Liebe Juliane, der Himmel war auf Deiner Seite. Er war mitunter blau, meiner meist grau. In schwachen Momenten habe ich mich gefragt, wie viele Wörter es im Friesischen für Regen geben mag, ob die kleinen Tropfen des Sprühregens anders heißen als die dicken eines Landregens. Dann kam mir die Durchhalteparole aus verregneten Kindertagen in den Sinn: Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Kleidung. Weisheiten aus der Prä-Goretex-Ära. Damals trug man gelben Ostfriesennerz.

    Wetter ist, was man daraus macht. Die See ist ein nordischer Charakter – kühl, tief, unverstellt. Wer Sonnengarantie erwartet, sollte in den Süden ziehen oder sich ein Solarium kaufen. Schönwetterkapitäne stören hier nur.

    Man entdeckt die Nordsee besser, wenn die Sonne den Urlauber nicht dauernd an den Strandkorb fesselt: einsame Wanderungen, kalte Bäder, heiße Saunen. Überraschende Museen, gemütliche Dorfkneipen und echte Freude über einen Sonnenstrahl. Die unendlichen Weiten des Kniepsands, die alten Friesenhäuser und eine philosophische Tiefe. Sie ist in den Kirchen, auf Friedhöfen mit sprechenden Grabsteinen, in der Geschichte der Küste allgegenwärtig. Fähren tragen Namen versunkener Städte, Kinos zeigen Sturmfluten in 3 D, und in den Kursälen sind Diaabende über Orkane unsterblich. Selbst wenn die See wie ein Ostseezwilling an den Strand schwappt, birgt sie das Geheimnis des Blanken Hans. Die Mordsee, die immer wieder die Küste heimsucht, die an Sylt zerrt, Deiche bricht und einstmals das stolze Rungholt vernichtete. Sie nötigt uns Respekt ab, die Nordsee schrumpft den Menschen auf Normalmaß zurück. Ein Bad lehrt Demut. Frischt der Wind auf, tost das große Meer im Westen, es umspült die Füße, es reißt an den Beinen, es wirft uns um.

    Die Nordsee ist kein Weichei, sie benötigt weder Neoprenanzug noch Postkartenlicht. Sie ist eine ehrliche Haut. So viel kann es gar nicht regnen, als dass man sich an die Ostsee sehnt.

    Die Nordsee ist unschlagbar.