Heute vor 150 Jahren lieferte der Philosoph das Manuskript des „Kapitals“ bei seinem Verleger in Hamburg ab. Anschließend ging man auf Kneipentour

Matthias Gretzschel

Der zwölfte April 1867 ist ein kalter und stürmischer Tag. Die Menschen, die durch Hamburgs Straßen gehen, frösteln und fliehen immer wieder vor Schnee- und Hagelschauern in Kontore, Passagen, Läden und Cafés. Schon fünf Uhr morgens hat die aus London kommende „John Bull“ Cuxhaven passiert, nun steuert Kapitän G.S. Marshall den Segelraddampfer elbaufwärts der Stadt entgegen. Als er gegen 12 Uhr den Landungsplatz für Dampfschiffe erreicht, liegt hinter den Passagieren eine 51-stündige strapaziöse Reise, während der die meisten von ihnen seekrank geworden sind. Der Mann mit der Mähne und dem dichten Vollbart, der das Schiff verlässt, ist dagegen guter Laune. Während die allermeisten Passagiere während der Reise unter schwere Übelkeit litten, hat er mit dem Kapitän, einem in London ansässigen Uhrmacher und einem deutsch-amerikanischen Viehhändler „im kleinen Kreis gekneipt“, womit der exzessive Genuss alkoholischer Getränke umschrieben ist. Das „höchst tolle Wetter“, wird der Bärtige später unter Verwendung eines „Faust“-Zitats schreiben, sei ihm so angenehm gewesen, dass er sich „so kannibalisch wohl wie 500 Säue“ gefühlt habe.

Der vollbärtige Mann mit der langen Mähne, der heute vor genau 150 Jahren in Hamburg eintrifft, heißt Karl Marx und im Gepäck hat er ein Manuskript, das er persönlich bei seinem Verleger vorbeibringen will. Der Titel des Buchprojekts heißt „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“.

Mit gemischten Gefühlen läuft Marx nun Richtung Binnenalster, um im Haus des Verlegers Otto Meißner vorzusprechen, denn laut Vertrag soll er eigentlich jetzt das komplette Manuskript abgeben, doch hat er bisher nur den Text des ersten Bandes geschafft. Doch als er an der Bergstraße 26 die Glocke schellt, erfährt er, dass der Verleger außer Haus sei. Also geht er erst einmal zu seinem Hotel, das er nach weniger als fünf Minuten am Adolphsplatz erreicht. Es ist das ziemlich noble „Zingg’s Hotel“, das gegenüber der Börse steht und unmittelbar nach dem Großen Brand von dem schweizerischen Architekten Auguste de Meuron erbaut wurde. Von ihm stammte übrignes auch der erste Bau des Thalia Theaters. Eigentlich erstaunlich, dass Marx so komfortabel logiert, denn seine finanziellen Verhältnisse sind wiedermal ziemlich prekär. Unmittelbar vor Beginn seiner Hamburg-Reise hat ihm sein vermögender Freund Friedrich Engels Geld zukommen lassen. Die 35 Pfund Reisegeld gestatten es Marx, „Kleidungsstücke und Uhr, die im Pfandhaus wohnen“ wieder auszulösen. Angesichts der Gläubiger, die seine Frau Jenny in London fast täglich bedrängen, hat er auch ein schlechtes Gewissen, die Familie zu verlassen. Aber die Reise muss sein, denn das Kapital, dessen ersten Band er teilweise während einer schmerzhaften Hauterkrankungen verfasst hat, ist sein theoretisches Hauptwerk, von dessen Bedeutung er überzeugt ist. An einen finanziellen Erfolg glaubt er allerdings nicht, es werde ihm, schreibt er später, nicht einmal so viel einbringen, wie die Zigarren kosteten, die er während des Schreibens geraucht habe.

