Angekommen in Hamburg. In dieser Interviewreihe sprechen Zugewanderte über ihre Grenzgänge zwischen den Kulturen. Heute: Sternekoch Wahabi Nouri über den Weg nach oben

Wahabi Nouri, Inhaber des Sterne­restaurants Piment am Lehmweg, gehört zu den bekanntesten Köchen der Stadt. Im Abendblatt spricht der 46-Jährige über Couscous und Kartoffelsalat, über Parallelgesellschaften und die Rettung des Piments.

Sie sind in Casablanca geboren, kamen mit vier Jahren nach Frankfurt und sind dann viel umhergezogen. Wo liegt Ihre Heimat?

Wahabi Nouri: Ich bin als ganz kleiner Junge hierhergekommen, da fühle ich mich eher deutsch als marokkanisch. Das merke ich bei Fußball-Weltmeisterschaften. Da drücke ich Deutschland die Daumen. Und wenn Deutschland gegen Marokko spielen würde, dann würde mein Herz für beide Seiten schlagen.

Mit vier kamen Sie nach Frankfurt. Wie sehen Ihre ersten Erinnerungen aus?

Nouri: Als Erstes sind mir in Deutschland die Rolltreppen aufgefallen. Das war aufregend wie eine Achterbahn, ich hatte zuerst sogar Angst, da raufzugehen.

Wie lange braucht man als Kind, um in einem fremden Land anzukommen?

Nouri: Das geht wahnsinnig schnell, man entdeckt die neue Welt spielend. Ich habe schon bald nicht mehr an Marokko gedacht.

Ihr Vater kam als Gastarbeiter nach Frankfurt und arbeitete dort als Elektroinstallateur, Ihre Mutter war Hausfrau. Wie wird man da Koch?

Nouri: Ich bin durch meinen Bruder Koch geworden. Er ist drei Jahre älter und hat nach der Schule eine Kochlehre begonnen. Sein neues Wissen hat er dann zu Hause ausprobiert, und ich durfte sein Assistent sein, sein Lehrling. So begann meine Liebe zum Kochen.

Kocht er immer noch?

Nouri: Ja, er ist weltweit unterwegs, zurzeit arbeitet er in Uruguay. Ich bin mir sicher, er hätte sich auch einen Stern erkochen können. Er ist der bessere Koch, vielleicht aber nicht so konstant wie ich.

Woher rührt Ihre Konstanz?

Nouri: Ich hatte das Glück, dass ich parallel in einer deutschen Familie groß geworden bin, bei einem deutschen Ärztepaar aus der Nachbarschaft. Die fanden mich offenbar so süß und haben mich dann mit aufgezogen. So wurde ich deutsch sozialisiert, etwa bei Wochenenden in ihrem Wohnwagen.

Sie haben viele Stationen vor Ihrer Selbstständigkeit ausprobiert, von Wohlfahrt bis Witzigmann. Wer hat sie besonders geprägt?

Nouri: Mich haben viele geprägt, ich habe nach der Realschule meine Kochlehre begonnen. In Berlin habe ich dann die österreichische Küche kennengelernt, bei Harald Wohlfahrt später französisch gekocht.

Und Ihre Lieblingsküche heute?

Nouri: Marokkanisch. Meine Mutter hat immer sehr gut marokkanisch gekocht. Und auf Klassenfahrten, bei Freunden oder der Gastfamilie kam ich dann mit der deutschen Küche in Berührung: Sauerkraut, Gulasch, Rinderrouladen. Sogar mit Fleischwurst. Die hätte ich eigentlich gar nicht essen dürfen, aber der Metzger sagte, es sei Kalb.

Spielte Religion bei Ihnen zu Hause eine wichtige Rolle?

Nouri: Ja, mein Vater ist sehr gläubig. Zu Hause durften wir uns auch nur marokkanisch unterhalten, damit wir die Sprache nicht verlieren. Meine Eltern haben das Ende meiner Lehre abgewartet und sind dann zurück in die Heimat.

Wie haben denn Ihre Freunde damals auf die marokkanische Küche reagiert?

Nouri: Sehr gut, die wollten immer wiederkommen. Eingelegte Zitronen, Kreuzkümmel, Koriander, das kannte damals kaum jemand. Die Gerüche, das selbst gebackene Brot meiner Mutter, das waren für meine Kameraden ganz neue Erlebnisse.

Und wie haben die Nachbarn reagiert? Damals waren ja Schimpfwörter wie Kümmeltürke oder Knoblauchfresser in Mode ...

Nouri: Extrem positiv. Wenn wir gegrillt haben, kamen die Nachbarn und wollten probieren. Ich habe mit Rassismus eigentlich überhaupt keine Erfahrungen gemacht. Ich bin in einem Dorf in der Nähe von Raunheim aufgewachsen, da gab es auch schon einige Ausländer.

Was mögen Sie gern an deutscher Küche?

Nouri: Von meiner deutschen Oma habe ich zwei Dinge übernommen: Rinderrouladen und Kartoffelsalat. Dieses wunderbare Geräusch vom Verrühren der Kartoffeln in der Porzellanschüssel, dieses Schmatzen prägt mich bis heute. Herrlich. Deshalb biete ich auch Kartoffel­salat hier im Restaurant an – zur Verwunderung mancher Gäste.

Ihre Küche ist geprägt von der besonderen Gewürzkultur Marokkos, Sie haben Würze in die heimische Küche gebracht. Bringt Zuwanderung insgesamt Würze in eine Gesellschaft?

