Beim Treffen der OSZE-Außenminister in Hamburg gab es bislang nur eine positive Erkenntnis: Gut, dass sie überhaupt miteinander reden. Immerhin sorgte ein Schiffshorn für Heiterkeit unter den hochrangigen Gästen

Federica Mogherini war die erste Rednerin, die das Horn zu hören bekam. Exakt drei Minuten hatte die EU-Außenbeauftragte gesprochen, als ihr ein Schiffshorn in sattem Moll signalisierte, dass ihre Redezeit abgelaufen war. Die Wirkung blieb nicht aus: Etwas verwirrt brach Mogherini ihre Rede sofort ab.

Es gehört bei politischen Großveranstaltungen wie der zweitägigen Außenministerkonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Hamburg dazu, dass die Redezeit begrenzt ist – zumal, wenn jeder der 50 anwesenden Außenminister reden darf. Für gewöhnlich geschieht das auf etwas diskreterem Weg. Doch die Gastgeber – Deutschland hat seit Anfang 2016 den OSZE-Vorsitz – wollten es gern hamburgisch-maritim, und so entschieden sie sich, statt nur mit einem Lichtsignal auf das nahende Ende der Redezeit hinzuweisen, für die volle Dröhnung. Tuuuuut.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erntete als Sitzungsleiter in den Messehallen zustimmendes Lachen der Delegationen aus den 57 OSZE-Staaten. „Ich hatte gerade das Gefühl, wir sind im Hafen“, scherzte Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault, als auch ihn nach drei Minuten die maritime Breitseite traf. „Sind wir ja auch, wir sind ja in Hamburg“, fügte Ayrault hinzu und setzte seine Rede unbeirrt noch für einige Minuten fort. Auch US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow ignorierten das Signal und überzogen deutlich. Ein gewisser Zusammenhang zwischen der Bedeutung eines Landes für die Beilegung internationaler Konflikte und der geduldeten Redezeit für den jeweiligen Minister ließ sich nicht ganz leugnen.

Oberflächlich betrachtet war die Stimmung auf dem Konferenztreffen also gut, auch wenn Journalisten der Zugang zum eigentlichen Tagungssaal verwehrt blieb und sie auf die Beschreibung von Fotografen und ihre Bilder zurückgreifen mussten. Diese zeigen vor Konferenzbeginn die Politiker im Gespräch: mal Russlands höchsten Diplomaten Sergej Lawrow mit Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, mal Frank-Walter Steinmeier mit seinem kirgisischen Amtskollegen Erlan Abdyldaev.

Auch während der Sitzung sorgten persönliche Anreden wie „Lieber Frank-Walter“ oder „Lieber Pawlo“ für eine beschauliche, der Vorweihnachtszeit angemessene Atmosphäre. Das war keine Überraschung: Die OSZE, über deren rechtlichen Status die Expertenmeinungen auseinandergehen, und insbesondere die Treffen des Ministerrates gelten gemeinhin als Möglichkeit für Spitzendiplomaten, abseits von Verhandlungen über verbindliche Abkommen ins Gespräch zu kommen.

Wohl auch mangels inhaltlicher Fortschritte pries Steinmeier daher mehrfach den Wert der OSZE als Dialogforum. „Für mich persönlich ist das Wichtigste zu wissen, dass die OSZE in stürmischen Zeiten das einzige Forum ist, in dem Ost und West regelmäßig zusammenkommen“, sagte der Minister am Nachmittag. „Deshalb ist sie in solchen Zeiten von unschätzbarem Wert. Gäbe es die OSZE nicht, man müsste sie gerade jetzt erfinden.“

Allerdings, und das musste auch der mit großen Zielen vor einem Jahr als OSZE-Vorsitzender gestartete deutsche Außenminister zähneknirschend akzeptieren, ist die Organisation traditionell nicht in der Lage, sich auf eine Haltung zu einigen. Das verhindert das Konsensprinzip, wonach alle Teilnehmerstaaten einer Erklärung zustimmen müssen. Eine gemeinsame Abschlusserklärung, wie sie zuletzt 2002 erreicht wurde, wird es auch in Hamburg nicht geben.

Steinmeier ließ daher schon in seiner Eröffnungsrede am Morgen keinen Zweifel daran, dass es Deutschland vor allem um das Miteinanderreden gehe. „Durch erneuerten Dialog wollen wir dazu beitragen, verloren gegangenes Vertrauen neu aufzubauen, um Sicherheit wieder herzustellen – zwischen Vancouver und Wladiwostok.“ Das klingt nach wenig. Aber angesichts der Konfliktherde Syrien, Irak, Jemen, Libyen, Ukraine oder Bergkarabach ist „das Offenhalten und Ausbauen von Kommunikationskanälen über politische Gräben hinweg“ (Steinmeier) schwierig genug.

Die aus den Zeiten des Kalten Krieges stammende OSZE erlebt seit Beginn der Ukraine-Krise eine Renaissance. Mehrere hundert OSZE-Beobachter überwachen derzeit in der Ostukraine, die seit dem Jahr 2014 von prorussischen Separatisten beherrscht wird, die Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens von Minsk. Und nicht nur das: „Sie sind die einzigen, die mit beiden Seiten im Gespräch sind“, betonte Steinmeier mehrfach. Als er von einer russischen Journalistin auf Zweifel an der Neutralität der OSZE-Beobachter angesprochen wurde, reagierte er angefasst: „Ich finde es nicht in Ordnung, dass diejenigen, die versuchen, die Opferzahlen niedrig halten, der mangelnden Neutralität bezichtigt werden.“

Auch sonst machten die maßgeblichen Parteien im Ukrainekonflikt die Unterschiede ihrer Auffassung in Hamburg mitunter unverblümt deutlich, ohne dass dabei etwas Neues gesagt wurde. Steinmeier bezeichnete die Annektion der Krim als „völkerrechtswidrig“, sein US-Kollege Kerry sprach von „Besetzung“, und der ukrainische Außenminister kritisierte den „russischen Krieg gegen die Ukraine“, der bereits 10.000 Todesopfer gefordert habe.