Inzwischen hat Otto Meißner im Verlag erfahren, dass sein Londoner Autor eingetroffen ist und in Zingg's Hotel auf ihn wartet. Dort treffen die beiden gegen 19 Uhr schließlich zusammen, und Marx’ Befürchtungen, der unvollständigen Lieferung wegen Vorhaltungen hören zu müssen, sind schnell zerstreut. Der Verleger und sein Autor können gut miteinander, so gut, dass sie miteinander „kneipen“, wie Marx das feuchtfröhliche Beisammensein nennt. „Netter Kerl, obgleich etwas sächselnd, wie seine Name andeutelt“, schreibt Marx. Dabei stammt Meißner aus Quedlinburg im Harz, also nicht aus direkt Sachsen, aber derart feine sprachliche Nuancen interessieren Marx offenbar nicht. Jedenfalls ist der Verleger bereit, anders als ursprünglich geplant, den ersten Band des kapitalen Werks herauszubringen, auch wenn der Rest noch nicht vorliegt. In den vier Tagen, die Karl Marx in Hamburg verbringt, werden noch eine ganze Reihe Details besprochen. Zum Beispiel, dass das Buch nicht in Hamburg, sondern in Leipzig gedruckt werden soll, weil Meißner an der Gelehrsamkeit der hiesigen Korrektoren zweifelt. Das ist offenbar keine schlechte Entscheidung, denn als Marx am 5. Mai, seinem 49. Geburtstag, die Korrekturbögen zur Durchsicht bekommt, ist er von der Leistung der renommierten Leipziger Druckerei Otto Wigand recht angetan. Die Druckfehler seien „relativ unbedeutend“.

Am 16. April verlässt Marx per Zug Hamburg wieder, um die nächsten Wochen in Hannover zu verbringen. Der Mediziner (und Sozialdemokrat) Louis Kugelmann hat ihn zu sich eingeladen. Gesehen haben die beiden sich noch nie, aber brieflich verkehren sie schon seit Jahren miteinander. Und der Besuch wird so angenehm, dass Marx ihn rückblickend „zu den schönsten und freudigsten Oasen in der Lebenswüste“ bezeichnen wird. Am 16. Mai trifft Marx dann erneut in Hamburg ein, wo er sich noch einmal mit Otto Meißner trifft. Am Abend, so ist eigentlich vorgesehen, will man in die Oper gehen, denn dort steht gerade ein kulturelles Großereignis an. Albert Niemann, ein führender Wagner-Interpret und ein Superstar jener Zeit, hat sich angesagt, doch Karl Marx verzichtet auf die „Tannhäuser“-Aufführung mit der etwas arroganten Begründung, er fühle sich von Hannover zu verwöhnt, „um einer Theatervorstellung in minder guter Qualität beiwohnen zu wollen“. Von Kennerschaft zeugt das jedenfalls nicht, denn Wagner selbst hält große Stücke auf Niemann, der in seiner verwegenen Haar- und Barttracht Marx übrigens recht ähnlich sieht, und später an der Metropolitan Opera in New York Triumphe feierte. Statt dessen kommt es ausgerechnet in Hamburg zu einer höchst merkwürdigen Begegnung. „Trotz aller Vorsichtsmaßregeln“, wie Marx später an Kugelmann schreibt, trifft er sich zu einem Gespräch mit dem Journalisten Wilhelm Maar, jenem berüchtigten Ideologen, der den Begriff Antisemitismus prägte und 1879 die üble Kampfschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet“ veröffentlichte. Er sei ein „ins Christliche übersetze Lassalle, natürlich viel weniger wert“, schreibt Marx über Maar, der schon 1880 Juden mit Ratten assoziierte und zu den den Vordenkern der Nazi-Ideologie gehört hatte.

Am 17. Mai 1867 trifft Karl Marx die Rückreise nach London an, wieder bei rauem Wetter und bewegter See. Mit an Bord ist ein preußisches Fräulein, das sich in der britischen Metropole als ziemlich hilfsbedürftig erweist. Karl Marx gibt sich ganz ritterlich und hilft ihr in London, dass sie samt Gepäck den richtigen Bahnhof für die Weiterreise findet. Dass es sich bei dieser offenbar recht ansehnlichen Elisabeth von Puttkammer um die Nichte von Otto von Bismarck handelt, nimmt Marx eher belustigt zur Kenntnis. Umgekehrt ist sie nicht wenig erstaunt, als sie erfährt, dass es sich bei dem charmanten Bärtigen um den berüchtigten Verfasser des „Kommunistischen Manifests“ handelt. Sie sei zwar „in rote Hände gefallen“, meint Marx, der hinzufügt: „Ich tröstete sie jedoch, dass unser Rendezvous ohne Blutverlust abgehen werde, und sah sie gesund und munter nach ihrem Bestimmungsplatz abfahren.“

Als der erste Band des „Kapitals“ am 14. September 1867 im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels als Neuerscheinung annonciert wird, dürften wohl weder der Hamburger Verleger Otto Meißner noch Karl Marx selbst geahnt haben, dass dieses Buch (mit den beiden folgenden, nach dem Tod des Verfassers erschienenen Bänden) zu den wichtigsten und bis heute weltweit einflussreichsten Schriften zur Ökonomie und politischen Philosophie zählen würde. Im selben Jahr hatte Meißner übrigens auch deutlich weniger gewichtige Titel im Programm, etwa „Die Käfer von Hamburg und Umgebung“ eines gewissen C.H. Preller.

