Vor einem Jahr lehnte die Mehrheit der Hamburger eine Bewerbung der Stadt für die Ausrichtung der Sommerspiele 2024 ab. Sportsenator Andy Grote bedauert das, trauert der verpassten Chance aber nicht nach. Das Votum könnte für die Zukunft sogar von Vorteil sein.

Am Abend des 29. November 2015 endet Hamburgs Olympiakampagne. Landesabstimmungsleiter Willi Beiß gibt bekannt: Mit 335.638 Neinstimmen (51,6 Prozent) zu 314.468 Jastimmen lehnen die Hamburger die Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2024 ab. Sportsenator Michael Neumann tritt am 16. Januar dieses Jahres zurück, Andy Grote (beide SPD) übernimmt vier Tage später. Zwischenzeitlich haben sich die HSV-Handballer aus der Bundesliga zurückgezogen, im Frühjahr folgen die Freezers und das Volleyballteam Aurubis. Bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro sind Hamburgs Athleten dann erfolgreicher als jemals zuvor. Die Sportstadt lebt. Ein Gespräch mit Senator Andy Grote (48).

Herr Grote, ein Jahr nach dem abschlägigen Olympia-Referendum: Wie wäre es heute um den Hamburger Sport bestellt, wenn damals die Mehrheit der Bevölkerung mit Ja gestimmt hätte? Welche Projekte, welche Initiativen hätte ein positives Votum beschleunigt?

Andy Grote: Die Frage, „was wäre gewesen wenn?“, hilft uns nicht weiter. Unsere Aufgabe ist es, die Sportstadt Hamburg für die Zukunft aufzustellen und zu stärken, unabhängig von Olympia. Wir haben jetzt die große Chance, eine ehrliche, nachhaltige Haltung zum Stellenwert des Sports in Hamburg zu entwickeln. Wir bestimmen diese Haltung selbst. Wir können frei entscheiden, was für unsere Stadt und die Menschen, die hier leben, das Beste ist, losgelöst von äußeren Vorgaben und Einflüssen.

Das klingt, als wären Sie froh über das Ende der Olympiakampagne.

Ich bin weiter davon überzeugt, dass Olympische und Paralympische Spiele Hamburg in vielen Bereichen vorangebracht hätten, dass alle Hamburgerinnen und Hamburger von ihnen profitiert hätten. Aber wir akzeptieren selbstverständlich das Votum. Jetzt müssen wir andere Wege gehen, und das könnte sogar von Vorteil sein. Ich trauere deshalb nicht einer möglicherweise verpassten Chance nach, sondern sehe die Perspektiven. Und die machen mir Mut.

Hat sich das Thema Olympia damit für Hamburg erledigt?

Ich halte eine neue Bewerbung in Hamburg wie insgesamt in Deutschland in absehbarer Zeit nicht für vermittelbar. Würden wir heute ein Olympia-Referendum in Hamburg durchführen, das Ergebnis dürfte nicht besser ausfallen als vor einem Jahr. Die internationalen Sportverbände, allen voran das IOC, haben in den vergangenen zwölf Monaten nicht gerade dazu beigetragen, dass sich die Stimmung dreht.

Welche Perspektiven machen Ihnen Mut?

Der notwendige Neustart hat viele positive Kräfte freigesetzt. Den Masterplan „Active City“ mit Investitionen von bis zu 50 Millionen Euro in die Sportinfrastruktur, den der Senat am Dienstag beschlossen hat, hätten wir ohne die notwendige Neuorientierung im Sport nicht erhalten. Er ist ein positives olympisches Erbe ohne Olympia; ein neues Leitbild für eine dynamisch wachsende Stadt, die offen, mutig für Veränderungen ist und nicht skeptisch im Stillstand verharrt. Ähnliches gilt für andere Projekte, die wir in diesem Jahr angeschoben haben.

Die da wären?

