Von Timmendorfer Strand zur Naturschutzstation und Spannendes über die Ostseetierwelt erfahren

    Ostsee, ich komme. „Einfach rauf auf die Promenade und dann nur noch geradeaus, da kannste nix falsch machen“, ruft mir der Mann vom Fahrradverleih hinterher. An diesem deutlich frischeren Morgen möchte ich die Lübecker Bucht auf zwei Rädern erkunden. Von Timmendorfer Strand nach Travemünde. Elf Kilometer steht auf einem Schild. Wer zügig durchfährt, schafft es vielleicht in 45 Minuten. Aber ich möchte mir Zeit nehmen, die Natur und den Ausblick genießen. Die Route führt bis auf zwei Pflichtschlenker direkt am Wasser entlang. Teilweise an kargen und steilen Felsen vorbei. Brodtener Ufer heißt die rund vier Kilometer lange Steilküste nahe dem Örtchen Brodten. Nur selten kommen mir auf der Strecke andere Fahrradfahrer oder Spaziergänger entgegen. Was kann es Schöneres geben, als sich so langsam am Meer wachzuradeln?

    Na vielleicht, wenn am Ziel schon jemand mit einer kleinen Stärkung warten würde? Als ich dann ganz am Anfang der Travemünder Promenade bei der „süßen Seebrücke“ bin, muss ich einfach anhalten. Einen besseren Ort für ein zweites Frühstück kann es nicht geben. Dass eine Strandbude mit einem solchen Namen nicht auf Wurststullen spezialisiert ist, versteht sich von selbst. Stattdessen gibt es selbst gebackenen Kuchen von Andi und Ve­rena.

    Die Stücke sind so groß, dass sich die Sache mit dem Mittagessen im Grunde erledigt hat. Und mit Blick aufs Meer schmeckt der Schmand-Mandarinen-Kuchen noch einmal besser als sowieso schon. „Viele Touristen kommen nach Travemünde, weil sie hier die großen Fährschiffe beobachten können“, sagt Inhaber Andi. „Heute ist ja wenig los, aber wenn sich ein Kreuzfahrtschiff angekündigt hat, platzt Travemünde aus allen Nähten.“

    Aber auf Schiffegucken hätte ich heute eh keine Lust. Das kann ich ja in Hamburg machen. Mein nächstes Ziel ist der Priwall. Das ist eine etwa drei Kilometer lange Halbinsel an der Mündung der Trave. Rüber geht’s mit einer Fußgänger- und Fahrradfähre, die den ganzen Tag über hin- und herpendelt. Wer aber – wie ich – glaubte, in einer Naturschutzgebiet-Idylle anzukommen, wird derzeit enttäuscht. Alles Baustelle. Hier soll bald die Priwall Waterfront entstehen, laut Homepage das „exklusivste Ferienresort“ an der Ostsee. Ach ja, und der berühmte Viermaster „Passat“ liegt hier auch – aber wie gesagt: Für mich heute keine Schiffe.

    Ich will lieber etwas mehr über die Ostsee erfahren und radle hinter der exklusivsten Baustelle der Ostsee entlang bis zur Ostseestation. „Komm einfach irgendwann rum. Ich bin immer da“, hatte mir der Betreiber und Meeresbiologe Thorsten Walter vorher am Telefon gesagt. Als ich eintrete, erklärt er gerade einer Gruppe von Kindern und Erwachsenen den Unterschied zwischen einer normalen Qualle und einer Feuerqualle, berichtet dann vom recht unromantischen Paarungsverhalten der Tiere und dass gerade viele der glibschigen Gesellen im Hafen rumtreiben würden. „Die hat die Strömung reingedrückt“, sagt Walter.

    Im Nebenraum mit vielen großen Aquarien geht’s dann von der Theorie in die Praxis. Seesterne auf die Hand nehmen und streicheln, Hummer füttern und Plattfische im Sand zählen. Der zwölfjährige Linus aus Nürnberg ist schon zum zweiten Mal mit seiner Mutter hier und kann mit Expertenwissen glänzen. Und so erklärt er seinen Altersgenossen, wo die Seesterne ihre Augen haben und wo Mund und Po sitzen. Thorsten Walter, der die Ostseestation 2007 aufgebaut hat, gelingt es, dass der Besuch für Erwachsene genauso spannend ist wie für Kinder (6 und 4 Euro Eintritt). Jedenfalls stellen die Eltern mindestens genauso viele Fragen wie der Nachwuchs. Dabei geht es immer wieder auch um die Unterschiede zur Nordsee. „Durch den niedrigeren Salzgehalt leben hier in der Ostsee in der Regel kleinere Fische“, sagt Walter. „Das ist für viele Tiere ein Stressfaktor, deswegen wachsen sie meist nicht so groß heran.“ Wieder was gelernt.

    Als die Kleinen gerade in einem Aquarium die Quallen beobachten, erzählt er den Erwachsenen, dass die Zukunft der Ostseestation ungewiss ist. Durch die Priwall-Waterfront müsse das Haus wohl Ende des Jahres abgerissen werden. Und für einen Neu­aufbau an anderer Stelle fehle das Geld. „Die Verhandlungen mit der Kur­verwaltung laufen noch.“

    Und dann gibt er uns Ostseetouristen noch ein paar gastronomische Hinweise mit. „Frisch aus der Pfanne“ habe meist nichts (aber auch gar nichts) mit „fangfrisch“ zu tun. Und die sogenannte Ostseeplatte nur selten etwas mit Fisch aus der Ostsee. Sondern? „Ostseeplatte heißt in der Regel nur, dass Bratkartoffeln dabei sind.“ Während er so redet, merke ich, dass ich Hunger bekomme. Und mein Zimmer (über Airbnb gebucht, 80 Euro) liegt ja praktischerweise direkt an der Vorderreihe in Travemünde. Also schnell dorthin und vertrauenswürdige Fischangebote suchen. Auf jeden Fall was Lokales. Meerforelle vielleicht oder Hering. Und wenn dann auch noch Bratkartoffeln dabei sind, dürfte es von mir aus auch „Ostseeplatte“ heißen.

    Aktuelle Ausgaben (Gesamtbudget 500 Euro, Vortag 364,49): Am Vorabend Pizza Hawaii, ein Glas Grauburgunder 15, Fahrrad leihen 11,50, Übernachtung über Airbnb 80, Priwall-Fähre mit Fahrrad 4, Kaffee und Kuchen 5,50.

    Restbetrag: 248,,49 Euro