Bürgermeister Olaf Scholz zeigt sich in seiner Regierungserklärung überzeugt, dass das Projekt kommt. Die Opposition spricht von Blamage und Versagen

Martin Kopp

Olaf Scholz ist früh dran. Schon um 13.23 Uhr, sieben Minuten vor Beginn der Bürgerschaftssitzung, schlendert der Bürgermeister auf die Senatsbank und plaudert locker und fröhlich gestikulierend mit Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos). Dann ein Abstecher zu SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, letzte Absprachen zum bevorstehenden Showdown. Horch stößt dazu, ebenso Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Diese vier Männer werden gleich in einer dreistündigen Debatte die Regierungslinie in Sachen Elbvertiefung vertreten. Auch in diesem Machtquartett herrscht auffallend gelöste Stimmung.

Gute Miene zum bösen Spiel? Oder echter Optimismus? Seit das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 9. Februar sein Urteil zur Elbvertiefung gesprochen hat, fragt sich die Stadt, fragt sich das Land, fragen auch Reedereien rund um den Globus: Was bedeutet dieser Richterspruch denn nun? Dass die Elbe definitiv vertieft werden darf und nur noch, abermals, etwas Geduld nötig ist – wie Regierungsvertreter es darstellen? Oder dass die Realisierung des Projekts in weite Ferne gerückt ist und Hamburg auf dem Weg in die maritime Zweitklassigkeit ist, wie Teile der Opposition und der Fachwelt meinen?

Olaf Scholz will eine Botschaft aussenden. Er hat eine Regierungserklärung angemeldet, das macht er nur sehr selten. In sechs Jahren Amtszeit ist das, sieht man mal von zwei obligatorischen Antrittsreden vor dem Parlament ab, erst das fünfte Mal, dass er von diesem Sonderrecht des Bürgermeisters Gebrauch macht. Um welche Botschaft es ihm geht, ist nach nicht einmal einer Minute deutlich: Das Urteil sei „klar“, und es sei „abschließend“, beginnt Scholz: „Es gibt Rechtssicherheit. Das bedeutet unwiderruflich: Die Fahrrinnenanpassung kommt.“ Hamburg und der Bund hätten es nun in der Hand, die vom Gericht gestellten Aufgaben zügig zu lösen. Applaus bei der SPD, Zurückhaltung bei den Grünen.

Wie zu erwarten, betont der Bürgermeister in den folgenden 18 Minuten zunächst die vom Gericht geklärten Punkte: Notwendigkeit der Vertiefung? Außer Frage! Öffentliches Interesse? Liegt vor! Fische? Nicht gefährdet! Verfahren? Korrekt! „Alle grundlegenden Fragen sind geklärt“, so Scholz, der sich streng an sein siebenseitiges Redemanuskript hält und wie üblich ohne große Emotionen auskommt.

Die vom Gericht geforderten drei Nachbesserungen, die dazu führen, dass das Vorhaben dennoch „rechtswidrig“ und „nicht vollziehbar“ ist, sind aus Sicht des Bürgermeisters „überschaubar“. Beim Schierlingswasserfenchel, jene nur am Elbufer gedeihende Pflanze, die infolge der Ausbaggerung gefährdet sein könnte, gehe es nur „um die Plausibilität der Berechnung beim Eintreten von Ausnahmesituationen“, sagt Scholz im besten Olaf-Scholz-Sprech. Mit anderen Worten: Die Behörden müssen noch einmal rechnen, dann passt das schon. Über die Ausgleichsmaßnahmen im niedersächsischen Elbgebiet, die klarer abzugrenzen seien von ohnehin geplanten Maßnahmen, sei Hamburg mit dem zuständigen Landkreis Stade schon „in sehr guten Gesprächen“, so Scholz. Soll heißen: auch ein lösbares Problem.