Wir wollen die Hauptstadt des Ausdauersports werden, die Akquise des Ironman für die Jahre 2017 und 2018 war dazu ein weiterer Schritt. Und wir planen, das deutsche Zentrum für Beachvolleyball zu werden: mit einem hochklassigen Major-Turnier der Weltserie, mit erstklassigen Bedingungen und internationalen Spitzentrainern am Olympiastützpunkt in Dulsberg. Mit den Olympiasiegerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst sind die besten Spielerinnen der Welt bereits vor Ort. Die Hamburger Sportler waren bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Rio erfolgreicher als jemals zuvor. Das ist für uns die Verpflichtung, dieses Niveau zu halten und weitere Möglichkeiten zu schaffen, um es auszubauen. Dass wir uns an unserem Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein auf sechs Schwerpunktsportarten konzen­trieren, Beachvolleyball, Hockey, Rudern, Schwimmen, Segeln, Rollstuhlbasketball, in diesen ein hochprofessionelles Topniveau anstreben, hat sich als Erfolgsmodell erwiesen, das andere Bundesländer gern übernehmen würden.

Bessere Bedingungen, die besten Trainer, das kostet alles viel Geld. Woher kommt es?

Das Bewusstsein, welche enorme Wirkung und positive Kraft im Sport stecken, ist in der Stadt weit verbreitet. Diese Erkenntnis hat mit der Olympiabewerbung noch mal einen Schub erhalten, aber dieses Wissen verliert man nicht. Sport hat für diesen Senat weiter hohe politische Priorität. Die Projekte des Masterplans „Active City“ werden aus den Etats aller beteiligten Fachbehörden, aber auch aus zentralen Mitteln des Haushalts gefördert, die nicht an Behörden gebunden sind. Wir können den Weg, den wir eingeschlagen haben, der uns zu einer Olympiabewerbung überhaupt erst befähigt hat, auch ohne Olympia sehr selbstbewusst fortsetzen. Es wäre absolut fahrlässig, die Reichweite des Sports, diese große verbindende gesellschaftliche Kraft, nicht zu nutzen.

Wie soll dieser Weg konkret aussehen?

Wir werden in den Spitzen- und Breitensport sowie die Infrastruktur des Sports und in Veranstaltungen weiter investieren. Der Senat wird in den nächsten Jahren mehr Mittel für den Sport bereitstellen als jemals zuvor. In den nächsten drei Jahren werden netto 60 neue Hallenfelder entstehen, bis Ende 2019 geben wir mehr als 200 Millionen Euro für den Bau und die Sanierung von Sportstätten aus, konkret für Schulsporthallen und Sportplätze. Dazu kommen die Gelder für die „Active City“. Wir haben den Anspruch, dass wir als international ausgerichtete Stadt auch im Sport ein international wahrnehmbares Profil haben. Das betrifft sowohl die regelmäßigen Veranstaltungen als auch Welt- und Europameisterschaften, um die wir uns auch in Zukunft bewerben wollen.

Gehen die Planungen über das Abarbeiten der Bewerbungsoffensive hinaus, die 2015 mit der Olympiakampagne gestartet wurde?

Ja. Wir haben gerade ein Angebot für die Handball-WM der Männer 2019 abgegeben, wollen die Hauptrunde und beide Halbfinalspiele ausrichten. Was wir während der Olympiabewerbung angefangen haben, setzen wir auch ohne Olympia fort. Wir wollen den attraktivsten Sportkalender in Deutschland haben. Allein im nächsten Jahr wird Hamburg drei Weltmeisterschaften ausrichten, wieder die Team-WM im Triathlon, die Amateurbox- und die Handball-Frauen-WM. 2018 folgt die WM im Rollstuhlbasketball.

Ohne Unterstützung der Wirtschaft könnte es schwierig werden, dieses Programm zu realisieren. Erst kürzlich haben Sie gesagt, dass Sie sich mehr unternehmerisches Engagement für den Sport wünschten. Wie waren die Reaktionen?

Wir haben bereits viele starke Partner aus der Wirtschaft. Alle, die sich im unternehmerischen Bereich engagieren, eint aber der Ehrgeiz, noch mehr Unterstützung zu mobilisieren. Wir haben in Hamburg noch Potenzial, und manch ein Unternehmer mag noch keine Vorstellung davon haben, welche Chancen für ihn in den Sportprojekten stecken.

Wen sehen Sie da in der Kommunikation in der Pflicht: die Stadt, die Handelskammer, den Hamburger Sportbund, die Vereine?

Alle. Was die Stadt betrifft: Wir werden sehr deutlich machen, dass der Sport für diesen Senat ein zentrales Politikfeld ist und bleiben wird.

Fürchten Sie, dass die sportliche Dauerkrise der Profifußballclubs HSV und St. Pauli das Investitionsklima in den Hamburger Sport nachhaltig negativ beeinflussen könnte?

