Ole von Beust und die Elbphilharmonie, das sind zwei Geschichten: Als Bürgermeister hat er den Bau angeschoben, aber die Probleme nicht in den Griff bekommen. Eine Rückkehr an den „Tatort“

Hallo, Herr von Beust, schön Sie zu sehen!“ Es ist das x-te Mal, dass Ole von Beust auf seinem Rundgang durch die Elbphilharmonie angesprochen wird. Dieses Mal sind es zwei ältere Damen, die gerade den milden Herbst auf der Plaza genießen wollen, als sie plötzlich dem früheren Bürgermeister gegenüberstehen. „Und, Sie sind stolz, nicht?“, fragt die eine. „Ach, stolz ist vielleicht das falsche Wort ...“, setzt von Beust zu einer Antwort an. Da fährt ihm die Dame ins Wort: „Aber Sie haben es angefangen!“ Gestik und Mimik ergänzen eindeutig: Und das war gut so!

So geht das die ganze Zeit. Von Beust wird erkannt, die Menschen zücken ihre Handys und Kameras, sie grüßen freundlich. „Da kommt der Bauherr“, ruft fröhlich ein Zauselbart aus einer vierköpfigen Männergruppe, die auf der Außenplaza den Blick über die Elbe genießt. „Toll geworden“, meint ein anderer anerkennend. Von Beust hält sich eine Hand vor den Mund und raunt: „War ja auch teuer genug.“ Darauf der Zauselbart: „Na, da sprechen Sie ein Thema an ...“ Gelächter. Damit ist doch alles gesagt. „Schönen Tag noch.“

Ole von Beust und die Elbphilharmonie, das ist eine Geschichte für sich. Das heißt, eigentlich sind es zwei Geschichten. „Ich hatte die Verantwortung, im Guten wie im Schlechten“, hat der 61-Jährige beide Seiten der Medaille mal in einem Satz zusammengefasst. Aber bei seinem Rundgang über die Plaza wird der Mann, der Hamburg von 2001 bis 2010 regiert hatte, fast nur auf den erfreulicheren Teil der Geschichte angesprochen. Es war Ole von Beust, der 2003 die Chance erkannte, die sich da für Hamburg auftat, und der mit der ihm eigenen Unbekümmertheit die Richtung vorgab: Wir wollen die Elbphilharmonie haben! Dabei war das, anders als später oft dargestellt, weder eine Eingebung noch war das Projekt seine Idee.

Es waren der Projektentwickler Alexander Gérard und seine Frau Jana Marko, die schon im März 2001 den genialen Einfall hatten, das benötigte zweite Konzerthaus in den leer stehenden Kaispeicher A zu bauen. Als Gérards Partner Patrick Taylor im Herbst 2001 den frisch gewählten neuen Ersten Bürgermeister anschrieb, war die Reaktion aus dem Rathaus alles andere als ermunternd: Das Grundstück sei leider einem anderen Investor anhand gegeben, hieß es. Dort sollte der MediaCityPort, ein Hochhaus für die New Economy, entstehen.

Doch Gérard und Marko ließen nicht locker. Zwei Jahre lang trommelten sie für ihre Idee und baten die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron um einen Entwurf. Erst als der im Juni 2003 präsentiert wurde und die Stadt in Begeisterung versetzte, wurde auch von Beust wieder aufmerksam. Als ihn kurz darauf prominente Architekten in einem Brief geradezu anflehten, dieses Bauwerk zu realisieren, war auch der Bürgermeister überzeugt. „Wir brauchen ein Wahrzeichen der Stadt für das 21. Jahrhundert, das internationale Ausstrahlung hat“, sagte er im September 2003 vor dem Übersee-Club. „Das kann eine Philharmonie auf dem Kaispeicher A sein.“

Mehr als 13 Jahre später steht von Beust vor der Elbphilharmonie. Offenes, gestreiftes Hemd, dunkelgrauer Wollmantel – stilvoll und lässig wie eh und je. Unsere Tickets für die Plaza sind ab 12.00 Uhr gültig, die Uhr auf der Einlassschranke zeigt 11.58 Uhr. Zwei Minuten für eine Frage: Wann waren Sie eigentlich zuletzt hier? Von Beust überlegt kurz. „Ich glaube, beim Richtfest. Oder beim Neujahrsempfang des Abendblatts, wann war das noch?“ Im Januar 2010. „Dann beim Richtfest.“ Das war im Mai 2010. Drei Monate später ist er zurückgetreten. Jetzt, sechseinhalb Jahre später, kehrt er zurück an einen der wichtigsten Orte seiner Amtszeit.