„Aufwendiger“, räumt er ein, sei dagegen die dritte Hürde: eine neue Ausgleichsfläche als Ersatz für das an anderer Stelle verplante Kreetsand in Wilhelmsburg zu finden. „Wir würden uns freuen, wenn die Umweltverbände hier ebenfalls Vorschläge machen“, sagt Scholz. Dass Nabu, BUND und WWF, die mit ihren Klagen dazu beigetragen haben, dass sich die Planung der Elbvertiefung nun schon 15 Jahre hinzieht, der Stadt und dem Bund kaum helfen werden, das Projekt nun doch noch durchzuziehen, ist dem Bürgermeister natürlich klar. Falls nicht, erfährt er es kurz darauf per Pressemitteilung: „Obwohl Hamburg mit den Vertiefungsplänen vor Gericht gescheitert ist, versucht es der Erste Bürgermeister weiter mit dem Kopf durch die Wand“ melden die drei Verbände. Über „den Umfang des Eingriffs“ und die „Zusammenarbeit der norddeutschen Häfen“ könne man aber reden. Ein ziemlich vergiftetes Angebot.

Scholz hoffnungsvoller Ausblick, man werde nun prüfen, „ob Ausschreibungen für 2018 und 2019 bereits möglich sind“, sorgt folglich für heftige Reaktionen der Opposition. „2018 oder 2019? Das heißt nichts anderes, als dass die Fahrrinnenanpassung 2020, am Ende Ihrer Amtszeit, immer noch nicht vollendet sein wird“, bemerkt CDU-Fraktionschef André Trepoll spitz.

Dass der Bürgermeister direkt nach dem Urteil von einem „Meilenstein“ gesprochen hatte, könne er nicht fassen, so Trepoll. „Haben Sie das wirklich ernst gemeint?“, fragt er Scholz – und erntet ein Nicken. In Wahrheit sei der Richterspruch doch eine „Blamage für Hamburg“, schimpft Trepoll.

Dann wird es sogar böse. „Auch ein Oppositionsführer sollte nicht mit alternativen Fakten unterwegs sein“, belehrt SPD-Fraktionschef Dressel sein CDU-Pendant in Anlehnung an ein Zitat der Beraterin von US-Präsident Donald Trump. Und Dressel hat einen guten Kronzeugen: Rüdiger Kruse, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Hamburg und immerhin „maritimer Koordinator“ der Unions-Fraktion. Der habe von einer „positiven Entscheidung“ gesprochen, die endlich „Rechtssicherheit“ biete. Was will man mehr? Als Dressel selbst von einem „Meilenstein“ spricht, ruft der CDU-Abgeordnete Jörg Hamann: „Alternative Fakten!“ Die Stimmung ist aufgeheizt.

Anjes Tjarks versucht es salomonisch: Ökologie und Ökonomie kämen in dem Urteil zu ihrem Recht, sagt er. Bemerkenswert: Nicht einmal der Grünen-Fraktionschef zieht die Bedeutung der Elbvertiefung in Zweifel: „Die künftige Erreichbarkeit ist ein berechtigtes Anliegen. Die Bewahrung der Schöpfung ist auch ein berechtigtes Anliegen.“ Für Norbert Hackbusch, Hafenexperte der Linkspartei, ist die Sache dagegen einfacher: Auf das Urteil geht er nicht näher ein, betont aber: „Meine Fraktion hat den Grundsatz, dass sich der Hafen an die geografischen Gegebenheiten der Stadt anpassen muss, nicht umgekehrt.“

Genau umgekehrt, aber ebenso eindeutig positioniert sich Katja Suding: Die Fraktionschefin der FDP bezeichnet das Urteil als „Klatsche mit Ansage“ und sieht die Verantwortung dafür klar beim Senat: „Die Versuche von Bürgermeister Scholz und Wirtschaftssenator Horch, dieses Debakel als Erfolg zu verkaufen, sind völlig unverständlich“, so Suding. „Tragfähige Lösungen sind weiter Fehlanzeige.“

AfD-Chef Bernd Baumann meint, Schuldige und Lösung zu kennen: Die Stiftung Lebensraum Elbe werde von der Stadt aus Hafeneinnahmen gepäppelt, sorge aber mit der Benennung schützenswerter Räume dafür, dass es der Stadt an Ausgleichsflächen fehle. Baumanns Forderung: Der Bürgermeister müsse „wie ein Staatsmann auftreten“ und für „vernünftiges Ausgleichsmanagement“ sorgen.

Vermutlich würde sich Scholz in dieser Rolle gefallen – wenn Politik doch nur so einfach wäre. Stattdessen bleibt nach drei Stunden Debatte die verwirrende Erkenntnis: Die Elbvertiefung kommt. Wahrscheinlich. Irgendwann. Oder doch etwas später.