Seit 2014 tobt ein Kampf um die Handelskammer. Zwei Monate vor der Neuwahl des Plenums trafen sich Vertreter der drei um die Macht kämpfenden Gruppen zum Abendblatt-Streitgespräch

Jens Meyer-Wellmann

Seit 2014 ein Dutzend Kammerrebellen von „Die Kammer sind WIR“ in das Plenum der Handelskammer Hamburg einzogen, tobt ein Kampf um die Macht in dieser einfluss- und traditionsreichen hanseatischen Institution. Zur erneuten Wahl des Kammer-Parlaments im Januar und Februar 2017 treten drei konkurrierende Bündnisse an: die Rebellen von „Die Kammer sind WIR!“, die kürzlich gegründete Reformer-Gruppe „Unternehmer für Hamburg“ und die Traditionalisten des neuen Bündnisses „Vorfahrt für Hamburg“. In einem sehr kontroversen Streitgespräch beim Abendblatt haben Vertreter der drei Gruppen sich darüber auseinandergesetzt, wie die Zukunft der Kammer aussehen sollte: Tobias Bergmann für die Rebellen, Robin Houcken für die Reformer und Willem van der Schalk für die Traditionalisten.

Meine Herren, wie steht es um die Handelskammer? Ist alles gut am Adolphsplatz, oder muss sich diese altehrwürdige Institution ändern und den neuen Zeiten anpassen?

Robin Houcken: Eine Institution, die es schon lange gibt, tut gut daran, sich des Veränderungsdrucks bewusst zu sein. Die Kammer sollte sich zu einer modernen digitalen Interessenvertretung weiterentwickeln, also stärker auf neue Kommunikationsformen setzen. Außerdem plädieren wir für mehr Transparenz. Plenarprotokolle sollten ins Internet gestellt und Medien zu Plenarsitzungen zugelassen werden.

Willem van der Schalk: Wir sind mit der Struktur der Kammer zufrieden. Als Traditionalisten im besten Sinne wehren wir uns aber nicht gegen Veränderungen. Wir sind allerdings gegen die Öffnung des Plenums für die Öffentlichkeit – und zwar aus einem einfachen Grund: Wenn jede Diskussion in der Kammer am nächsten Tag in der Zeitung stehen würde, dann wären immer weniger Unternehmer bereit, sich hier zu engagieren. Wir wollen nicht, dass Schaufensterreden im Plenum gehalten werden, nur damit Medien dann daraus zitieren. Die Kammer ist in erster Linie eine Institution für ihre 160.000 Mitgliedsunternehmen, nicht für alle.

Tobias Bergmann: Die Kammer muss sich grundsätzlich ändern und neu ausrichten. Die Frage der Transparenz ist faktisch durchdiskutiert. Besorgen Sie sich einen Gewerbeschein für 50 Euro, dann können Sie an jeder Sitzung des Plenums teilnehmen. Was uns grundsätzlich unterscheidet: Wir wollen weg vom System der Zwangsbeiträge hin zu freiwilligen Beiträgen. Die Kammer braucht dieses Zwangssystem nicht und war auch in ihrer Tradition nicht darauf angewiesen. Außerdem glauben wir, dass an der Spitze der hauptamtlichen Struktur ein Neuanfang sinnvoll ist.

Houcken: Sagen Sie es doch: Sie wollen den Kopf von Hauptgeschäftsführer Schmidt-Trenz.

Bergmann: Es gibt zwei große Unterschiede zwischen uns und der aktuellen Kammerführung. 500.000 Euro für einen Geschäftsführer der Handelskammer finden wir nicht angemessen. Wenn er es für die Hälfte macht, könnten wir darüber reden. Es gibt aber außerdem sehr unterschiedliche Ansichten zwischen Herrn Schmidt-Trenz und mir darüber, wie die Kammer sich ausrichten soll. Und dann ist es wie in der Wirtschaft: Wenn ein neuer Aufsichtsrat eine andere Ausrichtung hat als ein Geschäftsführer, dann muss man über einen Personalwechsel nachdenken.

Würden Sie an Herrn Schmidt-Trenz festhalten, Herr van der Schalk?

Van der Schalk: Ja, ganz klar. Herr Schmidt-Trenz leistet hervorragende Arbeit. Er ist auch in der deutschen und in den europäischen Handelskammern vertreten. Das zeigt sehr deutlich, welche Wertschätzung ihm entgegengebracht wird.