Der russische Außenminister Lawrow hingegen beschwor seine Kollegen, auf „martialische Rhetorik und gegenseitige Schuldzuweisungen“ zu verzichten, um dann selbst dem „Nato-zentrierten“ System Europas zumindest eine Mitschuld für die Ukraine-Konflikte zuzuweisen. Zugleich wertete der russische Politiker die OSZE auf. Diese sei für die Lösung des Unkrainekonflikts wichtig.

Ein zweites, bei den Ministerreden wiederkehrendes Thema war die Frage der Menschenrechte. John Kerry betonte, Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Respekt und staatliche Souveränität seien die DNA der OSZE. Ohne die Türkei oder Ungarn beim Namen zu nennen, beklagte der US-Amerikaner die Entwicklung demokratischer Staaten hin zu „autoritären Regimen“. Es könne nicht toleriert werden, wenn Menschen, die anderer Meinung seien, zum Schweigen gebracht würden.

John Kerry und Sergej Lawrow fehlen auf dem „Familienfoto“

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erklärte dagegen, das türkische Volk habe im Sommer einen Staatsstreich verhindert und die Demokratie verteidigt. Zugleich ließ er keine Zweifel daran, dass sein Land den Kampf gegen den Terrorismus ernsthaft und konsequent führen werde. „Es gibt keine guten Terroristen.“

Für Verwunderung sorgte, dass Kerry und Lawrow beim „Familienfoto“ fehlten, das am Mittag in den Messehallen gemacht wurde. Später wurden Fotos von einem Treffen der beiden Spitzenpolitiker veröffentlicht, das offensichtlich parallel zum Fototermin stattgefunden hatte. Offenbar ging es bei dem Gespräch um die verheerenden Kämpfe in der syrischen Großstadt Aleppo. Nachdem Russlands Regierung, die das Regime des syrischen Machthabers Assad unterstützt, verlautbaren ließ, man stehe kurz vor einer Einigung, ließ Kerry erklären, es sei zwar nicht zuversichtlich, aber hoffnungsvoll, dass es zu einem Durchbruch kommen werde. Unklar blieb jedoch, wie der aussehen könnte. In Aleppo sind Zehntausende Menschen, unter ihnen viele Aufständische, von der syrischen Armee eingekesselt. Täglich gibt es Tote zu beklagen.

Kerrys anschließende Abreise aus Hamburg sorgte ebenfalls kurz für Irritationen. Wie Steinmeier später erklärte, sei das aber „keine Überraschung“ gewesen. „Das hatte er angekündigt. Wir bereiten ein Treffen zu Syrien am Sonnabend in Paris vor. Dazu ist John Kerry schon mal nach Paris geflogen.“

Beim Mittagessen im Ruderclub Germania an der Außenalster war zumindest Lawrow wieder dabei. Das war, kulinarisch betrachtet, eine gute Entscheidung: Als Vorspeise gab es eine Gelbe Karottenfischsuppe mit Safran und Nordseekrabben, dann Holsteiner Weiderind und hinterher Milchreis mit Kronsbeeren. „Tolles Hamburger Essen“, soll Außenminister Frank-Walter Steinmeier gesagt haben. „Ein wundervoller Ort, um die besondere Atmosphäre in Hamburg zu erleben.“

Etliche Arbeitstreffen später inspirierte die Atmosphäre an der Elbe Steinmeier erneut. „Dieser Ministerrat passt ein wenig zum Schmuddelwetter in Hamburg“, sagte der SPD-Politiker bei einem Zwischenfazit, ausgerechnet vor einer Fototapete, die die Speicherstadt bei strahlend blauem Himmel zeigte. „Kein Schön-Wetter-Rat, wie ich es prophezeit habe. Es ist auch kein Wunder, denn dieser Ministerrat findet in wahrhaft stürmischen Zeiten statt.“

Wie all die Konflikte, von der Ukraine über Transnistrien bis Bergkarabach, in den Griff zu bekommen sind, wisse er auch noch nicht. „Aber wir arbeiten daran, bis morgen am frühen Nachmittag.“ Dann endet die Konferenz in Hamburg.

Während Steinmeier das sagte, lief nebenan die dritte Arbeitssitzung seiner Ministerkollegen. Wie schon am Vormittag begann nahezu jeder Dreiminutenbeitrag mit dem Lob für die deutschen Gastgeber und endete mit besten Wünsche für Österreich, das den OSZE-Vorsitz im Januar übernimmt. Dazwischen blieben dann noch zwei Minuten für Inhalte, die abgelesen wurden. Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias kritisierte dieses statische Prozedere und schlug vor, nicht nur bei bilateralen Kamingesprächen, sondern auch während der Arbeitssitzungen direkt ins Gespräch zu kommen. Der Lebendigkeit wäre das vermutlich zuträglich. Aber das Schiffshorn bräuchte man dann nicht mehr.