Altstadt. China-Summit 2016in der Handelskammer Hamburg. Die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Europa und dem Reich der Mitte sind in unsicherer Zeit Vorbild für Vertrauen und Stabilität

Gut eine Stunde. So viel Zeit nahm Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sich am Donnerstag für den Besuch von Hamburgs China Summit in der Handelskammer. Nachdem die rund 400 Gäste der zweitägigen Wirtschaftskonferenz bereits beim Lunch waren – es gab unter anderem Räucherlachs, Kalbsbäckchen und eine reichhaltige Auswahl an Desserts – kam Deutschlands Chef-Diplomat auf eine Stippvisite vorbei. Diese sei, so hieß es, vor allem als freundliche Geste für Chinas Vizepremierministerin Liu Yandong gedacht gewesen.

Die Kürze des Aufenthalts überraschte. Schließlich fand der diesjährige „Hamburg Summit: China meets Eu­rope“ im Schatten von zwei Ereignissen statt, deren langfristige Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Europa und China heute noch nicht abzusehen sind. Da ist zum einen der Streit um die Übernahme des deutschen Spezialmaschinenbauers Aixtron durch ein chinesisches Unternehmen, bei dem es im Kern um die Frage geht, in welchem Umfang Chinas Konzerne hierzulande investieren dürfen bzw. sollen.

Das andere Ereignis war die Wahl des umstrittenen Immobilienmilliardärs Donald Trump zum US-Präsidenten und seine Ankündigung, das transpazifische Freihandelsabkommen TPP aufzukündigen, sobald er die Amtsgeschäfte im Weißen Haus in Washington übernommen hat. Hierbei geht es um die Sorge vieler Unternehmen, der Welthandel könnte unter Protektionismus leiden. Nicht nur in den USA, auch in Europa verzeichnen politische Kräfte Zulauf, die angesichts von Jobverlusten und Schulden den Handel einschränken wollen.

Mit Blick auf die zunehmende Unsicherheit in der Welt unterstrich Steinmeier die Bedeutung von Verlässlichkeit, die sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft eine „harte Währung“ sei. „Ein regelbasiertes Miteinander ist ein wesentlicher Schlüssel, erfolgreich mit der Unsicherheit umzugehen und Verlässlichkeit zu bewahren.“ Die vergangenen zwölf Monate hätten gezeigt, was Deutschland und China gelingen könne, wenn sie zusammenarbeiteten. Beispielhaft dafür stünden der Iran-Atomdeal und das Klimaschutzabkommen.

Chinesische Investitionen in Deutschland heftig diskutiert

Den jüngsten Streit um Aixtron – Steinmeiers Parteikollege, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, hatte Ende Oktober den Verkauf überraschend gestoppt – sprach der Außenminister nicht direkt an, meinte aber: „Chinesische Investitionen werden uns weiter sehr willkommen sein.“ Zugleich schränkte er ein: „Investitionen dürfen nie eine Einbahnstraße sein.“ Deutsche Unternehmen in China müssten ebenso wie chinesische Unternehmen in Deutschland über einen freien Marktzugang verfügen.

Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dessen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hatten am Tag zuvor ähnlich klare Worte gefunden, die bei der deutschen Wirtschaft besondere Genugtuung ausgelöst haben dürften. „Wir sollten keine defensive Haltung einnehmen zu chinesischen Investments in Deutschland“, hatte Schröder in seiner Keynote gesagt.

Fischer wurde konkreter und forderte von der Bundesregierung Klarheit darüber, welche deutschen Unternehmen an Chinesen verkauft werden dürften – und welche nicht. Niemand würde Deutschland kritisieren, wenn es seine Interessen definiere. „Auch China hat rote Linien“, sagte Fischer. Fritz Horst Melsheimer, Präses der Handelskammer, nahm ebenfalls kein Blatt vor den Mund. „Es ist bei der Konferenz sehr deutlich geworden, dass sich Hamburg als Speerspitze der sino-europäischen Beziehungen für chinesische Investitionen in Europa sehr stark macht.“

Was die Position Chinas zu Investitionen in Europa angeht, so blieben klare Worte Vizepremierministerin Liu Yandong vorbehalten. Deutschland und China müssten in dieser Frage ihre Meinungsverschiedenheiten beilegen, sagte die hochrangige Politikerin in ihrer Keynote zum Abschluss der Konferenz. Abschottung sei nicht der richtige Weg. Stattdessen sollten die EU und China möglichst rasch Regeln für Investitionen festlegen. Ausländische Investitionen seien in China sehr wohl willkommen.

Was Trump anging, fanden Ex-Außenamtschef Joschka Fischer und Australiens früherer Premierminister Kevin Rudd sowohl klare als auch zuversichtlich klingende Worte. Fischer hält es für denkbar, dass sich als Konsequenz aus der US-Wahl die Aufmerksamkeit der Welt verstärkt auf China richtet. „Nicht nur Europa wird nach Peking schauen.“ An ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und China glaubt Fischer auf mittlere Sicht zwar nicht. Allerdings sei der Prozess der Annäherung und des gegenseitigen Verständnisses in so unsicherer Zeit bedeutender denn je.