Houcken: Ich sehe das genauso, und das ist auch unabhängig von der Frage des Gehaltes. Ich entscheide erst mal: Ist das die richtige Person. Den Vertrag kann man nach so langer Zeit kaum ändern. Wenn es irgendwann einen Generationswechsel gibt, dann wird es auch andere Verträge geben. Ein anderer Punkt: Wenn Sie die Pflichtbeiträge abschaffen, wird das Prinzip für kleine und mittelständische Firmen „Ein Unternehmen, eine Stimme“ gefährdet. Die Großen werden andere Verbände stärken, und da gilt das Prinzip: Wer zahlt, schafft an.

Van der Schalk: Sie haben ja gerade Schiffsmakler und Reeder als Mitstreiter präsentiert, Herr Bergmann. Da wollen manche, wie etwa Herr Hinneberg, 100.000 Euro an Gebühren sparen. Wenn er so viel Gebühren zahlt, muss er nach dem Berechnungsschlüssel 45 Millionen Euro Gewerbeertrag haben. Für die Kammer aber will er nichts zahlen. Oder Ihr Unterstützer Herr Killinger von Buss, der nichts von den vielen Millionen, die er von der Stadt bekommen hat, in den Sozialplan für seine Mitarbeiter eingebracht hat. Sie arbeiten mit Ul­trakapitalisten zusammen, Herr Bergmann. Erklären Sie mal, wie das zur Kritik am Geschäftsführergehalt passt – und zum Ursprung Ihrer Gruppe, die ja aus einer ganz anderen Richtung kommt.

Bergmann: Na ja, ich kann’s an der Stelle Ihnen nie recht machen. Wenn ich die nicht hätte, würden Sie sagen: Ihr seid eine Grün-Linke-Verschwörung. Ich kann Ihnen aber versichern: Keiner dieser Herren will die Zahlungen einstellen. Sie stören sich vor allem an der Art, wie die Kammer derzeit organisiert ist.

Houcken: Das ist doch Augenwischerei. 800 Mitglieder der Kammer zahlen 50 Prozent der Beiträge. Wenn davon ein großer Teil nicht mehr zahlt, bekommt die Kammer ein großes Problem. Und zweitens wird es so sein, dass diejenigen, die freiwillig zahlen, bestimmen wollen, wohin die Reise geht. Da können kleine Firmen sich kaum noch einbringen.

Ein Argument gegen die Beitrags-Abschaffung lautet: Ohne sie funktioniert die duale Ausbildung nicht mehr – weil deren Gebühren zu 50 Prozent aus Kammerbeiträgen subventioniert werden.

Bergmann: Ein Blick auf andere Städte zeigt, dass man das anders organisieren kann. In Hannover werden die Ausbildungs- und Prüfungsgebühren von den Unternehmen allein getragen, dort bilden 4,2 Prozent der Betriebe aus. In Hamburg subventioniert die Kammer fast die Hälfte aus Zwangsbeiträgen – aber hier bilden nur 3,6 Prozent der Betriebe aus. In Stuttgart werden 100 Prozent von der Kammer getragen, und 4,0 Prozent bilden aus. Die Subventionierung hat also keinen Einfluss auf die Ausbildungsneigung der Unternehmen.

Van der Schalk: Heute kostet ein Auszubildender ein Unternehmen 280 Euro an Gebühren, ohne Subventionen wären es rund 560 Euro. Das wird Einfluss auf die Ausbildungsbereitschaft haben. Die duale Ausbildung ist der Trumpf, den wir haben. Das sollten wir nicht gefährden.

Aus der Kammer heißt es, Sie könnten die Beiträge gar nicht abschaffen. Das sei rechtlich regional nicht möglich.

Bergmann:Die Zwangsmitgliedschaft ist bundesgesetzlich geregelt, ebenso wie die Möglichkeit, Zwangsbeiträge zu erheben. Es gibt aber keine Pflicht, Zwangsbeiträge zu kassieren, wenn man die Kosten anders deckt.

Und wie wollen Sie das schaffen?

Bergmann: Durch freiwillige Beiträge. Wenn die Kammer gute Arbeit leistet, werden die Unternehmen gerne zahlen. Sichere Einnahmen durch Zwangsbeiträge führen dazu, dass Institutionen ineffizient werden. Die Handelskammer Hamburg könnte für 280 Euro Ausbildungsgebühren kostendeckend arbeiten, was andere Kammern beweisen.

