Auf der größten Wiese der Stadt zügelt Airport-Jäger Markus Musser den Lauf der Natur weder mit Gewehr noch mit Gewalt. Stattdessen hilft ihm der Fuchs bei seiner Arbeit neben den Start- und Landebahnen. Auf Pirsch mit einem, der auszieht, nicht schießen zu müssen

    Anfahren, bremsen, anfahren, bremsen. So geht das jetzt schon eine halbe Stunde. Immer wieder stoppt Markus Musser den Geländewagen, um erklärend tätig zu werden. Jetzt steigt er sogar aus, lässt den Motor laufen, verschwindet auf einer Wiese, bückt sich, pflückt etwas und sitzt schon wieder hinterm Lenkrad. In seinen Händen: ein paar Halme. Und noch bevor man sich wundern kann, sagt er: „Spitz­wegerich! Kann man essen.“ Dann geht es kauend Richtung Südwesten, immer an der Landebahn längs, der Faszination Flughafen entgegen.

    Es ist kurz vor 5 Uhr, noch ist die Sonne nicht aufgegangen. Nur mühsam schält sich der Hamburger Airport aus dem Dunst der Dämmerung. Erstaunlich, dass Markus Musser überhaupt etwas erspähen kann. Der Spitzwegerich – ein Meisterwerk.

    Musser ist ein Mann mit vielen Sommersprossen und noch mehr Ahnung. Allerdings nicht von Flugzeugen. „Da bin ich regelmäßig überfragt“, sagt er. Seine Expertise bezieht sich auf Flora und Fauna, seit zwölf Jahren arbeitet er als Förster und Jäger am Flug­hafen. Vor allem, um die Sicherheit der Passagiere zu gewährleisten. Denn der Airport sei zwar „ein umweltfreundlicher Flughafen, aber eben kein Naturschutzgebiet mit Abflugmöglichkeit“. Deshalb hindert er Kaninchen daran, die Startbahnen zu unterhöhlen, und passt auf, dass die Population der Stare nicht römisches Ausmaß erreicht. Grundsätzlich vergrämt er alles, was bei Piloten das „psychologische Problem“ eines Vogelschlags hervorrufen könnte, denn gefährdet sind Jets überwiegend in Flughafen­nähe bei Start und Landung. Heute ist der Jäger seit 4.30 Uhr unterwegs, um sein Revier zu kontrollieren.

    Da setzt Musser zum nächsten Stopp auf dem Wirtschaftsweg an. Dieses Mal erregt ein Fasan seine Aufmerksamkeit, der offenkundig wenig Lust verspürt, den Weg zu räumen. Erst als der Geländewagen die körperliche Unversehrtheit des Tieres bedroht, bewegt sich der Vogel zur Seite. „Scheu sind hier die wenigsten Tiere“, sagt Musser. Denn mehr als den Höllenlärm der Flugzeuge müssten sie nicht fürchten. „Ich schieße nur bei Gefahr in Verzug“, sagt Musser. „Das kann man pro Jahr an einer Hand abzählen.“

    Während in den Terminals schon das Boarding für die 6-Uhr-Flüge läuft und auf dem Rollfeld langsam Bewegung in die Armada der Gepäckwagen kommt, gehört der Bereich der Start-und-Lande-Bahnen noch ganz allein dem Airport-Jäger. Ihm und einer recht vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt, über der jetzt, während sonst Dauergrollen herrscht, eine eigentümliche Ruhe liegt. Noch schläft der Betrieb auf dem gewaltigen Areal, das mit 250 Hektar die größte zusammenhängende Wiesenfläche der Stadt ist. „Ich finde es morgens am schönsten“, sagt Musser. „Bevor der Flughafen erwacht, schaffe ich am meisten.“

    Schaffen heißt heute: Einmal um die Start-und-Lande-Bahnen, Pflanzen und Tiere gucken. Dabei kennt der 37 Jahre alte Förster sein Revier – und in dem Fall stimmt’s mal – wie seine olivgrüne Westentasche. Er weiß um die drei Fuchsfamilien, die im eingezäunten Gelände leben und die immer­gleichen Wege benutzen. Und er sieht mit Argwohn den Austernfischer, der irgendwo in der Nähe brütet und zur Futtersuche ausgerechnet auf die ungemähte Wiese flattert. „Der steht unter Naturschutz, ist aber schwer zu vergrämen. Außerdem ist er groß genug, um für Flugzeuge zum Problem zu werden.“ Da sind Musser die Lerchen lieber, die gerade exakt dort, wo sich die Landebahnen kreuzen, ihre Singwarte in 30, 40 Metern Höhe einnehmen und aufgeregt die Wiesen beschallen, noch bevor die ersten Triebwerke starten.

    Gemessen am recht monotonen Lebensraum – baumlos, geprägt von Lärm – hat sich eine beeindruckende Vielfalt an Kräutern und Gräsern ausgebildet. Unterschiedlichste Insekten wissen das ebenso zu schätzen wie Kriechtiere, kleine Nager und zahlreiche Vögel. Die abwechslungsreiche Mahd, zweimal im Jahr wird die Wiese gestutzt, ist nicht grundlos beliebtes Futter, etwa bei den anspruchsvollen Bewohnern von Hagenbecks Tierpark.

    Die meisten Flughafentiere, sagt Musser, machen keine Probleme auf der Verkehrsfläche. Kaninchen oder Mäuse werden erst kritisch, wenn dadurch Bussarde oder Falken angelockt werden, die wiederum bei Kollisionen mit Flugzeugen erhebliche Schäden verursachen. Die Notlandung des Airbusses A320 im New Yorker Hudson River etwa wurde von einem Vogelschwarm ausgelöst, beide Triebwerke waren beschädigt worden. In Hamburg gab es 2015 nur zwei größere Vogelschläge, einer davon verursacht durch einen Austernfischer. Die restlichen Begegnungen waren glimpflich, kleine Beulen. „Die Airlines sind zufrieden mit unserer Bewirtschaftung.“

    Als Geheimwaffe gegen Nager setzt Hamburgs Airport-Jäger auf die Füchse. Sie seien mehr Partner als Gegner. Darüber hinaus versucht Musser, das Gelände des Flughafens so unattraktiv wie möglich für Tiere zu gestalten. Einerseits wird mit dosierter und sparsam eingesetzter Pyrotechnik gearbeitet, andererseits mit einem Falkner, der mit seinen Greifvögeln anderen Tieren die Botschaft überbringt: Hier seid ihr nicht auf der sicheren Seite. Leider kämen Möwen trotzdem und vor allem nachts. „Für die bräuchten wir noch einen Uhu“, so Musser. Um 6 Uhr steht der Förster an der Landebahn und sieht dem ersten Flieger beim Start zu. Sehnsucht? „Nein“, sagt Musser, während er sich die Finger wieder aus den Ohren zieht. „Privat fliege ich nicht gern.“

    An der Flughafen-Tour können Sie selbst
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