Warum wählte Marx also ausgerechnet den in Hamburg ansässigen Verlag, um sein Opus Magnum herauszubringen? Das habe gewiss auch mit Zufällen zu tun, sagt Mario Bäumer, der gegenwärtig eine Ausstellung zum „Kapital“ vorbereitet. „Einerseits hatte Friedrich Engels bei Meißner bereits seine Schrift über die preußische Militärfrage veröffentlicht und dabei offenbar ganz gute Erfahrungen gemacht. Andererseits war Hamburg nicht von der preußischen Zensur betroffen.“

Und was ist mit den Schauplätzen des denkwürdigen Marx-Besuches, dessen Verlauf der Autor Michael Sommer auf der Grundlage von Briefen und anderen Quellen geradezu minuziös rekonstruiert hat, nach 150 Jahren noch zu sehen? Der „Landungsplatz für Dampfschiffe“, an dem Marx von Bord ging, befand sich ungefähr dort, wo ab 1907 die Pontons der St.-Pauli-Landungsbrücken errichtet wurden. Das Haus Bergstraße 26, in dem der Verlag Otto Meißner 1867 seinen Sitz hatte, wurde beim alliierten Bombenangriff im Juli 1943 zerstört und später komplett abgerissen. Heute erstreckt sich hier die Europa-Passage. Und auch Zingg’s Hotel ging im Feuersturm unter. Auf dem Grundstück gegenüber der Handelskammer errichtete der Architekt Georg Wellhausen 1953 ein Bürogebäude, das – wie passend für das Areal der einstigen Herberge des „Kapital“-Autors – heute die Deutsche Bank residiert.

Der 12. April 1867 ist ein kalter und stürmischer Tag. Die Menschen, die durch Hamburgs Straßen gehen, frösteln und fliehen immer wieder vor Schnee- und Hagelschauern in Kontore, Passagen, Läden und Cafés. Schon fünf Uhr morgens hat die aus London kommende „John Bull“ Cuxhaven passiert, nun steuert Kapitän G. S. Marshall den Segelraddampfer elbaufwärts der Stadt entgegen. Als er gegen zwölf den Landungsplatz für Dampfschiffe erreicht, liegt hinter den Passagieren eine 51-stündige strapaziöse Reise, während der die meisten von ihnen seekrank geworden sind. Der Mann mit der Mähne und dem dichten Vollbart, der das Schiff verlässt, ist dagegen guter Laune. Während die allermeisten Passagiere während der Reise unter schwerer Übelkeit litten, hat er mit dem Kapitän, einem in London ansässigen Uhrmacher und einem deutschamerikanischen Viehhändler „im kleinen Kreis gekneipt“, womit der exzessive Genuss alkoholischer Getränke umschrieben ist. Das „höchst tolle Wetter“, wird der Bärtige später unter Verwendung eines „Faust“-Zitats schreiben, sei ihm so angenehm gewesen, dass er sich „so kannibalisch wohl wie 500 Säue“ gefühlt habe.

Der Mann mit der langen Mähne, der heute vor genau 150 Jahren in Hamburg eintrifft, heißt Karl Marx, und im Gepäck hat er ein Manuskript, das er persönlich bei seinem Verleger vorbeibringen will. Der Titel des Buchprojekts heißt „Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie“.

