Serie, 4. Teil: Die meisten Pflegebedürftigen möchten möglichst lange in den eigenen vier Wänden bleiben. Aber die Familien brauchen auch Entlastung. In immer mehr Häusern werden vor allem Demenzkranke stundenweise betreut

Das Fischgräten-Parkett, die tiefen Sessel und die dunkel getäfelten Wände der Stadtvilla atmen Exklusivität. In der Bibliothek wartet man förmlich auf den Butler, der jetzt in eleganter Livree Tee und Gebäck reicht. Und Tee trinken die Herrschaften in der Tat, serviert hat ihn allerdings eine Altenpflegerin. Eine alte Dame erzählt von ihrer Flucht aus Ostberlin in den 1950ern. „Berlin“, sagt dann einer der Senioren, „die Stadt kenne ich. Das ist unsere Hauptstadt.“

Willkommen in der Tagespflege Ottensen der Diakonie Alten Eichen. Täglich werden hier Seniorinnen und Senioren betreut, die sich einsam fühlen oder pflegebedürftig sind. Manches machen sie gemeinsam, wie Singen, Tanzen oder Essen, manches aber auch in getrennten Gruppen, je nach Lust und Laune. An diesem Vormittag werden neben Erzählungen aus der eigenen Biografie in der Bibliothek noch Gedächtnistraining sowie Qigong, eine chinesische Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform, angeboten.

Insgesamt 35 Einrichtungen der Tagespflege gibt es in Hamburg. Die Bezeichnung zeigt, was Sprache anrichten kann. Tagespflege, das klingt nach dem Verwahren betagter Menschen in Schlafsaal-ähnlichen Häusern. Wesentlich treffender wäre der Begriff Senioren-Club, ein Treff, wo gemalt, gebastelt, gesungen, gebacken, gelacht und gekocht wird.

Von einem Club sprechen die Fahrer denn auch, wenn sie morgens die Tagesgäste mit einem Kleinbus abholen. Es bedarf zuweilen großer Überredungskünste. Die meisten der Klienten sind dement, manche in einem sehr fortgeschrittenen Stadium, wo Veränderungen häufig als Bedrohung begriffen werden. Doch die Fahrer sind geschult. Und ein Satz überzeugt in der Regel auch einen völlig ablehnenden Gast: „Die Damen und Herren im Club warten doch bereits auf Sie.“

„Schwierig ist es oft für die Angehörigen, wenn ihr Partner überhaupt nicht das Haus verlassen will,“ sagt Birgit Fenner, die neben der Einrichtung in Ottensen noch die Häuser in Wellingsbüttel und St. Georg leitet. Es lohne sich dennoch, den Pflegebedürftigen zu bestärken: „Unsere Tagesgäste leben in aller Regel schon kurz nach der Ankunft richtig auf.“

Tagespflege boomt in Hamburg. Über 1300 Pflegebedürftige nutzen inzwischen dieses Angebot, mehr als doppelt so viele wie 2010. Die meisten kommen an ein, zwei oder drei Tagen in der Woche. Die Tagespflege ist nicht nur für die Angehörigen wichtig, die zumindest für etwa acht Stunden abschalten können, Zeit für sich haben. „Auch unsere Klienten profitieren von unseren Angeboten sehr“, sagt Fenner.

Diese sind speziell auf alte Menschen zugeschnitten. Im Wohnzimmer steht ein altes Grammofon, auf dem Plattenspieler in der Vitrine werden vor allem Volkslieder und Klassik aufgelegt. Manchmal kommt auch ein Musiker für ein kurzes Privatkonzert, Besuche von Theaterstücken und Ausstellungen sorgen für Abwechslung. Wichtig ist Fenner, dass die alten Herrschaften bei allen Einschränkungen so autonom wie möglich in der Einrichtung leben können. Der Garten kann immer aufgesucht werden. Und was es mittags zu essen gibt, wird am Vortag demokratisch entschieden. Nur beim Thema Mittagsruhe ist das Personal etwas bestimmter – aus gutem Grund wird darauf geachtet, dass die Gäste, die in den Liegesesseln einnicken, nach etwa 30 Minuten geweckt werden. „Sonst die Gefahr zu groß, dass der Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander gerät“, sagt Fenner.

