Angekommen in Deutschland Der Syrer Hanna Saliba kam als Seemann in die Bundesrepublik und kochte sich in die Herzen der Hamburger

Matthias Iken

Abenteuerlustig war Hanna Saliba schon immer: Als 20-Jähriger verließ er seine Heimat Syrien, um in Bremervörde an die Seefahrtsschule zu gehen. Nach vielen Jahren auf See gründete er an der Osterstraße sein erstes von elf Restaurants; heute betreibt er noch das Saliba in den Alsterarkaden. Der 65-Jährige verrät, wie er Syriens Zukunft sieht, was er von Merkels Politik hält – und warum Labskaus ihm bei der Integration half.

Herr Saliba, können Sie die Bilder des Krieges in Ihrer Heimat überhaupt noch ertragen? Oder schalten Sie einfach ab, wenn in den Fernsehnachrichten die Bilder des zerstörten Aleppo gezeigt werden?

Hanna Saliba: In der Tat habe ich genau das ein paar Wochen gemacht. Ich konnte dieses Thema einfach nicht mehr aushalten. Sehen Sie, ich hatte früher in Hamburg insgesamt elf Restaurants. Wenn Sie in jedem Restaurant jeden Tag 50 Gäste haben, sind das pro Restaurant 350 in der Woche. Entsprechend viele Hamburger kennen mich. Wenn ich dann hier auf der Terrasse in den Alsterarkaden meinen Mokka trinke, werde ich wieder und wieder gefragt: Hanna, was ist mit Deinem Land?

Ihre Antwort?

Ich sage, dass dort barbarische Zustände herrschen. Ich sehe Bilder im Fernsehen von Aleppo. Und genau dort, wo gerade eine Bombe alles zerstört hat, habe ich vor ein paar Jahren noch deutsche Gäste durch die Gassen geführt. Ich habe mit ihnen geredet, gelacht, gefeiert.

Hätten Sie das Ausmaß des Bürgerkriegs in Syrien jemals für möglich gehalten?

Nein, das war für mich unvorstellbar. In Latakia, der syrischen Hafenstadt am Mittelmeer, bin ich mit muslimischen Kindern in ein Gymnasium gegangen, wir Christen hatten an den christlichen Feiertagen frei, die Muslimen an ihren. Wir haben immer friedlich miteinander gelebt, waren Freunde. Mädchen mit einem Kopftuch gehörten zur Minderheit. Es war eine sehr liberale Stadt.

Wodurch kam der Hass ins Land?

Von außen. Vor allem Saudi-Arabien hat da eine ganz, ganz schmutzige Rolle gespielt. Ich denke zudem an die Botschaften des Senders Al-Dschasira und an die vielen Hassprediger. Leider stelle ich jetzt fest, dass viele meiner Landsleute für religiösen Fanatismus empfänglich geworden sind.

Unter Baschar Hafiz al-Assad galt das Land vor den Unruhen aber auch nicht gerade als ein Hort der Menschenrechte.

Das ist richtig. Aber der Westen macht einen großen Fehler, wenn er glaubt, er könnte seine demokratischen Werte mal eben in den arabischen Raum exportieren. Mir war schon beim Arabischen Frühling klar, dass dies ein arabischer Traum bleiben wird. Die religiösen Strukturen sind viel zu fest.

Aber in Tunesien und in Ägypten sind die Machthaber innerhalb weniger Tage aus dem Amt gedrängt worden.

Aber in Syrien konnte das nicht funktionieren. Seit 1971 regieren dort die Assads, erst der Vater, dann der Sohn. Dieses über Jahrzehnte aufgebaute Assad-System können sie nicht einfach wegbomben. Ich frage mich, was macht der Bundesnachrichtendienst oder das Auswärtige Amt? Warum wissen die offenbar so wenig über die politische Situation in unserem Land? Sie hätten mich oder andere Syrer fragen sollen, wir hätten ihnen gesagt, wie unser Land tickt.

Der Westen sollte also den Dialog mit Assad suchen?

Ja, alles ist besser als dieser schreckliche Krieg. Der Westen hat viel zu früh auf Assad verzichtet. Ich bin niemand, der ihn verteidigen möchte. Aber die Menschen in Syrien hatten es damals definitiv besser als jetzt. Auch mit seinen Feinden muss man reden.

Wie ist das Leben im Land derzeit?

