Wichtig ist nicht nur, was, sondern vor allem wie man etwas sagt. Behauptet Stefan Verra. Er ist Experte für Körpersprache und hat für das Hamburger Abendblatt das Auftreten von Angela Merkel, Christian Lindner und Co. analysiert

Der Mensch als solcher und sein Verhalten im Besonderen sind in den vergangenen Jahrzehnten ausführlich erforscht worden, dennoch gilt er zuweilen noch immer als rätselhaftes Wesen. Die Analyse der Körpersprache kann da helfen, manchem Geheimnis näherzukommen.

Zu einem gefragten Experten auf diesem Gebiet ist Stefan Verra geworden. Der 44-Jährige stammt aus einer österreichischen Künstler-Familie, sein Vater ist Bildhauer – was erahnen lässt, dass er eine ausgeprägte Beobachtungsgabe hat. Seit Verra Ende der 90er-Jahre angefangen hat, sich mit der Körpersprache zu beschäftigen, hat er seinen Blick für Details geschärft. Mit seiner ganzheitlichen Methodik, sich bei der Analyse der Körpersprache nicht in bruchstückhaften Einzelsignalen zu verzetteln, sondern immer den Gesamtkontext zu betrachten, hat der Buchautor („Hey, dein Körper spricht!“) inzwischen Mediziner und Wissenschaftler überzeugt. Verra gibt auch Körpersprache-Seminare, ist Gastdozent an mehreren Unis und tourt mit seiner Show „Ertappt! Körpersprache. Echt männlich! Richtig weiblich“ (siehe Kasten) durch die Schweiz, Österreich und Deutschland.

Der Großteil der Gestik ist vorgeburtlich festgelegt

Und weil 2017 hierzulande fast permanent Wahlkampfzeit ist, hat Stefan Verra für das Abendblatt typische Gesten der Spitzenpolitiker der Parteien zur Bundestagswahl am 24. September analysiert – Männer wie Frauen. Zudem noch den neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Körpersprache-Analyse allein anhand von Fotos sei un­seriös, schränkt Verra ein. Weil wir deren typisches Verhalten in Gestik und Mimik jedoch auch von bewegten Bildern her kennen, lassen sich bei Politikern durchaus Tendenzen erkennen. Fakt ist: Der Großteil ist vorgeburtlich festgelegt. „Aus Angela Merkel wird man niemals eine Rampensau machen“, hat Verra schon vor Jahren bei der CDU-Vorsitzenden erkannt. Die bekannteste Geste – von Kabarettisten und Parodistinnen regelmäßig imitiert – ist die sogenannte Raute der Kanzlerin, die indes zu ihrer zurückhaltenden Art passe, so Verra. Bei SPD-Herausforderer Martin Schulz hingegen bestehe durchaus noch Nachholbedarf, um die Gestik mit der angriffsfreudigen Rhetorik in Einklang zu bringen.

Und wäre allein die Körpersprache ausschlaggebend, dann könnte die zuletzt außerparlamentarische FDP laut Verras Einschätzung Ende September dank ihres Vorsitzenden Christian Lindner sicher mit einem Comeback auf der Berliner Bühne rechnen. Lindner, vom 2003 gestorbenen FDP-Hardliner Jürgen W. Möllemann einst als „Bambi“ verspottet, ist mit 38 Jahren nicht nur der Benjamin unter den Spitzenkandidaten. Vom Auftreten her ist Lindner bereits der Platzhirsch, gewissermaßen der Mann für alle Fälle. Die Grünen hingegen, zurzeit an elf Landesregierungen beteiligt, müssen um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen – auch weil ihr Spitzenduo Katrin Göring-Eckhardt und Cem Özdemir meist so wirkt, als stünde es mit leeren Händen da, als habe es nichts anzubieten, meint Verra, der Experte für nonverbale Codes.

Überhaupt müsse man sich von dem Gedanken befreien, dass wir die Körpersprache kontrollieren können. „Das ist aber nicht schlimm, denn die Menschen haben dann die größte Glaubwürdigkeit, wenn sie ihrem Temperament treu bleiben“, lautet Verras Erkenntnis.