Mit gemischten Gefühlen läuft Marx nun Richtung Binnenalster, um im Haus des Verlegers Otto Meissner vorzusprechen, denn laut Vertrag soll er eigentlich jetzt das komplette Manuskript abgeben, doch hat er bisher nur den Text des ersten Bands geschafft. Aber als er an der Bergstraße 26 die Glocke schellt, erfährt er, dass der Verleger außer Haus sei. Also geht er erst einmal zu seinem Hotel, das er nach weniger als fünf Minuten am Adolphsplatz erreicht. Es ist das ziemlich noble Zingg’s Hotel, das gegenüber der Börse steht und unmittelbar nach dem Großen Brand von dem schweizerischen Architekten Auguste de Meuron erbaut wurde. Von ihm stammte übrigens auch der erste Bau des Thalia Theaters. Eigentlich erstaunlich, dass Marx so komfortabel logiert, denn seine finanziellen Verhältnisse sind wieder mal ziemlich prekär. Unmittelbar vor Beginn seiner Hamburg-Reise hat ihm sein vermögender Freund Friedrich Engels Geld zukommen lassen. Die 35 Pfund Reisegeld gestatten es Marx, „Kleidungsstücke und Uhr, die im Pfandhaus wohnen“, wieder auszulösen. Angesichts der Gläubiger, die seine Frau Jenny in London fast täglich bedrängen, hat er auch ein schlechtes Gewissen, die Familie zu verlassen. Aber die Reise muss sein, denn das Kapital, dessen ersten Band er teilweise während einer schmerzhaften Hauterkrankung verfasst hat, ist sein theoretisches Hauptwerk, von dessen Bedeutung er überzeugt ist. An einen finanziellen Erfolg glaubt er allerdings nicht, es werde ihm, schreibt er später, nicht einmal so viel einbringen, wie die Zigarren kosteten, die er während des Schreibens geraucht habe.

Inzwischen hat Otto Meissner im Verlag erfahren, dass sein Londoner Autor eingetroffen ist und in Zingg’s Hotel auf ihn wartet. Dort treffen die beiden gegen 19 Uhr schließlich zusammen, und Marx’ Befürchtungen, der unvollständigen Lieferung wegen Vorhaltungen hören zu müssen, sind schnell zerstreut. Der Verleger und sein Autor können gut miteinander, so gut, dass sie miteinander „kneipen“, wie Marx das feuchtfröhliche Beisammensein nennt. „Netter Kerl, obgleich etwas sächselnd, wie sein Name andeutelt“, schreibt Marx. Dabei stammt Meissner aus Quedlinburg im Harz, also nicht direkt aus Sachsen, aber derart feine sprachliche Nuancen interessieren Marx offenbar nicht.

Jedenfalls ist der Verleger bereit, anders als ursprünglich geplant, den ersten Band des kapitalen Werks herauszubringen, auch wenn der Rest noch nicht vorliegt. In den vier Tagen, die Karl Marx in Hamburg verbringt, werden noch eine ganze Reihe Details besprochen. Zum Beispiel, dass das Buch nicht in Hamburg, sondern in Leipzig gedruckt werden soll, weil Meissner an der Gelehrsamkeit der hiesigen Korrektoren zweifelt. Das ist offenbar keine schlechte Entscheidung, denn als Marx am 5. Mai, seinem 49. Geburtstag, die Korrektur­bögen zur Durchsicht bekommt, ist er von der Leistung der renommierten Leipziger Druckerei Otto Wigand recht angetan. Die Druckfehler seien „relativ unbedeutend“.

Die Hamburger Oper hielt Karl Marx für minderwertig

Am 16. April verlässt Marx per Zug Hamburg wieder, um die nächsten Wochen in Hannover zu verbringen. Der Mediziner (und Sozialdemokrat) Louis Kugelmann hat ihn zu sich eingeladen. Gesehen haben sich die beiden noch nie, aber brieflich verkehren sie schon seit Jahren miteinander. Und der Besuch wird so angenehm, dass Marx ihn rückblickend „zu den schönsten und freudigsten Oasen in der Lebenswüste“ bezeichnen wird. Am 16. Mai reist Marx dann erneut nach Hamburg, wo er sich noch einmal mit Otto Meissner trifft. Am Abend, so ist eigentlich vorgesehen, will man in die Oper gehen, denn dort steht gerade ein kulturelles Großereignis an. Albert Niemann, ein führender Wagner-Interpret und ein Superstar jener Zeit, hat sich angesagt, doch Karl Marx verzichtet auf die „Tannhäuser“-Aufführung mit der etwas arroganten Begründung, er fühle sich von Hannover zu verwöhnt, „um einer Theatervorstellung in minder guter Qualität beiwohnen zu wollen“.