Um 12 Uhr hat die Schranke ein Einsehen, durch die Tube geht es aufwärts. Ob er sich noch an den Ärger mit dieser Röhre erinnern kann, die so einmalig auf der Welt ist wie die gebogene Rolltreppe, die durch sie verläuft? „Nein“, sagt von Beust. An solche Details erinnere er sich nicht. „Aber so ist das, wenn Stararchitekten das Sagen haben.“ Er hat da ja so seine Erfahrungen gemacht. Am Ende der Tube dann die Panoramafenster. „Oha“, sagt von Beust. Aber er meint nicht den Blick auf den Hafen, ihm ist etwas anderes aufgefallen: „Die Scheiben sind aber gut geputzt. Nicht wie bei mir zu Hause.“ Weiter geht’s mit der zweiten Rolltreppe auf die Plaza. Backstein, schiefe Säulen, Treppen, die in Schneckenhäusern zu verschwinden scheinen. „Beeindruckend“ findet von Beust. „Aber nicht kitschig.“ Langsam kommen doch einige Erinnerungen zurück. „Es gab die Sorge, es könne hier oben zu zugig sein. So ist man auf diese großen Fensterelemente gekommen.“

Heute bräuchte man die nicht, das Wetter ist freundlich. 13 Grad, ein Mix aus Sonne und Wolken. Auf der Elbe, 40 Meter weiter unten, stampft dröhnend ein Binnenschiff vorbei. Plötzlich fällt von Beust eine Geschichte ein. Neulich habe er den Düsseldorfer Oberbürgermeister getroffen. „Ein SPD-Mann“, so der Christdemokrat, und der habe ihm von der Sanierung der Oper erzählt. „Erst sollte das eine Million kosten, am Ende waren es 33 – weil ständig neue Wünsche ­kamen.“

Überall das Gleiche, soll das wohl heißen. Eine Anspielung auf seine zweite, die weniger schöne Geschichte mit der Elbphilharmonie. Die wird auch von zwei Zahlen geprägt. Nicht 1 und 33, sondern 77 und 789. Es war im Sommer 2005, als der Senat mitteilte, das Konzerthaus werde die Stadt „bis zu 77 Millionen“ Euro kosten, und von Beust sich zu dem verhängnisvollen Satz hinreißen ließ, das sei noch „pessimistisch geschätzt“. Gekostet hat sie die Steuerzahler 789 Millionen.

Und obwohl es sein Nachfolger Olaf Scholz war, der den letzten Batzen obendrauf legte, damit der Bau fertig wird, sind die Skandale und Kostensteigerung doch vor allem mit dem Namen Ole von Beust verbunden. Denn in seiner Amtszeit wurde nicht nur der Grundstein für den Bau gelegt, sondern auch für die Probleme. Auf eine vertiefte Diskussion über die Gründe hat sich von Beust nie eingelassen und immer darauf verwiesen, er habe sich mit den Details nicht beschäftigt. Das habe er an Fachleute delegiert, und denen habe er vertraut. Punkt, aus. Selbst der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) der Bürgerschaft biss bei ihm auf Granit und entließ ihn im Februar 2012 schneller als die meisten anderen Zeugen. Aber im Gegensatz zu manch anderem Beteiligten hat von Beust seine Hände niemals in Unschuld gewaschen.

„Ich übernehme die politische Verantwortung für alles, was in meine Zeit als Bürgermeister fällt“, sagte er damals vor dem PUA und benannte die zwei aus seiner Sicht größten Fehler: ohne fertige Pläne mit dem Bau zu beginnen, sei der eine gewesen. Den Bau seinem von ihm geschätzten Projektkoordinator Hartmut Wegener anzuvertrauen und den einfach machen zu lassen, der andere.

Manch einer hat das als den Versuch interpretiert, die Schuld auf Wegener, einen SPD-Mann, abzuwälzen. Man kann es aber auch als Eingeständnis der eigenen Schuld werten: Er als Bürgermeister hat sich um das größte Prestige­projekt der Stadt, das zudem untrennbar mit seinem Namen verbunden war, nicht genügend gekümmert, sondern sich auf andere verlassen. Das ist keine Kleinigkeit.

Ole von Beust neigt trotz seiner lockeren Art nicht zu großen Emotionen. Doch es ist auch diese Vor­geschichte, die dazu beiträgt, dass er angesichts des fertigen Konzerthauses nur von „verhaltener Freude“ spricht. „Ich finde es unangemessen, jetzt zu tirilieren“, sagt er. Er freue sich, dass die Elbphilharmonie fertig sei und von den Menschen begeistert angenommen werde. „Aber man darf die Probleme, die es gab, nicht verdrängen.“

Bei der Eröffnung heute werde er dabei sein. Weitere Konzertkarten hat er aber nicht. „Ich bin ja eigentlich ein Kulturbanause“, sagt der bekennende Comic-Fan. Sich Monate im Voraus auf einen Termin festlegen und dann stundenlang still sitzen zu müssen, das sei nicht so sein Ding, sagt von Beust und lässt den Blick über die Stadt schweifen.

Da drüben, an der Deichstraße, habe er mal gewohnt, in einem abgesackten, ziemlich schiefen Altbau. „Der Fußboden im Wohnzimmer hatte acht Zentimeter Gefälle.“ Schräg, charmant, ungewöhnlich – ein bisschen wie die Elbphilharmonie.

Nur nicht so teuer.