Sollten sich die USA künftig verstärkt mit sich selbst beschäftigen, biete das Chancen für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit von Europa und China, sagte Rudd, der als Kenner des asiatischen Riesenreichs gilt. Trump mache China für den Niedergang angestammter Industriezweige in den USA wie der Stahl- oder der Kohleindustrie verantwortlich und sehe in dem asiatischen Land zuallererst einen Gegner. Der aus Hongkong stammende Investmentbanker Victor L.L. Chu erwartet gar ein „goldenes Zeitalter“ in den europäisch-chinesischen Beziehungen.

Helmut Schmidt gilt als einer der Väter der China-Konferenz

An dem inzwischen siebten „Hamburg Summit: China meets Europe“ nahmen rund 300 Unternehmer und Politiker teil. Die zweitägige Konferenz zu den europäisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen findet seit 2004 alle zwei Jahre in Hamburg statt. Sie versteht sich als eine Plattform für den offenen Dialog zwischen Europa und China und soll der Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen dienen.

Geboren wurde die Idee zu dieser Konferenz in Gesprächen zwischen Altbundeskanzler Helmut Schmidt, Bürgermeistern der Hansestadt und der Handelskammer. Anders als viele andere Städte pflegt Hamburg seit vielen Jahrzehnten enge Handelsbindungen mit dem Reich der Mitte, nicht zuletzt wegen des Hafens. Rund ein Drittel des Containerverkehrs kommt aus China oder ist für dort bestimmt. Mit annähernd drei Millionen Standardcontainern, die hier umgeschlagen werden, ist die Volksrepublik mit Abstand Handelspartner Nummer eins des Hamburger Hafens. Und das seit Dekaden.

Die Handelsbeziehungen entwickelten sich in mehreren Schüben. Zunächst siedelten sich infolge der guten Beziehungen chinesische Schiffsmakler und Kontaktbüros in der Hansestadt an. Später wählten Reedereien die Hansestadt für ihren Deutschland- oder Europasitz aus. Schließlich kamen Firmen der gesamten Logistikbranche.

Im Jahr 2012 lag die Zahl der chinesischen Unternehmen in Hamburg bei 440. Heute sind es 520. Damit hat die Hansestadt London als größten europäischen Chinastandort abgelöst. Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, erwartet, dass sich nach dem Brexit weitere chinesische Firmen an der Elbe ansiedeln könnten, um den europäischen Markt im Blick zu haben. „In diesem Punkt sind Hamburg und London Konkurrenten, und unsere Wettbewerbsbedingungen haben sich durch den Brexit verbessert.“

Allerdings ist die große Abhängigkeit Hamburgs und seiner Wirtschaft von China nicht nur ein Segen. Nach dem enormen Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren hat sich die chinesische Konjunktur zuletzt merklich abgekühlt. Die Auswirkungen bekommt Hamburgs Hafen unmittelbar zu spüren. Dessen Seegüterumschlag wächst seitdem wesentlich langsamer als in den Jahren zuvor. Nicht zuletzt deshalb war der China-Gipfel für die Hamburger Wirtschaft besonders wichtig. Um neue Anknüpfungspunkte aufzubauen, hatte die Handelskammer im vergangenen Jahr eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, die sie zum Gründungsmitglied der Allianz von Wirtschaftsverbänden entlang der „neuen Seidenstraße“ machen soll. Mit diesem Projekt will sie das Reich der Mitte wie in alten Zeiten mit Europa verbinden. Dazu soll mit zahlreichen Infrastrukturprojekten in unterschiedlichen Ländern der Landweg zwischen Ost und West ausgebaut werden. Hamburg hofft, Endpunkt oder zumindest ein wichtiger Bestandteil der Verbindung zu werden.

„Es gibt keinen besseren End- und Knotenpunkt der land- und seeseitigen Seidenstraßenroute als Hamburg“, sagte Handelskammerpräses Melsheimer. Ex-Außenminister Joschka Fischer mahnte jedoch an, bei den Planungen Russlands Interessen nicht zu vergessen. Bürgermeister Olaf Scholz äußerte sich pflichtschuldig positiv über die neue Seidenstraße. Aber als Realpolitiker warb er zugleich für eine Flugverbindung zwischen Hamburg und Peking oder Shanghai und bat Chinas Vizepremierministerin dabei ausdrücklich um Hilfe.

Für den Hamburger Reeder und früheren Handelskammer-Präses Nikolaus W. Schües war der siebte Hamburg-Summit zugleich der letzte. Der 80-Jährige, der als „Conference Chairman“ charmant, stilsicher und souverän durch die zwei Tage der China-Konferenz führte, erklärte zum Abschluss, er wolle sein Amt in die Hände Jüngerer legen. Das tue er in dem Wissen, dass Hamburg ein positives Beispiel dafür sei, wie europäische und chinesische Unternehmen erfolgreich zusammenarbeiten könnten.