Wissenschaftler schießen ersten Laserstrahl durch Beschleunigeranlage European XFEL. Sie ist die größte Anlage ihrer Art in der Welt

Um 10.30 Uhr knallten die Sektkorken im Desy-Kontrollraum. Wissenschaftler, Techniker und Direktoren feierten am Donnerstag gemeinsam einen Durchbruch: das „First Lasing“. Was so nüchtern klingt, bezeichnet einen Meilenstein für den European XFEL, das Großforschungsprojekt an der Landesgrenze zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Nach jahrzehntelanger Planung und achtjähriger Bauzeit ist es vollbracht. Mit der 3,4 Kilometer langen Tunnelanlage, die sich vom Desy-Areal in Bahrenfeld bis nach Schenefeld erstreckt, wurde das erste Röntgenlicht erzeugt. In der Nacht zu Mittwoch gelang es den Wissenschaftlern zum ersten Mal. Am Donnerstag wollten sie es live vor Kamera-Teams und Medienvertretern wiederholen. Doch die komplizierte Technik spielte nicht mit. Gefeiert wurde trotzdem.

Immerhin markiert das den Beginn eines neuen Forschungszeitalters, wenn die Experten denn Recht behalten. Sie versprechen sich Bahnbrechendes von dem Röntgenlaser, dessen Leuchtkraft milliardenfach stärker sein soll als die bislang besten Röntgenstrahlungsquellen der Welt. „Mit dem ersten Laserlicht, das heute mit dem modernsten und leistungsstärksten Linearbeschleuniger der Welt erzeugt wurde, beginnt in Europa eine neue Ära der Forschung“, sagt beispielsweise Desy-Chef Helmut Dosch.

Mit dem XFEL – das steht für X-Ray Free-Electron Laser – sollen zum Beispiel Erkenntnisse über die Verhältnisse im Inneren von Planeten gewonnen werden. Internationale Forschungsteams werden versuchen, ultraschnelle Vorgänge, etwa die Bildung von Molekülen, zu filmen oder winzige Strukturen zu entschlüsseln. Dank dieser Erkenntnisse könnten neue Medikamente und Werkstoffe entstehen, von denen zukünftige Generationen profitieren würden.

Die Betriebskosten liegen bei 118 Millionen Euro – jedes Jahr

Im Herbst soll der Regelbetrieb der Großforschungsanlage beginnen. In der unterirdischen Experimentierhalle in Schenefeld werden Forscherteams ihre Arbeit aufnehmen. Sie werden den Beweis antreten müssen, dass sich das investierte Steuergeld lohnt. Allein von den Baukosten in Höhe von 1,22 Milliarden Euro trägt Deutschland 58 Prozent, der Rest wird von zehn Partnerländern wie Russland, Frankreich oder Dänemark finanziert.

„Die Betriebskosten der Forschungsanlage liegen bei 118 Millionen Euro pro Jahr. Jede Sekunde Strahlzeit ist also kostbar. Wir müssen garantieren, dass mit dem Laser exzellente Wissenschaft gemacht wird“, sagt Robert Feidenhans’l. Er ist derjenige, der in den kommenden Jahren für den reibungslosen Ablauf der Anlage verantwortlich zeichnet. Anfang Januar übernahm er den Posten als neuer Chef der Betreibergesellschaft. Damit ist er Herr über die rund 300 Mitarbeiter der European XFEL GmbH. Bevor der Tunnel für Besucher gesperrt wurde und der erste ul­traschnelle Röntgenstrahl sich seinen Weg bahnte, nahm sich Feidenhans’l Zeit für einen unterirdischen Rundgang.

Helm, festes Schuhwerk, Sicherheitskarte und Atemgerät für den Notfall: Ohne das kommt keiner in den Tunnel. Mit der schweren und unhandlichen Ausrüstung geht es in einem erstaunlichen Tempo abwärts. Im Vergleich zu den Elektronen, die mit fast 300.000 Kilometern pro Sekunde durch den Tunnel schießen, wirkt der Fahrstuhl entschleunigend. Er bringt Wissenschaftler und Besucher in die tiefer liegende Experimentierhalle. „Die ist für die Instrumente fast zu klein“, stellt Feidenhans’l fest.

Das aufwendige Planfeststellungsverfahren für den Bau der Forschungsanlage liegt Jahrzehnte zurück. In der Zwischenzeit haben sich Anforderungen geändert und Projekte weiterentwickelt. Partner wie das Heidelberger Labor EMBL und die Helmholtz-Gemeinschaft dockten sich zusätzlich an. Auch in dem gerade fertiggestellten Schenefelder Bürokomplex ist Fläche bereits Mangel­ware. Auf den Fluren wurden weitere Arbeitsplätze eingerichtet. Für einen weiteren Bürokomplex ist auf dem riesigen eingezäunten Forschungsareal, das an die Osdorfer Feldmark und an ein Schenefelder Gewerbegebiet angrenzt, Platz. Unterirdisch werden die Forscher aber zusammenrücken müssen.

