Serie, Teil 7: Der Konkurrenzkampf der Einrichtungen wird immer schärfer. Doch wie kann man die Qualität eines Heims überhaupt beurteilen?

Die Botschaft auf der Startseite könnte empathischer kaum sein. Mit dem Slogan „Willkommen zu Hause“ begrüßen die „Geschwister Jensen“ die Besucher im Internet. Dann wirbt der Pflegeheimbetreiber mit Fotos der Seniorenzentren Böttcherkamp (Lurup), St. Klara und Dr. Carl Kellinghusen (beide Bergedorf) und stellt die rhetorische Frage: „Sich wohlfühlen, Freunde gewinnen und gut behütet sein, wer wünscht sich das nicht im Alter?“

Vergebens sucht man indes auf der Internetseite Fotos vom Seniorenzen­trum Röweland in Langenhorn. Aus gutem Grund: Im Juli entschied das Bezirksamt Hamburg-Nord, das Heim zu schließen. Kontrollen der Wohn-Pflege-Aufsicht zeigten, dass von einem gut behüteten Leben für die 143 Bewohner keine Rede sein konnte. Die Prüfer fanden gravierende hygienische Mängel und nach Informationen der Tageszeitung „Die Welt“ sogar vergammelte Lebensmittel in den Zimmern. Manche Bewohner waren mangels ausreichender Flüssigkeitszufuhr regelrecht ausgetrocknet.

Andere waren wund gelegen, weil sie im Bett nicht ausreichend bewegt wurden. Bereits im Juni 2015 hatte Röweland eine ganze Station mit 50 Bewohnern schließen müssen, da die Fachkräftequote nicht erfüllt wurde. Im Juni 2016 stellten die Prüfer erneut gravierende Mängel fest, machten strenge Auflagen. Laut Behördensprecherin Katja Glahn waren die Zustände bei einem späteren Kon­trollbesuch noch schlimmer geworden.

Skandal trifft die Branche zu einem ungünstigen Zeitpunkt

Jetzt ruhen die Hoffnungen auf den Berliner Betreiber Cura, der das Heim übernommen hat. Der Verband der Ersatzkassen (VdeK), federführender Verband der Pflegekassen in Hamburg, warnt indes: „Allein ein Wechsel des Betreibers ist keine Garantie dafür, dass eine gute Versorgung der pflegebedürftigen Bewohner gelingt.“

Der Röweland-Skandal trifft die Branche zum ungünstigsten Zeitpunkt, denn die Pflegeheime in Deutschland stehen unter Druck wie wohl noch nie. Und dabei geht es mitnichten nur um Negativschlagzeilen wegen gravierender Missstände in der Pflege.

Die Politik hat mit dem Pflegestärkungsgesetz II, das in entscheidenden Teilen erst 2017 greifen wird, die Heimbetreiber vor große Herausforderungen gestellt. Nochmals wurde der Vorrang „ambulant vor stationär“ gestärkt – kein Wunder, in Umfragen sagen 90 Prozent der älteren Menschen, dass sie so lange wie möglich daheim bleiben möchten. In der Praxis wird dies dazu führen, dass noch mehr Senioren erst bei schwerer Pflegebedürftigkeit in ein Heim ziehen werden. „Heime werden zu Spezialeinrichtungen für schwerstpflegebedürftige und sterbende Menschen“, warnt die Arbeiterwohlfahrt, wodurch wiederum den Personalbedarf massiv steige. Die Bertelsmann-Stiftung schätzt, dass 2030 eine halbe Million Pflegekräfte fehlen werden. Ist eine gute Pflege dann überhaupt noch machbar?

Zudem darf künftig kein Heim mehr den Eigenanteil erhöhen, wenn die Pflegebedürftigkeit steigt. Das ist zwar im Sinne der Bewohner, sorgt aber dafür, dass die Kalkulation für die Heime deutlich schwieriger wird.

Der wirtschaftliche Druck ist schon jetzt unverkennbar. Die Heime Kummerberg (Pinneberg) sowie Elbmarsch (Elmshorn) der Regio Kliniken mit 252 Plätzen und 150 Mitarbeitern gelten seit Jahren als Sanierungsfälle. Im Juni 2017 sollen beide Häuser geschlossen werden, die Gewerkschaft Ver.di hat sogar einen Gehaltsverzicht angeboten, um zumindest ein Haus zu retten. 2014 meldete die Caritas-Tochter „Wohnen & Soziale Dienstleistungen GmbH“, Betreiber von fünf Pflegeheimen in Hamburg, sogar Insolvenz an. Als Grund wurde der Verdrängungswettbewerb angeführt, in Hamburg gebe es ein Überangebot. Die Auslastung der Heime in Hamburg liegt im Schnitt bei 90 Prozent. Das klingt nur auf den ersten Blick gut, Branchenkenner sind überzeugt, dass viele Heime angesichts der hohen Investitions- und Personalkosten auf eine Auslastung von über 98 Prozent angewiesen sind. Viele kleine Häuser in privater Trägerschaft dürften diesen Konkurrenzkampf kaum überleben.

Nun muss mehr Wettbewerb für den Kunden kein Nachteil sein. Pflege-Staatssekretär Karl-Josef Laumann (CDU) sagt, dass der Konkurrenzdruck auch dafür gesorgt habe, dass bundesweit die Zahl der ungeliebten Doppelzimmer in Heimen gesunken sei. Der Wettbewerb sorge für mehr Qualität.