Das Risiko, dass dadurch Schaden entsteht, rührt auch daher, dass wir uns viel zu einseitig über Fußball definieren. Je mehr wir alle zusammen auch andere Themen in den Vordergrund stellen, desto gelassener können wir auf den Tabellenstand des HSV und des FC St. Pauli blicken. Unabhängig davon bin ich optimistisch, dass beide Clubs ihre Klassen halten werden. Die Saison ist noch lang genug.

Ein anderes Thema wäre etwa die Auslastung der Sportstätten. Bis 17 Uhr, bis Schulschluss, liegt sie bei 100 Prozent, danach bleibt sie ähnlich hoch. Viele Fußballvereine haben bereits mit Aufnahmestopps reagiert, weil ihnen schlicht die Kapazitäten fehlen.

Wir stecken mitten im größten Ausbauprogramm der Sportstätteninfrastruktur, das es jemals in Hamburg gab. Die Zahlen habe ich Ihnen bereits genannt: mehr als 200 Millionen Euro bis Ende 2019. Wir fördern zusätzlich mit fast einer Million Euro pro Jahr den Bau und die Sanierung vereinseigener Anlagen. Dazu kommen Investitionen in die Sporthallen der Berufsschulen und zahlreiche Sonderprojekte wie der zehn Millionen Euro teure neue Sportkomplex der Hamburger Turnerschaft von 1816 (HT 16) und die Infrastrukturprojekte aus dem Masterplan „Active City“ für bis zu 50 Millionen Euro. Das ist ein gigantisches Programm.

Die Nachfrage nach Sportfeldern ist an einigen Stellen der Stadt größer als das Angebot. Wird da nicht bedarfsgerecht geplant?

Wir freuen uns über die steigende Nachfrage, auch wenn diese nicht immer einplanbar ist. Dass wir Angebot und Nachfrage nicht überall hundertprozentig zusammenbekommen, hat auch andere Gründe. Wenn Hallen um- oder neu gebaut werden, stehen sie zwischenzeitlich nicht zur Verfügung. Der Ganztag an den Schulen bedingt, dass Nutzungszeiten eingeschränkt sind, dass sich der Bedarf auf wenige Stunden, weit weniger als früher, konzentriert. Das können wir mit Baumaßnahmen nicht überall ausgleichen. Wir sind in Hamburg dennoch in einer komfortablen Situation, davon sind andere Bundesländer weit entfernt.

Der schönste Neubau nützt nichts, wenn er dem gestressten Nachbarn nicht gefällt. Gerade die Umwandlung von Grand- in Kunstrasenplätze mit erweiterten Nutzungsmöglichkeiten hat zu vielen Anwohnerklagen wegen steigender Lärmbelästigung geführt. Und eine neue Sportlärmverordnung lässt weiter auf sich warten.

Sport gehört in die Stadt. Es ist absurd, wenn wir Millionen in den Ausbau von Sportstätten stecken und dann deren Nutzungszeiten eingeschränkt werden. Was wir an rechtlichen Spielräumen in Hamburg haben, schöpfen wir aus. Der nächste Schritt, den wir brauchen, ist eine neue Lärmschutzverordnung auf Bundesebene. Die Hamburger Initiative ist Konsens im Bund, sie ist nochmals unterstützt worden von der Sportministerkonferenz, vom Deutschen Fußballbund und dem Deutschen Olympischen Sportbund. Wir haben jetzt Signale erhalten, dass es noch in diesem Jahr einen positiven Kabinettsbeschluss der Bundesregierung geben könnte.

Sportflächen in neuen Wohnquartieren sind ein weiteres Aufregerthema in den Hamburger Vereinen. Die Clubs kritisieren, dass die Versorgung mit Sportstätten – zum Beispiel in der HafenCity, aktuell in der Neuen Mitte Altona, im Holstenquartier, bei der Bebauung der Trabrennbahn Bahrenfeld – nur unzulänglich mitgedacht wird. Oder dass beim Neubau von Schulturnhallen die Interessen des Vereinssports nicht ausreichend berücksichtigt würden.