Zehn Instrumente sollen an fünf Tunnelausgängen aufgebaut werden. Auch aus Kostengründen beginnt der Regelbetrieb von September an mit zwei Instrumenten. Weitere werden in den kommenden Jahren folgen. Welches Forscherteam als erstes mit dem größten Röntgenlaser der Welt arbeiten darf, entscheidet eine Jury. Im Januar rief European XFEL erstmals Wissenschaftler dazu auf, Vorschläge für Experimente einzureichen. „63 Bewerbungen sind eingegangen und die, die ich gesehen habe, waren sehr gut“, erklärt der promovierte Oberflächenphysiker Feidenhans’l. Die Bewerber kommen aus Deutschland, Russland, Korea, Japan, der Slowakei und den skandinavischen Ländern. Ein Komitee wird nun die besten zehn Vorschläge auswählen. Ende Juni steht fest, wer als Erstes forschen darf.

Die Spiegel müssen 27.000 Blitze pro Sekunde aushalten

Von der Experimentierhalle geht es durch eine Sicherheitsschranke und ein Betonlabyrinth, das vor Strahlung schützen soll. Dann steht man in einem der fünf Tunnelabzweigungen. Nach einigen Hundert Metern führen sie zusammen auf den Beschleunigertunnel. Der erste Eindruck ist ernüchternd. Grauer Beton getaucht in Neonlicht? Innovative Forschung stellt man sich anders vor. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich Einzigartiges. Wie die Spiegel.

Mit ihrer Hilfe lenken die Wissenschaftler das Licht in die jeweiligen Bahnen. Für den Super-Laser brauchte es Super-Spiegel. Sie müssen nicht nur sehr widerstandsfähig sein, immerhin prallen bis zu 27.000 Röntgenblitze pro Sekunde auf sie ein, sondern auch extrem glatt. Bereits ein Staubkorn könnte den Strahl ablenken. Die Unebenheiten der Einzelstücke haben eine Dimension von gerade einmal einem Nanometer, einem milliardstel Meter. Zum Vergleich: Diese Präzision entspräche einer 40 Kilometer langen Straße, deren maximale Unebenheit gerade einmal so groß ist wie der Durchmesser eines Haares. Damit auf den Spiegeln nicht doch ein Staubkorn landet, stehen sie in Vakuumkammern.

„Es sind oft die Kleinigkeiten, an denen Aufbau und Betrieb einer solchen Forschungsanlage hängen“, wie Feidenhans’l weiß. „Sie bestimmen dann auch den Zeitplan“, sagt der 59-Jährige mit Blick auf einen Handwerker, der an zahlreichen Strippen zieht. Allein die Verkabelung des Tunnels hat enorm viel Zeit gefressen. Kilometer um Kilometer mussten Signal-, Strom-, Steuerungs-, Netzwerk- und Antennenkabel verlegt werden. Dafür ist das WLAN- und Handynetz im Tunnel deutlich besser als mancherorts oberirdisch. Für den Notfall gibt es analoge Telefone, die an den Tunnelwänden angebracht sind.

Die Kabelage lässt erahnen, was für eine Logistik hinter dem Laserbetrieb steckt. „Wir müssen den internationalen Forschungsteams optimale Bedingungen bieten“, erklärt Feidenhans’l, der an der dänischen Aarhus University promovierte. Die Datenverarbeitung sei dabei ein großes Thema. Heute könnten riesige Datenmengen erfasst und gespeichert werden. „Wichtig ist, dass wir sie schnell und in nutzbarer Form an die Wissenschaftler weitergeben. Es kann nicht sein, dass es – wie heute oft üblich – bis zu zwei Jahre lang dauert, bevor aus den Experimenten Ergebnisse folgen.“

Bevor es losgehen darf, fehlt noch eines: die TÜV-Plakette

Zu den optimalen Bedingungen gehören auch die Unterbringung vor Ort und die Essensversorgung. Feidenhans’l weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Stress es verursacht, wenn man während der stundenlangen Experimente sich um Essen bemühen muss, weil die Kantine zu hat. „Das muss funktionieren“, sagt der XFEL-Chef. Deshalb entstehen auf dem Schenefelder Forschungscampus derzeit ein Gästehaus und eine Kantine.

Was zudem noch fehlt, ist das Besucherzentrum – Sparmaßnahmen. Doch es gibt Hoffnung: Mit Hamburg und Schleswig-Holstein laufen Verhandlungen über die Finanzierung des sechs Millionen Euro teuren Gebäudes. Es soll auf dem Schenefelder Areal an der Holzkoppel entstehen.

Bevor die Forscherträume Wirklichkeit werden und es mit dem neuen Zeitalter richtig losgehen kann, muss auch eine Anlage der Superlative eine fast profan wirkende Hürde nehmen. XFEL muss die TÜV-Prüfung bestehen. Anfang Juni werden die getroffenen Strahlenschutzmaßnahmen von Experten unter die Lupe genommen. Aber dass das Milliardenprojekt keine Plakette bekommt, kann man sich dann irgendwie doch nicht vorstellen ...