Von Kennerschaft zeugt das jedenfalls nicht, denn Wagner selbst hält große Stücke auf Niemann, der in seiner verwegenen Haar- und Barttracht Marx übrigens recht ähnlich sieht und später an der Metropolitan Opera in New York Triumphe feierte. Stattdessen kommt es ausgerechnet in Hamburg zu einer höchst merkwürdigen Begegnung. „Trotz aller Vorsichtsmaßregeln“, wie Marx später an Kugelmann schreibt, trifft er sich zu einem Gespräch mit dem Journalisten Wilhelm Maar, jenem berüchtigten Ideologen, der den Begriff Antisemitismus prägte und 1879 die üble Kampfschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet“ veröffentlichte. Er sei ein „ins Christliche übersetze Lassalle, natürlich viel weniger wert“, schreibt Marx über Maar, der schon 1880 Juden mit Ratten assoziierte und zu den Vordenkern der Nazi-Ideologie gehört hatte. Am 17. Mai 1867 tritt Karl Marx die Rückreise nach London an, wieder bei rauem Wetter und bewegter See. Mit an Bord ist ein preußisches Fräulein, das sich in der britischen Metropole als ziemlich hilfsbedürftig erweist. Karl Marx gibt sich ganz ritterlich und hilft ihr in London, den richtigen Bahnhof für die Weiterreise zu finden. Dass es sich bei dieser offenbar recht ansehnlichen Elisabeth von Puttkamer um die Nichte von Otto von Bismarck handelt, nimmt Marx eher belustigt zur Kenntnis. Umgekehrt ist sie nicht wenig erstaunt, als sie erfährt, dass es sich bei dem charmanten Bärtigen um den berüchtigten Verfasser des „Kommunistischen Manifests“ handelt. Sie sei zwar „in rote Hände gefallen“, meint Marx, der hinzufügt: „Ich tröstete sie jedoch, dass unser Rendezvous ohne Blutverlust abgehen werde, und sah sie gesund und munter nach ihrem Bestimmungsplatz abfahren.“

Als der erste Band des „Kapitals“ am 14. September 1867 im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels als Neuerscheinung annonciert wird, dürften wohl weder der Hamburger Verleger Otto Meissner noch Karl Marx selbst geahnt haben, dass dieses Buch (mit den beiden folgenden, nach dem Tod des Verfassers erschienenen Bänden) zu den wichtigsten und bis heute weltweit einflussreichsten Schriften zur Ökonomie und politischen Philosophie zählen würde. Im selben Jahr hatte Meissner übrigens auch deutlich weniger gewichtige Titel im Programm, etwa „Die Käfer von Hamburg und Umgebung“ eines gewissen C.H. Preller.

Wo Marx in Hamburg schlief, residiert die Deutsche Bank

Warum wählte Marx also ausgerechnet den in Hamburg ansässigen Verlag, um sein magnum opus herauszubringen? Das habe gewiss auch mit Zufällen zu tun, sagt Mario Bäumer, der gegenwärtig eine Ausstellung zum „Kapital“ vorbereitet. „Einerseits hatte Friedrich Engels bei Meissner bereits seine Schrift über die preußische Militärfrage veröffentlicht und dabei offenbar ganz gute Erfahrungen gemacht. Andererseits war Hamburg nicht von der preußischen Zensur betroffen.“

Und was ist mit den Schauplätzen des Marx-Besuches, dessen Verlauf der Autor Michael Sommer auf der Grund­lage von Briefen und anderen Quellen geradezu minuziös rekonstruiert hat, nach 150 Jahren noch zu sehen? Der „Landungsplatz für Dampfschiffe“, an dem Marx von Bord ging, befand sich ungefähr dort, wo ab 1907 die Pontons der St. Pauli-Landungsbrücken errichtet wurden. Das Haus Bergstraße 26, in dem der Verlag Otto Meissner 1867 seinen Sitz hatte, wurde beim alliierten Bombenangriff im Juli 1943 zerstört und später komplett abgerissen. Heute befindet sich hier direkt neben der Europa Passage eine Filiale von Balzac Coffee.

Auch Zingg’s Hotel ging im Feuersturm unter. Auf dem Grundstück gegenüber der Handelskammer errichtete der Architekt Georg Wellhausen 1953 ein Bürogebäude, das heute der Deutschen Bank dient – wie passend für die einstige Herberge des „Kapital“-Autors.