Nouri: Auf jeden Fall. Ein Kartoffelsalat kann durch Koriander und eine Salz­zi­trone sehr viele Aromen dazugewinnen.

Es gibt Menschen, die glauben, es kommen zu viele Einwanderer. Und obendrein die falschen.

Nouri: Ich kenne diese Ängste. Aber nur die wenigsten Menschen kommen ja freiwillig, die meisten sind auf der Flucht, haben viel Schmerz und viel Leid erfahren. Wir sollten ihnen nicht mit Angst, sondern mit offenen Herzen begegnen.

Derzeit kommen viele Afghanen und Syrer nach Deutschland und werden auch unsere Esskultur mitprägen – gibt es bald einen syrischen Döner? Der ist ja auch in Berlin noch einmal neu erfunden worden.

Nouri: Lassen wir uns überraschen. Klar ist: Die Zuwanderung hat den deutschen Speiseplan ungeheuer bereichert und geprägt. Die syrische Küche ist schon jetzt ganz gut vertreten und bekannt. Die afghanische Küche ähnelt der türkischen, sie setzt auf Gegrilltes und Reis.

Wenn Sie nicht marokkanisch kochen würden, welche Richtung fasziniert Sie am meisten?

Nouri: Vermutlich würde ich dann ein französisches Restaurant eröffnen. Es verwundert, dass es in Hamburg gar nicht so viele Angebote gibt. Vielleicht sind sich die deutsche und die französische Küche am Ende zu ähnlich – abgesehen von Gänseleber. Zu Hause koche ich übrigens deutsch. Mein bald 15-jähriger Sohn würde für ein Schnitzel und Bratkartoffeln jedes Couscous stehen lassen.

Haben die Deutschen einen Minderwertigkeitskomplex wegen ihrer Küche?

Nouri: Mittlerweile nicht mehr, früher schon.

Gelernt haben Sie beim Weingut Nack in Bischofshei­m, 1990 wechselten Sie zum Bamberger Reiter nach Berlin. Danach haben Sie in Dreisternehäusern wie der Schwarzwaldstube in Baiersbronn und der Aubergine in München gearbeitet. Was hat Sie in den Norden verschlagen?

Nouri: Ich lebte damals in Frankfurt und war zu Besuch in Hamburg. Hier habe ich meine Frau, sie stammt auch aus Marokko, kennengelernt. Ich wollte eigentlich schon früher nach Hamburg kommen – und dachte damals ans Landhaus Dill. Als ich dann im Jahr 2000 hierherzog, bekam ich ausgerechnet dort eine Stelle als Küchenchef angeboten. Kurze Zeit später ergab sich die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen – und ich gründete mit einem Küchenhelfer das „Piment“. Mein Traum war immer ein kleines Restaurant mit einem Stern. Dass er so schnell in Erfüllung ging, war natürlich nicht zu erwarten.

War der Anfang schwierig?

Nouri: Ja, der war extrem schwierig. Ich fürchtete schon, wir wären zu exotisch. Die ersten zwei Monate liefen gut, dann kamen immer weniger Gäste, und wir wollten schon von der marokkanischen Küche in Richtung Brasserie wechseln. Der Stern war dann die Erlösung, er hat alles verändert. Es gibt in Hamburg genug Menschen, die eine gute Küche sehr schätzen und genießen.

Manche sagen doch, der Stern mache vor allem Arbeit.

Nouri: Nein, im Gegenteil. Von diesem Tag an waren wir permanent ausgebucht. Er hat uns unheimlich geholfen, auch weil er eine Bestätigung war, dass unsere Küche gut ist.

Träumen Sie von einem weiteren Stern?

Nouri: Ich koche so gut ich kann. Wenn mehr kommen sollten, wäre das gut. Wenn nicht, sind wir auch zufrieden.

Wie lautet Ihr persönlicher Ratschlag für Menschen, die nun ins Land kommen?

Nouri: Mein Vater hat immer gewollt, dass wir intensive Kontakte zu Deutschen haben. Die deutsche Sprache war ihm wichtig. Zwar hat er uns selbst marokkanisch erzogen, er war aber dagegen, dass wir zu viel mit Landsleuten zu tun haben, so wie er selbst. Sein Deutsch blieb immer schlecht, meine Mutter sprach noch weniger: Ich glaube, sie waren mit dem Herzen bei ihrer Familie, mit den Gedanken immer in Marokko. Deshalb sind sie dann auch später zurück in die Heimat. In einem fremden Land muss man aber sofort die Sprache lernen, um voranzukommen.

Heute ist es einfacher geworden, unter sich zu bleiben. Stichwort Parallelgesellschaften.

Nouri: Ja, die gibt es. Vielleicht sogar mehr als früher. Aber da muss sich jeder Einzelne auch ein wenig zu seinem Glück zwingen.

Angela Merkel hat gesagt, wir schaffen das. Stimmen Sie ihr zu?

Nouri: Ich habe sie so verstanden, dass die Kanzlerin nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa meinte. Dann wären die Zahlen auch deutlich niedriger gewesen. Als reicher Kontinent sollten wir mit der Herausforderung der Flucht eigentlich fertig werden. Stattdessen gehen die einzelnen Länder sehr stark in die Defensive, es werden Zäune und Mauern errichtet und Deals gemacht, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind. Europa steht nicht geschlossen da, im Gegenteil: Europa ist mittlerweile so groß geworden, dass die Idee Europa nicht mehr von allen in der gleichen Intensität geteilt wird.