Vom Einzeltäter bis zu straff organisierten Banden, die Fahrzeuge „auf Bestellung“ stehlen – das Risiko, in der Hansestadt gefasst zu werden, ist gering. Die Erfahrungen eines Kripo-Beamten

Andreas Schweinsberg sitzt in seinem Büro im Polizeikommissariat 33 am Wiesendamm in Winterhude; seit mehr als einem Jahr befasst sich der Erste Hauptkommissar als Sachgebietsleiter Einbruch/Kfz für die Region Nord schwerpunktmäßig mit Autodiebstählen und -aufbrüchen. Ein Job, der ihn und seine Kollegen fordert. Es gibt reichlich zu tun. Denn hier geht es um ein Massendelikt. Für Schweinsberg aber keinesfalls nur Routine. „Jede Tat ist eine zu viel“, sagt der Beamte. Als Floskel will der Polizist den Satz nicht missverstanden wissen: Abgesehen vom materiellen Schaden und dem möglichen Ärger mit der Versicherung nach einem Diebstahl, nehme das Auto im Leben vieler Menschen eine wichtige Rolle ein. Nach wie vor gilt den Deutschen das Auto als wichtigstes Statussymbol. Und wer damit Schindluder treibt, kriegt es in Hamburgs Norden mit Schweinsberg zu tun.

Schweinsberg wacht über ein 68 Quadratkilometer großes Gebiet mit 320.000 Einwohnern. Vier Polizeikommissariate liegen hier – und Hunderte von Tatorten rund um Autos. Die Kriminellen unterscheiden sich in Methoden, Struktur und Zielen. Hier der spontane Einzeltäter, der eine Handtasche auf dem Rücksitz sieht und mit einem Stein die Scheibe einschlägt. Dort organisierte Banden, die mit Fachwissen, Spezialwerkzeug und Software ganze Stadtteile nach geeigneten Autos oder Zubehör absuchen. Häufig, so Schweinsberg, handele es sich dabei um Autoknacker aus Osteuropa.

Bis Ende Juni 2016 sind im Bezirk Nord laut Senat 192 Autos gestohlen und vermutlich gleich nach Osteuropa gebracht worden. 278 waren es in Mitte, 236 in Wandsbek. Im Vorjahr war der Bezirk Nord von insgesamt 467 Diebstählen und einem Anstieg von 46 Fällen gegenüber dem Vorjahr betroffen. Für den Umfang der kriminalpolizeilichen Maßnahmen seien der Wert des gestohlenen Autos und Tatumstände – beispielsweise Seriendiebstähle – ein Gradmesser, sagt Schweinsberg. Liegt der Zeitwert bei rund 40.000 Euro, kümmert sich im LKA zen­tral für ganz Hamburg eine Dienststelle für Fahrzeugverschiebungen um den Fall.

Viel zu befürchten haben die Täter in Hamburg aber offenbar nicht: Bei Autodiebstahl liegt die Aufklärungsquote stadtweit aktuell zwischen acht und neun Prozent, bis Ende Juni lag sie in der Kategorie Diebstahl von Gegenständen aus Kfz bei nicht mal drei Prozent. Allerdings weist die Hamburger Polizei darauf hin, dass sich die Fallzahlen beim Diebstahl rund um das Auto insgesamt auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau befinden. Doch warum werden Diebe so selten gefasst? Für die Polizei seien professionelle Autodiebe äußerst schwer zu kriegen, sagt Schweinsberg, sie hinterließen meist kaum brauchbare Spuren, schlügen punktuell und blitzschnell zu. Häufig vergingen zwischen Aufbruch, Ausbau der technischen Systeme und Flucht nur wenige Minuten. Vielleicht jault beim Aufbruch einmal kurz die Alarmanlage auf. Doch wer von dem schnell wieder verstummenden Lärm nachts hochschrecke, denke meist an Fehlalarm und verständige deshalb nicht die Polizei. Lokale Brennpunkte, die eine Prognose zuließen, wo Täter als nächstes zuschlagen, gebe es nur selten. Was man weiß: Diebe bevorzugen ein geringes Entdeckungsrisiko und kurze Fluchtwege. Dunkle, schlecht ausgeleuchtete Plätze und die Nähe zum öffentlichen Personennahverkehr können schon eine günstige Tatgelegenheit bieten. Daran gemessen, dürfte es Abertausende von günstigen Gelegenheiten in Hamburg geben. Sie alle im Auge zu behalten, sei unmöglich, „obwohl die Polizei schwerpunktmäßig zivile und uniformierte Beamte einsetzt“, sagt Schweinsberg.

Spricht der Beamte von hochprofessionalisierten Banden, meint er, dass Diebe eine Art „Einkaufsliste“ abarbeiten und beschaffen, was gewünscht ist. Wer einen Range Rover 3.0 ordert, kriegt einen Range Rover 3.0; zur Not durchkämmen die Kriminellen die Viertel eben so lange, bis sie dieses Fahrzeug finden und knacken. Überhaupt stünden hochwertige Modelle hoch im Kurs: Luxusgefährte von Land Rover, BMW, Audi, VW, aber auch Old- und Youngtimer. Dass allein 2015 in Hamburg mehr als 25 historische Porsche gestohlen worden sind, ist kein Zufall – ihr Wert ist in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert.

