Bevor Airbus neue Flugzeuge ausliefert, werden sie detailliert geprüft. Das Abendblatt durfte exklusiv bei einem Testflug an Bord eines Riesenjets dabei sein

Das Ausparken des A380 verfolgt Kapitän Johnny Black im Cockpit gelassen. Über zwei Kameras kann er Bug- und Hauptfahrwerk sehen, die Arbeit verrichtet ein Schlepper. Langsam schiebt dieser auf dem Betriebsflughafen von Airbus auf Finkenwerder das größte Passagierflugzeug der Welt in einer Kurve nach hinten, damit es in Richtung Startbahn steht. Dann schaltet Black die vier Triebwerke an und das Hilfstriebwerk aus. Der Jet rollt los, dreht im Wendehammer und steht in Richtung Westen. In Absprache mit dem Tower in Fuhlsbüttel erfolgt die Freigabe, um 15.18 Uhr hebt der inklusive Sprit 372 Tonnen schwere Jet bei strahlendem Sonnenschein ab.

Für die Maschine ist es erst der dritte Start. Vor Kurzem verließ sie die Endmontage in Toulouse und erhielt in Hamburg ihre Kabineneinrichtung und Lackierung. Nun sitzen Kapitän Black, sein Copilot Pierre Gatty und Flugtestingenieur Steffen Doenecke im Cockpit, um die Systeme erneut zu checken. Diese Testflüge macht Airbus normalerweise ohne Öffentlichkeit. Denn viele Airlines legen bei neuen Flugzeugen hohen Wert auf Verschwiegenheit, bis die Jets regulär im Einsatz sind. Dieses Mal macht der europäische Flugzeugbauer für das Abendblatt eine Ausnahme. Der Kunde und die Seriennummer sollen aber bitte nicht genannt werden.

Rund fünf Stunden vor dem Abheben hat für Doenecke die Arbeit begonnen. Im elektronischen Logbuch des jungen Jets gibt es 353 Einträge. Das sind Defekte, aber auch kosmetische Details und Standardchecks. Der Diplom-Luft- und Raumfahrttechnikingenieur schaut, welche Mängel bei den vorherigen Flügen festgestellt wurden. Daraus erstellt er ein Flugprofil und legt fest, wie viel Sprit und Wasser (zum Testen der Geräte in der Bordküche oder Toiletten) mit an Bord genommen werden.

Der Schotte Black macht einen sogenannten Flex Take-off. Der Start erfolgt nicht mit maximaler Leistung der Triebwerke, sondern mit gedrosselter. Dadurch werden die Antriebe geschont, ihre Lebensdauer verlängert und Lärm reduziert. Die Airlines benutzen meistens dieses Startverfahren. Nach wenigen Sekunden in der Luft meldet sich der Tower in Bremen. Er hat im norddeutschen Luftraum die Kontrolle. Auch Eurocontrol in Maastricht funkt durch. Bei Langstreckenflügen – wie sie der A380 normalerweise macht – haben die Niederländer die Oberhand.

Erst in einer Höhe von 1500 Fuß (457 Meter) gibt Black mehr Schub. Die Elbe bleibt rechter Hand liegen, der A380 macht eine Linkskurve in Richtung Hannover. In einer Höhe von 10.000 Fuß spitzt Doenecke die Ohren: „In dieser Flugsituation hatten wir beim letzten Flug ein ungewöhnliches Geräusch.“ Diesmal hört er nichts. Der Mangel wurde an Bord offenbar erfolgreich behoben. Zeit zum Durchatmen. Beim Erstflug sieht das anders aus, erzählt Doenecke. Dann werde in Windeseile ein Punkt nach dem anderen abgearbeitet.

Nächstes Ziel ist die Flugfläche 310, das sind je nach Temperatur und Luftdruck am Boden rund 31.000 Fuß. „Wir testen unsere Flugzeuge immer auf gleicher Höhe, damit wir gleiche Bedingungen haben“, sagt Thomas Heidemann. Er ist einer von rund 40 Personen im Flugtestbereich in Hamburg, ist Pilot und Flugtestingenieur zugleich und steht an Bord dem Abendblatt für Fragen zur Verfügung. Der Jet fliegt rund 900 Kilometer pro Stunde schnell. „Das sind die härtesten Bedingungen für einen Türencheck“, sagt Heidemann. Und der steht jetzt an, denn beim letzten Flug gab es zu laute Geräusche an den Eingängen. Testingenieur Frank Maass ist zuständig für Boden- und Kabinentests. Er schnappt sich den Voicerecorder und eilt zu einer Tür. Einen knappen Meter von der Tür entfernt zeigt das Gerät 65 bis 68 Dezibel an. „Alles ist tipptopp“, sagt Maass. Am Boden war zuvor erfolgreich gearbeitet worden, der Punkt kann von der Mängelliste gestrichen werden.

Im Cockpit ertönt ein Warnsignal. Der Luftdruck in der Kabine sinkt. Im Reiseflug soll er vergleichbar einer Höhe von 5000 Fuß sein. Nun alarmiert das System, dass 8500 Fuß überschritten werden. Die Luft wird dünner. Ab 9600 Fuß gibt es einen permanenten Warnton. Die Piloten Black und Gatty öffnen die Klappen zu den Sauerstoffmasken – wirken aber dennoch entspannt. Bei einem Linienflug müssten sie jetzt zur Atemmaske greifen. Diese Anweisung soll einer Sauerstoffunterversorgung der Flugzeugführer vorbeugen, die in einer Ohnmacht enden kann. Der Jet würde unsteuerbar über den Wolken fliegen. Dieses Mal gibt es aber einen Unterschied: Der Druckverlust tritt nicht plötzlich auf, sondern ist geplant und wird von den Piloten kontrolliert durchgeführt – und bei 10.000 Fuß gestoppt: die Rahmenbedingungen für den nächsten Test sind geschaffen.