Freiwillig heißt: Es kann sein, dass niemand zahlt. Dann wäre die Kammer am Ende.

Houcken: Stimmt. Geben Sie’s ruhig zu, Herr Bergmann, Sie wollen die Handelskammer abschaffen.

Van der Schalk: Wie wollen Sie denn ohne Gebühren all die Leistungen der Kammer finanzieren? Allein etwa im Außenhandel, bei Ursprungszeugnissen, Gutachten usw. Ich sage voraus: Die Unternehmen werden am Ende für die Leistungen mehr zahlen müssen.

Bergmann: Erstens hat die Subventionierung zu ineffizienten Strukturen geführt. Da kann man einiges effizienter gestalten. Ich glaube zweitens auch nicht, dass niemand bereit ist, Beiträge zu zahlen, wenn die Kammer gute Arbeit macht. Schauen Sie sich doch Gewerkschaften oder Kirchen an. Oder die Handelskammern in der Schweiz. Die funktionieren alle ohne Zwang.

Houcken: Sie gehen den falschen Weg. Wenn Sie die Pflichtmitgliedschaft abschaffen wollen, müssen Sie sich in der Bundespolitik dafür einsetzen, die das entscheiden könnte. Aber Sie gehen hier in eine funktionierende Institution in Hamburg und planen ihre Schwächung durch eine Art feindliche Übernahme.

In jedem Fall dürfte die Summe der Beiträge sinken, wenn Sie auf Freiwilligkeit umstellen. Wie viele Kammer-Mitarbeiter werden entlassen? Welche Leistungen für Firmen würden Sie streichen, Herr Bergmann?

Bergmann: Wir würden die Beiträge ja nicht von heute auf morgen umstellen, sondern binnen drei Jahren. Deswegen würde es auch keine Entlassungen geben müssen.

Van der Schalk: Das mit den drei Jahren haben Sie bisher auch nie gesagt.

Bergmann: Das haben wir immer betont, es kann keinen Kaltstart geben.

Mal weg von den Beiträgen: Welche Rolle soll die Handelskammer künftig in dieser Stadt noch spielen?

Houcken: Ich glaube, der Einfluss der Kammer und das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft waren für Hamburgs Entwicklung ein Erfolgsrezept. In den letzten 60 Jahren ist Hamburg als eine der wenigen Wirtschaftsmetropolen sehr erfolgreich von SPD-Senaten regiert worden. Auch weil die Wirtschaft immer ein starkes Sprachrohr in der Kammer hatte.

Van der Schalk: Für mich ist die Handelskammer ein ganz wichtiges Regulativ, egal, wer die Regierung stellt. Sie ist nicht politisch und soll es auch nicht werden. Sie soll aber mit der Politik einen Dialog darüber führen, was aus Sicht der Wirtschaft wichtig ist. Das Gute an der Kammer ist ja gerade, dass hier ganz unterschiedliche Wirtschaftsbereiche und Berufsgruppen zusammenkommen. Dadurch können sich auch Berufsgruppen Gehör verschaffen, die sonst nicht wahrgenommen würden.

Bergmann: Die Kammer hat vor allem ein Problem: Sie lebt von einer Art Unfehlbarkeitsdogma. Beim Nichteingestehen von Fehlern wirkt sie manchmal wie die katholische Kirche. Auch sollte sie sich mit allgemeinpolitischen Aussagen zurückhalten. Man kann nicht Zwangsmitgliedschaft und die Freiheit von polemischen Reden gleichzeitig haben. Die Kammer hat laut Gesetz eine Aufgabe: die Interessen der Wirtschaft der Politik transparent zu machen. Punkt.

Sie spielen auf die Rede von Präses Melsheimer zum Ehrbaren Kaufmann an, bei der er sich etwa auch zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr geäußert hat. Einiges aus der Rede ist laut Gerichtsurteil nicht mit dem Gesetz vereinbar – das verbietet der Kammer nämlich allgemeinpolitische Aussagen. Muss ein Kammerpräses sich wirklich zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr äußern? Und woher nimmt er zu solchen Fragen eigentlich die Kompetenz?

Van der Schalk: Das wird ja nach dem Urteil nicht mehr passieren. Da bin ich ja auch bei Herrn Bergmann, die Kammer soll sich um die Wirtschaft kümmern. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass die Meinungsfreiheit auch für einen Kammerpräses gelten muss. Ich würde niemals irgendwo hingehen und jemandem sagen: Du darfst jetzt hier deine Meinung nicht sagen.