Noch viel häufiger als der Diebstahl kompletter Autos ist der Diebstahl aus Fahrzeugen. Bei stadtweit gesunkener Aufklärungsquote zeichnet sich auch in diesem Deliktfeld für 2016 eine leichte Steigerung ab. Bisher hat die Polizei 11.379 Taten registriert, hochgerechnet aufs Jahr ergibt das fast 17.100 Kfz-Aufbrüche – 2015 waren es noch 16.725 Fälle. Begehrt ist alles, was sich schnell zu Geld machen lässt: Multimediasysteme, Navigationsgeräte, Airbags. Wenn die Diebe dabei rabiat vorgehen, kann der Schaden am Auto den Wert der gestohlenen Systeme leicht übersteigen. Dabei kommt es sogar vor, dass einzelne Autobesitzer mehrfach Opfer eines Diebstahls werden. Kfz-Sachverständige berichteten dem Abendblatt von Haltern, deren Wagen bis zu dreimal aufgebrochen und ausgeräumt worden sind.

Begehrt ist, was schnell Geld bringt: Navi, Airbag, Multimediasysteme

Schweinsberg schränkt ein: „Das ist Zufall. Wer ein hochwertiges Auto hat und entsprechend teure Navigationsgeräte verbaut hat, steht nun mal eher im Fokus der Diebesbanden.“

Zu viel will Schweinsberg über die konkrete Vorgehensweise der Täter aber nicht verraten. Während Diebe bei älteren Modellen auf klassische Aufbruchmethoden setzen – Schlossstechen oder Lock-Picking –, nutzen sie bei moderneren Auto-Modellen elektronische Schwachstellen gezielt aus. Störsender, sogenannte „Jammer“, seien ein „großes Problem“. So können sich Diebe beispielsweise auf einem Supermarktparkplatz postieren und mit dem Gerät die Funkverbindung zwischen Auto und Funkschlüssel unterbrechen. Mit der Folge, dass die Türen, vom Besitzer unbemerkt, nicht verriegeln und der Dieb danach in aller Ruhe das Auto leerräumen kann. „Prüfen Sie sicherheitshalber, ob die Tür wirklich verschlossen ist“, rät Schweinsberg.

Manchmal bemerken Autobesitzer noch nicht einmal, dass ein Dieb ihr Auto geknackt hat. Schweinsberg kennt Fälle, in denen ein „sauberes“ Navigationsgerät gegen ein baugleiches, aber gestohlenes ausgetauscht wurde. Der simple Grund: Die „sauberen Navis“ tauchen nicht in den Fahndungslisten der Polizei auf. Zu besonderer Vorsicht rät der Beamte auch bei den populären Keyless-Schließsystemen. Hier sendet das Auto unablässig Signale aus. Befindet sich der passende Schlüssel in der Nähe, wird die Tür automatisch entriegelt, das Auto ist fahrbereit. Mit einem Reichweitenverlängerer für rund 100 Euro kann das Signal mehrere Hundert Meter weit verlängert werden. Ohne einen weiteren Handgriff kann der Dieb dann das Auto öffnen und wegfahren – während der Schlüssel in der Wohnung liegt. Der ADAC hat mehr als 50 Fahrzeuge mit Keyless-System getestet. Bisher war kein Modell dabei, das nicht auf diese Weise gestohlen werden könnte.

Schweinsberg rät den Autobesitzern, die Attraktivität des eigenen Wagens für Diebe durch kluge Vorsorge zu schmälern. Natürlich mache es Sinn, den Wagen sicherheitstechnisch aufzurüsten, gerade hochwertige Fahrzeuge profitieren davon. Die Industrie bietet eine breite Palette technischer Lösungen, von der schlichten Kralle bis zur Alarmanlage mit satellitengestützter Ortungsfunktion (s. Extratext), die einen unbefugten Zugriff und den Standort des Fahrzeugs über ein Smartphone dem Besitzer meldet. Doch was nutzt die beste Technik, wenn der Mensch versagt? Wer Wertgegenstände offen im Auto liegen lässt, könne dem Dieb ebenso gut eine Einladungskarte schreiben. „Einige Diebe interessiert schon eine Sonnenbrille, andere schlagen wegen einer wertvollen Regenjacke die Scheibe ein“, sagt der Beamte.

Auch eine Tiefgarage sei nur dann sicher, wenn deren Nutzer umsichtig agierten. Nicht wenige Täter nutzten den kurzen Augenblick, in dem das Tor noch geöffnet ist, um in die Tiefgarage einzudringen. „Am besten ist es, wenn man wartet, bis das Tor wieder ganz unten ist“, sagt Schweinsberg. Das sei vielleicht etwas umständlich. Doch Sicherheit und Diebstahlschutz gebe es nun mal nicht zum Nulltarif.