Wir sind bei der frühen Einplanung und Realisierung von Vereinsbedarfen bei Schulsporthallen große Schritte vorangekommen. Es ist kein Zufall, dass dieser Bedarf im Masterplan „Active City“ eine wichtige Rolle spielt und dass es bei zwei der ersten drei Projekte um die vereinsgerechte Zusatzausstattung von Schulsporthallen geht. Um Sportbedarfe in der Stadtentwicklung zu berücksichtigen, habe ich vor zwei Jahren für Wilhelmsburg die Erstellung eines Sportstättenkonzeptes beauftragt, als absehbar war, dass in dem Stadtteil dank Wohnungsbau und großer Stadtentwicklungsprojekte der Bedarf an Hallen und Plätzen steigen wird. Das hat der bezirkliche Sportstättenbau umgesetzt, die Sportstätten wurden Teil der Gesamtplanung. Das hat vorbildlich funktioniert und ist auf andere Stadtteile übertragbar. Und das ist auch ein Thema im Masterplan „Active City“: Dort, wo durch neue Projekte und Ansiedlungen Bedarf an Sportstätten besteht, werden diese von Beginn an von den Behörden eingeplant. Stadtentwicklung muss immer auch Sportentwicklung sein. Eine Planung, die den Sport nicht berücksichtigt, ist keine gute Planung. Ein positives Beispiel ist das aktuelle Projekt der HT16: Da entsteht in Hamm mit dem neuen Sport- auch ein neues Stadtteilzentrum. Stadtteilzentren werden bisher gedacht als soziokulturelle Einrichtungen, Häuser der Jugend, Häuser der Familien. Warum können es nicht auch Häuser des Sports sein? Auch der Sport kann zentraler Anlaufpunkt im Stadtteil werden.

Gute Idee! Warum passiert das nicht?

Das passiert, aber da ist die ganze Stadt noch in einem Lernprozess. Beispiele wie das Sportzentrum der HT16 zeigen, dass solche Projekte am besten vor Ort von den Vereinen selbst entwickelt werden können. Wir werden gut durchdachte Initiativen wie im Fall HT16 immer unterstützen. „Active City“ sollte alle ermutigen, eigene Ideen einzubringen.

Eine „Active City“ muss mit Leben gefüllt werden. Wer übernimmt Betriebskosten, wer betreut die Menschen vor Ort?

Es wird eine Lenkungsgruppe mit allen Akteuren aus Sport und Verwaltung geben, die diese Projekte bearbeiten. Die ersten drei Vorhaben sind durchstrukturiert und finanziert, die nächsten drei werden in Kürze folgen. So wird es Projekt für Projekt weitergehen. Die zentrale Botschaft ist: Wir machen das! Alles, was jetzt als Problem gesehen wird, können wir gemeinsam lösen. „Active City“ gibt dem Sport einen neuen Stellenwert unabhängig von Olympia. In den vergangenen zwölf Monaten hat es in Hamburg eine Menge neuer Weichenstellungen für den Sport gegeben – und die in die richtige Richtung. Dieser Kurs ist klar und verbindlich, da stehen Senatsentscheidungen dahinter, Haushaltsmittel, richtig konkrete bindende Maßnahmen. Mein Eindruck ist, dass der Sport in Hamburg für die Zukunft gut aufgestellt ist und sich in einer wesentlich komfortableren Lage befindet als irgendwo anders in Deutschland.

Die Integration von Flüchtlingen, übergewichtige Kinder und eine Verbesserung des sportlichen Angebots für den Ganztag an Schulen wären andere wichtige Themen, die der Masterplan „Active City“ nur streift.

Integrationssportangebote wie etwa durch das Programm „Willkommen im Sport“ sind wichtiger Bestandteil des Masterplans „Active City“. Wir stellen den Vereinen 400.000 Euro jährlich für ein bedarfsgerechtes Sportangebot für Flüchtlinge zur Verfügung. Beim Masterplan „Active City“ geht es um Sportstätten-Infrastruktur. Ganztagsangebote sind an vielen Stellen auch sportlich geprägt und werden zum Teil, zum Beispiel in Bergedorf, von Sportvereinen selbst gestaltet. Ziel der Strategie „Active City“ ist es, möglichst viele Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen für den Sport zu begeistern und zu aktivieren. Deswegen werden wir die Sportangebote überall in der Stadt ausbauen, gerade auch niedrigschwellig im öffentlichen Raum, Stichworte sind Bewegungsinseln, Joggingstrecken. Glücklicherweise sind die Hamburger deutlich seltener übergewichtig als anderswo in Deutschland.