Ein Vorwurf, der oft gemacht wird: Die Kammer wolle das Beste aus zwei Welten. Auf der einen Seite ist sie als Körperschaft öffentlichen Rechts staatlich abgesichert und kassiert Zwangsbeiträge - auf der anderen bezahlt sie ihre Topleute aber nicht etwa wie vergleichbar hohe Richter oder Hochschul-Präsidenten, sondern wie Top-Manager der freien Wirtschaft. Und sie will sich auch nicht an das sonst für (halb)staatliche Bedienstete geltende Mäßigungsgebot halten. Wie passt das zusammen?

Houcken: Herr Melsheimer gehört ja als Präses zum Ehrenamt und ist kein Angestellter der Kammer. Ich finde diese Rede zu Silvester, in der der Präses der Politik die Leviten liest, ist eine charmante Einrichtung. Sie wurde übrigens nicht von der Kammer erfunden, sondern von der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns. Und zu der Grundsatzfrage: Bei öffentlich-rechtlichen Sendern, die ebenfalls aus Pflichtbeiträgen finanziert werden, ist trotz der öffentlich-rechtlichen Rechtsform sichergestellt, dass der Staat gerade keinen Einfluss üben darf. Da gilt die Selbstverwaltung, die wie das ZDF-Urteil zeigt, auch immer mal wieder verteidigt werden muss. Wie beim Kammerwesen. Das sollte auch so bleiben.

Schiffsmakler Hinneberg, Mitstreiter der Kammerrebellen, hat gesagt, die Kammer sei eine „aufgeblähte Eitelkeitsmaschine“. Hat die Handelskammer vielleicht ein Imageproblem?

Houcken: Bei den Unternehmern weniger, in der Öffentlichkeit vielleicht schon. Natürlich hat man z. B. mit einem solchen wuchtigen Gebäude eine besondere Wahrnehmung. Aber das hat historische Wurzeln und gehört auch zur Kultur der Wirtschaftsmetropole. Ich selbst will für das Geld, das ich zahle, eine starke Interessenvertretung und will nicht, dass die Kammer schwach gemacht wird.

Van der Schalk: Die Kammer macht ja auch gerade einen Wandel durch. Wir durchlaufen einen Generationswechsel, und die jüngeren Vertreter im Plenum sind keinesfalls nur bei der WIR!-Gruppe zu finden. Da lernen die Älteren auch von den Jüngeren, wie die Eltern von ihren Kindern lernen.

Bergmann: Ja, die Kammer hat ein Imageproblem. Und bestimmte Dinge nimmt die aktuelle Kammerführung auch nicht richtig wahr. Nehmen Sie die Morgensprache, diese elitäre Veranstaltung mit roten Kostümen und historischen Szenen. Das kommt in Hamburg überhaupt nicht an. Trotzdem wird es seit Jahren gemacht und soll auch fortgeführt werden.

Was wären die ersten drei Veränderungen, die Sie in der Kammer umsetzen würden, wenn Sie eine Mehrheit bei der Plenarwahl bekämen?

Houcken: Wir würden die Transparenz-Initiative starten, von der wir vorhin schon gesprochen haben. Zweitens würden wir dafür sorgen, dass die Kammer auch dezentral, also etwa in den Stadtteilen, präsenter wird. Und drittens wollen wir den beitragsbefreiten und gemeinnützigen Unternehmen die Möglichkeit zum Austritt aus der Handelskammer geben.

Van der Schalk: Wir wollen die Kammer noch stärker gegenüber der Politik machen und den kritischen Dialog forcieren. Zweitens wollen wir die duale Ausbildung weiter fördern und stärken – und dabei auch weiter besonderen Wert auf die Integration von Flüchtlingen legen. Und wir würden uns intensiv für einen Bürokratieabbau einsetzen.

Bergmann: Wir wollen in der ersten Sitzung beschließen, dass von nun an öffentlich getagt wird. Zweitens wollen wir einen Beschluss fassen, dass die Kammer in drei Jahren keine Zwangsbeiträge mehr erhebt. Drittens: Wir wollen die duale Ausbildung stärken und modernisieren – auch für Flüchtlinge und für Menschen, deren ursprüngliche Ausbildung mit Mitte 40 durch die Digitalisierung entwertet worden ist. Für solche Leute muss die Kammer eigene Angebote machen.