Das ist von Region zu Region verschieden. In Aleppo steht kein Stein mehr auf dem anderen, da haben sie fast alles plattgemacht. In meiner Heimatstadt Latakia ist das Leben dagegen relativ sicher. Aber die Stadt ist völlig überfüllt, da viele Menschen innerhalb des Landes hierher geflohen sind. Vor dem Bürgerkrieg hatte Latakia 400.000 Einwohner, jetzt sind es 1,4 Millionen. Unsere Kirche dort hat Gruppen gebildet mit jeweils vier Einheimischen. Jede Gruppe muss sich um 40 Flüchtlinge kümmern, vor allem um Lebensmittel und Schlafplätze. Auch meine Nichte hilft da mit. Aber diese Gruppen sind völlig überfordert, deshalb sammeln wir hier in Hamburg und überall in Deutschland, um sie zu unterstützen.

Geld oder Lebensmittel?

Geld, man kann in Latakia fast alles kaufen. Dort werden gerade jetzt sagenhafte Partys gefeiert. Die Leute wissen, dass sie jeden Tag sterben können. Also feiern sie richtig ausgelassen.

Wie viele Ihrer Geschwister leben noch in Syrien?

Noch fünf, die anderen fünf sind wie ich seit Jahren im Ausland. Am liebsten hätte ich sie alle nach Deutschland geholt. Aber das ging nicht mehr. Sie hätten nicht mehr mit dem Flugzeug fliegen können, weil wir nicht mehr für alle Visa hätten organisieren können. Aus Syrien wären sie nur noch über eine der Flüchtlingsrouten rausgekommen. Das war uns zu gefährlich.

Wie kamen Sie 1971 nach Deutschland?

Kurioserweise genau auf der gleichen Route wie viele Flüchtlinge jetzt. Über Istanbul, Bulgarien, durch das ehemalige Jugoslawien, durch Ungarn und Österreich. Alles mit dem Bus, mit der Bahn oder zu Fuß. Wir hatten kein Geld für ein Flugticket.

Aber Sie sind nicht geflohen­ …

... nein, ganz legal ausgereist. Ich stand als Kind oft am Strand von Latakia, sah den Horizont und wusste, ich will einmal das Meer erobern. Ich wollte Kapitän werden. Und damals wurden in Deutschland Leute für die Seefahrt gesucht. Mit Freunden habe ich dann den Kontakt zur Seemannsschule in Bremervörde bekommen. Nach einem dreimonatigen Sprachkurs im Libanon sind wir dann nach Deutschland gereist. Den größten Schock hatten wir in Stuttgart, als der Zug plötzlich wieder rückwärts aus dem Bahnhof fuhr. Meine Freunde und ich dachten, wir werden wieder zurückgefahren. Das Wort Kopfbahnhof hatten wir nie vorher gehört.

Und die Ankunft in Hamburg?

Wir kamen an einem Juni-Tag gegen 22 Uhr in Hamburg an und dachten, Bremervörde sei gleich um die Ecke – die 17 D-Mark, die wir zusammenhatten, würden fürs Taxi schon reichen. Aber der Taxifahrer wollte 90 D-Mark. Zufällig kam genau in dem Augenblick ein Syrer aus unserer Stadt vorbei, der uns erkannte. Er war drei Jahre zuvor nach Deutschland gegangen. Er hat uns dann in die Jugendherberge auf dem Stintfang gebracht. Am nächsten Morgen sind wir dann nach Bremervörde gefahren.

Das Lernen am Anfang war bestimmt hart. Sie konnten ja nur ganz wenig Deutsch.

Ich habe davon profitiert, dass wir zunächst in der Ausbildung zum Matrosen im Einsatz waren, dann erst begann die Kapitänsausbildung.

13 Jahre nach Ihrem ersten Matrosen-Einsatz haben Sie Ihre Karriere auf hoher See schon wieder beendet. Warum so früh?

Ich hatte ein Schlüsselerlebnis mit meinem damaligen Ersten Offizier. Der wurde eines Tages in die Funkbude gerufen, ein Alarmzeichen, denn auf hoher See wurde man eigentlich nur in dringenden Familienangelegenheiten angefunkt. Als er auf die Brücke kam und Tränen in den Augen hatte, befürchtete ich das Schlimmste. Doch dann sagte mein Kollege, ein richtiger, großer, blonder Teutone: „Mein Junge war dran und hat mir stolz erzählt, dass er das erste Mal im Stehen gepinkelt hat.“ Da habe ich mir gesagt, so ein Funkgespräch möchte ich später nicht erleben. Denn meine Frau und ich wollten ja Kinder.