Gerade bei Demenz ist dies eine große Gefahr. Viele Erkrankte sind nachts häufig wach, irren mitunter durch die Wohnung, was den Rest der Familie oft ans Ende aller Kräfte bringt. Im Alzheimer Therapiezentrum Ratzeburg, einem Haus speziell für völlig erschöpfte Angehörige, gibt es oft nur einen großen Wunsch: endlich mal wieder ein paar Tage am Stück durchzuschlafen. Der chronische Schlafmangel in Kombination mit der physisch wie psychisch überaus anspruchsvollen Pflege macht den Pflegenden oft selbst zum Patienten. In langen Gesprächen vermitteln die Therapeuten vor allem, auf sich selbst zu achten. Und dazu gehört insbesondere, dass die Familien die Demenzkranken verstärkt in Tagespflegeeinrichtungen unterbringen. „Wer überhaupt keine Zeit für sich selbst mehr hat, bricht irgendwann zusammen“, sagt Chefarzt Synan Al-Hashimy.

Auch die Politik hat den Wert von Tagespflegeeinrichtungen erkannt. Die Pflegekassen unterstützen den Besuch stark. Die Zuschüsse richten sich nach der Pflegestufe (Pflegestufe I bis zu 450 Euro, Pflegestufe II bis zu 1100 Euro, Pflegestufe III bis zu 1550 Euro im Monat). Wie hoch der Eigenanteil am Ende ist, hängt vor allem von der Zahl der gebuchten Tage ab – nähere Informationen gibt es bei den einzelnen Einrichtrungen (alle Häuser sind im „Großen Hamburger Pflegeratgeber“ aufgeführt, siehe Kasten in der rechten Spalte). Das Sozialamt kann bei Pflegebedürftigen mit einem geringen Einkommen diesen Eigenanteil auf Antrag übernehmen, wird allerdings gut verdienende erwachsene Kinder dazu auffordern, sich zu beteiligen (mehr zum Thema Elternunterhalt lesen Sie in der morgigen Abendblatt-Ausgabe).

Kurzzeitpflege wird in Hamburg verstärkt angeboten

Doch was passiert, wenn pflegende Angehörige mal mehr als acht Stunden am Tag Entlastung brauchen? Wenn sie ohne den pflegebedürftigen Vater, die pflegebedürftige Mutter ein paar Wochen verreisen möchten? Oder wenn das Haus renoviert werden muss? Auch hier gibt es inzwischen verstärkt Angebote in der sogenannten Kurzzeitpflege. In Hamburg haben sich zwei Häuser mit insgesamt 52 Plätzen (Haus Weinberg im Rauhen Haus in Hamm sowie Haus Hortensie im Hospital zum Heiligen Geist in Wandsbek) auf diese Gäste spezialisiert. Zudem gibt es in vielen Pflegeheimen Plätze, die extra für Kurzzeitpflege angeboten werden. Für maximal acht Wochen unterstützen die Pflegekassen die Kurzzeitpflege, nähere Informationen gibt es bei den Pflegestützpunkten in den Bezirken.

Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, aber weder rehafähig sind noch von ihrer Familie versorgt werden können, profitieren seit Januar 2016 vom neuen Krankenhausstrukturgesetz mit weiteren Leistungen im Bereich der Überleitungs- und Kurzzeitpflege.

Konkret betriff dies Patienten, die wegen schwerer Krankheit – insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, einer ambulanten Operation oder einer ambulanten Krankenhausbehandlung – ihren Haushalt vorübergehend nicht mehr selbst führen können. Jetzt haben sie Anspruch auf Haushaltshilfe für bis zu vier Wochen, wenn es keine Kinder im Haushalt gibt. Und sogar für bis zu 26 Wochen, wenn ein Kind unter zwölf Jahren im Haushalt lebt.

Die Kassen zahlen zudem seit Januar 2016 auch bei fehlender Pflegebedürftigkeit die Kurzzeitpflege, wenn Patienten nach einer schweren Krankheit vorübergehend nicht zu Hause versorgt werden können. Sie fielen zuvor durch alle Versorgungsnetze, mussten den Aufenthalt selbst zahlen. Experten raten, sich frühzeitig an den Sozialdienst des Krankenhauses zu wenden, um keine Ansprüche zu verschenken.

Lesen Sie morgen: Kinder haften für ihre Eltern – wenn die erwachsenen Töchter ohne Söhne für ihre pflegebedürftigen Eltern aufkommen müssen