben, könne man so ein Gespräch gar nicht führen. „Zuerst muss sich eine Frau bei uns geborgen und zu Hause fühlen.“ Diese Art von zeitintensiver Rundum-Betreuung, die sie von ihrer sehr bewunderten Chefin Gertrud Hoffmann noch gelernt hat, die mache die Arbeit doch erst so richtig spannend. Und weil die humorvolle, weltgewandte Gertrud Hoffmann eine Schwäche für bunte Vögel hatte, erinnert sie sich dann noch, kam es auch mehr als einmal vor, dass die Hollywood-Schauspielerin Jayne Mansfield vorbeischaute. Zuerst, um sich gut zu unterhalten, und später, um im Bett von Frau Hoffmann ihren Rausch auszuschlafen.