Nur: Wie misst man diese Qualität? Welches Heim ist wirklich gut? Wie findet man heraus, welches Heim für seinen pflegebedürftigen Angehörigen am besten ist? Letztlich beschäftigt genau diese Frage jeden Pflegebedürftigen und seine Angehörigen.

Im Idealfall müsste es für Heime so etwas geben wie die Urteile der Stiftung Warentest, von „sehr gut“ bis „mangelhaft“, genau wie für Fernseher oder Handys. Eben diesen Versuch hat die Bundesregierung 2008 mit den Pflegenoten gestartet. Seitdem prüft der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) anhand von 82 Kriterien die Heime in Bereichen wie medizinische Versorgung, soziale Betreuung und Hygiene.

Inzwischen taugt der „Pflege-TÜV“ als veritabler Beleg für „gut gemeint, schlecht gemacht“. Denn sogar Heime, die wegen Mängeln geschlossen werden mussten, hatten zuvor die Note „sehr gut“ – eine Folge des Webfehlers im System. „Die Heime können schwere Pflegefehler, etwa eine falsche Medikamentenausgabe, zum Beispiel durch eine besonders leicht lesbare Speisekarte ausgleichen. Da reden wir wohlgemerkt nicht einmal über die Qualität des Essens, sondern darüber, wie man die Karte lesen kann. Das ist absurd“, kritisiert Laumann. Er hätte das Notensystem gern 2015 gekippt, was jedoch am Widerstand der SPD scheiterte. Jetzt wird weiter geprüft, während zeitgleich Wissenschaftler an einem neuen Prüfsystem tüfteln. Frühestmöglicher Start: 2018.

Die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz geht nun einen eigenen Weg. Über eine Verordnung mit dem sperrigen Titel „Wohn- und Betreuungsdurchführungsverordnung“ (WBDurchfVO) werden Pflegeheime nunmehr regelmäßig geprüft. „Wir prüfen vor allem, inwieweit die Einrichtung das Leitbild der Selbstbestimmung und Teilhabe ihrer Klienten umsetzt“, sagt Marco Kellerhof, Abteilungsleiter Pflege. Als Beispiele nennt Kellerhof, dass die Bewohner selbst entscheiden können, wann sie schlafen gehen oder aufstehen wollen oder ob sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl ihrer Speisen haben. Geprüft werde auch, ob sichergestellt sei, dass Fahrten der Bewohner zu Familienfeiern oder Arztterminen organisiert werden. Für die Prüfungen werden Mitarbeiter, Bewohner und Angehörige befragt. Die Ergebnisse landen abgestuft nach Zielerreichung – von „nicht erreicht“ bis „in vollem Umfang erreicht“ – im Internet.

Während die Gewerkschaft Ver.di den Hamburger Weg positiv sieht („Er schützt die Bewohnerinnen und Bewohner vor den Folgen von Missmanagement“), kritisieren die Betreiber der Hamburger Pflegeheime, organisiert in der Hamburgischen Pflegegesellschaft (HPG), die Verordnung scharf. Allein durch die zusätzliche Dokumentation entstünden den Heimen Kosten von elf Millionen Euro im Jahr. Zudem seien manche Kriterien nicht nachvollziehbar.

Als Beispiel aus dem Prüfkatalog nennt die HPG, dass jetzt beurteilt werde, wie die Pflegekräfte die Bewohner aktivieren, eine „Auswahl zu treffen, zum Beispiel beim Ankleiden.“ „Wie soll das geprüft werden?“, fragt die HPG.

Gewerkschaft plädiert für mehr Lohngerechtigkeit in Heimen

Für den Münchner Pflegekritiker Claus Fussek sind solche Prüfungen nur herausgeschmissenes Geld, das man besser in die Pflege investieren solle. Zumal jede Prüfung nur eine Momentaufnahme sei; von Station zu Station könnte die Qualität im selben Heim völlig unterschiedlich sein. Er plädiert für schärfere, unangemeldete Kontrollen und harte Sanktionen bei Missständen.

Norbert Proske, bei Ver.di Hamburg zuständig für den Bereich Gesundheit, plädiert auf dem Weg zu besseren Heimen für mehr Gerechtigkeit. Derzeit hätten 70 Prozent der Pflegekräfte in Hamburg keinen Tarifvertrag: „Bei dem Fachkräftemangel in der Pflege gibt es auch einen Wettbewerb um die besten Arbeitsbedingungen. Einrichtungen ohne Tarifvertrag und ohne Betriebsrat gelingt es eben nicht, die Beschäftigten zu behalten und Stellen zu besetzen.“

Der Bundesverband der Berufsbetreuer kämpft für mehr Zeit für die vielen Heimbewohner, um die sie sich als gesetzlich eingesetzte Betreuer kümmern. Derzeit werden pauschal nur zwei Stunden im Monat pauschal vergütet.

Unternehmensberater bieten ihre Dienste an, um Heime zu sanieren. Und PR-Experten wollen Heimleiter schulen. Im Branchenblatt „Carekonkret“, laut Eigenwerbung „die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege“, erklärt Markus Resch, Inhaber der Agentur Macondo, den richtigen Umgang mit einem Skandal: „Journalisten sind Jäger. Die kriegen jeden. Das ist ihr Job. Deswegen muss die Krise vorbereitet sein.“

Lesen Sie am Montag Teil 8:
So belastet sind pflegende Angehörige