Christian Lorenz läuft mit einer Taschenlampe durch den eigentlich gut beleuchteten Jet. Er prüft die Qualität der Zulieferer. Immer wieder stoppt er an den Wänden und setzt die Taschenlampe schräg an. Er schaut, ob sich Blasen an den Verkleidungen bilden. Durch den geringeren Luftdruck in der Höhe wird eingeschlossene Luft sichtbar. An einer Wand im Mittelgang der Economy Klasse wird er fündig. Die Kante beult sich nach oben aus. Auch in der First Class notiert er Mängel an Türen zu den Suiten. Dort markiert er zwei Stellen mit blauem Klebeband.

„Wenn bestimmte Dekors gewechselt werden müssen, bleibt die Maschine im ungünstigsten Fall zwei Wochen am Boden stehen“, sagt Heidemann. Kein gutes Szenario. Schließlich steht drei Tage später der Abnahmeflug mit der Airline an. Der Kabinendruck wird wieder erhöht. Für die Passagiere fallen die Sauerstoffmasken übrigens erst ab einer Kabinenhöhe von 14.000 Fuß aus der Decke herab.

Bei einer Geschwindigkeit von rund 900 Kilometern pro Stunde gibt es einen weiteren Kabinencheck, bei dem die Geräusche im Mittelpunkt stehen. Zum Beispiel wird geprüft, ob aus der Klimaanlage ein Pfeifen kommt. Dieses Mal bleibt alles ruhig.

Dann probt die Crew an Bord den Ernstfall

Es geht abwärts. Der Jet verliert rund zwei Drittel an Höhe. Die nächste Prüfung steht an. „Um Steuerflächen zu bewegen, braucht man große Kräfte. Je schneller das Flugzeug wird, um so größer werden die Kräfte“, sagt Heidemann. Während man früher Steuerseile und Muskelkraft brauchte, unterstützt mittlerweile die Hydraulik die Lenkbewegung. Wenn sie ausfällt, wird das Steuern für den Piloten zum Problem – und diesen Ernstfall probt die Crew nun. Es gibt zwei Hydraulikpumpen mit eigenem Kreislauf. Beide werden ausgeschaltet. Die elektrische Back-up-Pumpe springt an – das dritte Sicherheitssystem. Selbst der Autopilot funktioniert damit. Ein System reicht, um den Jet sicher zu fliegen. Doenecke schaut rechts neben sich auf den Laptop. Der Test der Spoiler steht an. „Wir hatten hier einen Defekt, die betroffenen Teile sind gewechselt worden“, sagt Doenecke. Die Spoiler haben vor allem zwei wichtige Funktionen: Zum einen werden sie nach der Landung symmetrisch nach oben ausgefahren und dienen als Luftbremse. Zum anderen werden sie in der Luft in Kombination mit den Querrudern zur Steuerung genutzt. Der Pilot steuert sie dazu asymmetrisch an, je nachdem, welches Manöver er fliegen will. Wird der A380 mit dem elektro-hydraulischen System geflogen, bewegen sich die daran angeschlossenen Spoiler ganz normal zur Flugsteuerung. Die an die beiden regulären Kreisläufe angeschlossenen Spoiler bleiben komplett eingefahren. Das Pro­blem: Auf den Flügeln gibt es einen Unterdruck, der die Spoiler nach oben zieht. Das darf aber nicht passieren, weil so Luftwiderstand und Spritverbrauch steigen und das Flugzeug gebremst wird. Das Verhalten der Spoiler prüft die Crew nun mehrere Minuten lang.

Die Triebwerke geben wie von Geisterhand Vollgas

Kurz nach 16 Uhr werden Fahrwerk und Landeklappen voll ausgefahren. Das Tempo sinkt. „Die Piloten nehmen die Triebwerke in den Leerlauf, heben die Nase an und versuchen, die Geschwindigkeit Knoten für Knoten abzubauen“, sagt Heidemann. Die Geschwindigkeitsskala rutscht in den roten Bereich, das Mindesttempo von 115 Knoten wird unterschritten. Das Flugzeug sackt langsam durch, könnte aus der Kontrolle geraten. Das darf natürlich nicht passieren – und prompt greift das Sicherungssystem Alpha Floor Protection. Die Triebwerke geben wie von Geisterhand Vollgas und beschleunigen den Jet.

Das Testprogramm ist abgeschlossen – bis auf einen letzten Punkt: manuelle Landung. Nach einem Flug über Bremerhaven, Wilhelmshaven, Wildeshausen, Uelzen, Büchen und Trittau geht es über die Walddörfer, Ohlsdorfer Friedhof, Nedderfeld und Stellingen zurück nach Finkenwerder. Butterweich landet Copilot Gatty die Maschine nach rund einer Stunde Flugzeit auf der Elbinsel. „Hallo Boden“, sagt der Franzose und lächelt.

Für Doenecke geht die Arbeit weiter. Das Debriefing steht an. Rund ein Dutzend Airbus-Mitarbeiter aus allen wichtigen Abteilungen haben sich in einem Raum des A380-Auslieferungszentrums versammelt. Allzu viel habe er nicht, sagt Doenecke. Einem Geräusch im Cockpit soll noch einmal nachgegangen werden. Und dann wären da noch die Bremsklappen. „Ich fürchte, dass sich die drei Spoiler auch dieses Mal wieder bewegt haben.“ Die Spezialisten des Engeneerings müssen nun die Daten am Boden auswerten. Vier Punkte ergänzt er im elektronischen Logbuch. Doenecke: „Ansonsten ist alles chic!“