Stattdessen wurde aus dem Seebär Saliba ein erfolgreicher Gastronom, obwohl Sie nie eine entsprechende Ausbildung gemacht ­haben.

Essen war mir schon immer ganz wichtig. Und ich war sehr wählerisch. Meistens mochte ich das Familienessen als Kind nicht, also hat meine Mutter mir immer extra etwas gemacht. Ich habe dann versucht, mich zu erinnern, wie meine Mutter gekocht hat. Mit welchen Gewürzen, mit welchem Gemüse. Das Problem: Die Zutaten konnte man in Hamburg nicht kaufen, Auberginen etwa gab es in Dosen aus Bulgarien.

Sie sind also ein klassischer Autodidakt.

Ja, ich habe auf dem Schiff immer genau zugesehen, wie der Smutje das macht, und ihn mit Fragen bombardiert. Und später habe ich als Student viele Schichten am Hafen gemacht. War harte Arbeit, gab aber 160 D-Mark für zwei Schichten. Und von diesem Geld habe ich dann meine Frau in sehr gute Restaurants eingeladen.

Und wie fanden Sie die deutsche Küche?

(lacht): Ganz ehrlich, in den ersten drei Monaten in Bremervörde im Internat habe ich nur Bananen gegessen. Ich konnte das Essen dort einfach nicht runterkriegen. Aber das hat sich dann geändert. Am Ende war die deutsche Küche sogar daran beteiligt, dass ich die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen habe.

Wie das denn?

In Hamburg hat man mir erst den deutschen Pass verweigert, meine Jahre auf hoher See würden nur zur Hälfte zählen, denn da sei ich ja auch im Ausland gewesen. Ich müsste schon nachweisen, dass meine Integration an Bord wirklich gelungen sei. Die Kollegen haben mir dann bescheinigt, dass der Hanna durchdreht, wenn er nicht mittags Labskaus und abends Schweinshaxe auf den Teller kriegt. Dann hat es funktioniert. Das war übrigens das erste Mal, dass ich das Wort Integration gehört habe.

Heute wird kaum ein Begriff in der politischen Landschaft so oft benutzt. Teilen Sie die „Wir schaffen das“-Ansicht der Kanzlerin?

Ja, schon aus humanitären Gründen gab es keine Alternative zu ihrem Kurs. Und 99 Prozent der Flüchtlinge sind geflohen, weil sie in ihrer Heimat wirklich alles verloren haben. Die Integration wird nicht leicht, gerade bei den Älteren. Aber auch die Jüngeren müssen Toleranz lernen, die Sprache allein reicht nicht. Wir haben in unserem Restaurant mehrere Flüchtlinge eingestellt, zunächst als Praktikanten, dann als Auszubildende und nur gute Erfahrungen gemacht. Aber klar, wenn hier die Christopher-Street-Day-Parade vorbeizieht, gibt es schon mal den einen oder anderen Spruch.

Sie sprachen von 99 Prozent. Was ist mit dem übrigen ein Prozent. Sind das gefährliche Islamisten?

Das sind auf jeden Fall Leute, die man im Auge behalten und um die man sich besonders kümmern muss.

Viele Marokkaner, Afghanen und Iraker geben sich als Syrer aus, um leichter politisches Asyl zu bekommen.

Ich verstehe nicht, warum nicht einfach 100 Syrer eingestellt werden, um dies zu überprüfen. Denn anhand ihres Dialekts würden wir sofort merken, wenn jemand nicht aus Syrien kommt.

Wann waren Sie das letzte Mal in Ihrer Heimat?

Vor drei Jahren, jetzt ist es einfach zu gefährlich.

Haben Sie dennoch Hoffnung, dass Sie irgendwann in den nächsten Jahren wieder mit deutschen Touristen nach Syrien reisen können?

Nein, dieser Konflikt wird auch in den nächsten Jahren nicht zu lösen sein. Sehen Sie, es gibt in Syrien so viele teils verfeindete Glaubensrichtungen wie Sunniten, Alawiten, Schiiten, Christen, Drusen, Jesiden und Juden. Dazu kommen die vielen ethnischen Abstammungen. Araber, Kurden, nicht zu vergessen fast 700.000 Flüchtlinge aus Palästina und dem Irak. Wie soll da ein Neuanfang gelingen?

Also kein Happy End?

Streichen Sie das Happy, das End ist schon da.

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ehemalige Chef der Hamburger Wasserwerke