Im Auftrag der Bundeswehr bildet Oberfeldwebel „Eggi“ Kämpfer der kurdischen Peschmerga aus – in einem der gefährlichsten Einsatzgebiete der Welt. Die Front ist nur 40 Kilometer entfernt. „Aber gefühlt sind wir näher dran“, erzählt der Soldat dem Abendblatt

Oberfeldwebel „Eggi“ darf aus Sicherheitsgründen seinen Namen nicht nennen. Auch das Gesicht des Panzergrenadiers der Bundeswehr muss auf Fotos unkenntlich bleiben. Der 29-jährige Hamburger ist vier Monate in einer der gefährlichsten Regionen der Welt im Einsatz: Er bildet in der Nähe von Erbil im Nordirak kurdische Peschmerga aus, die gegen den sogenannten Islamischen Staat kämpfen. So nennen sich die Kämpfer der kurdischen Parteien und Organisationen, die ideologisch völlig unterschiedlichen Lagern angehören.

„Eggi“ bezeichnet sich gern als „Hamburger Jung“. Er ist am Hans-Albers-Platz aufgewachsen, hat als Linksaußen und Torwart bei Langenhorner Fußballvereinen gespielt und lebt mit seiner Frau und seiner Tochter im Süder der Stadt. Um seine Familie und ihn vor Racheakten von Islamisten zu schützen, muss „Eggis“ Identität geheim bleiben. Das Abendblatt hat mit dem Soldaten gesprochen.

Hamburger Abendblatt: Wie weit von Ihrer Einsatzstelle sind die Kämpfe mit dem IS entfernt?

„Eggi“: Von der tatsächlichen Entfernung her haben wir rund 40 Kilometer bis zur Front gegen den sogenannten Islamischen Staat. Gefühlt sind wir aber deutlich näher dran. Da die Männer, die wir täglich ausbilden und trainieren, uns Videos und Fotos von der Front zeigen, ist für uns der Kampf deutlich präsenter. Während der Ausbildung haben wir engen Kontakt mit den Peschmerga. Sie erzählen von zu Hause, wir sehen ihre Leistung in der Ausbildung. Damit lerne ich sie besser kennen und auch schätzen. Wenn ich dann weiß, dass sie nach unserer Ausbildung an die Front gehen, lässt das die Front deutlich näher herankommen. Sie wird dadurch auch für uns quasi spürbar, nachvollziehbarer. Es gibt hier kein Gefühl des „Nichtbeteiligtseins“. Zum Beispiel sind die Peschmerga aus dem letzten Ausbildungsdurchgang drei Wochen später an die Front nach Kirkuk gegangen, und erst gestern haben wir die Nachricht von ihnen bekommen, dass fünf oder sechs Peschmerga-Kämpfer dort gestorben sind. Das könnten auch vielleicht welche von unseren Auszubildenden gewesen sein. Ich will die Peschmerga so gut ausbilden, damit sie danach erfolgreich ihr Land auch verteidigen können. Und dass sie lebend von der Front zurückkommen. Das ist das, was mich bei meinem Einsatz hier am meisten motiviert.

Sie sind im Auftrag der Bundeswehr in einer der gefährlichsten Regionen der Welt im Einsatz. Haben Sie manchmal Angst?

„Eggi“: Nein, Angst habe ich nicht. In solch einem Einsatz bin ich natürlich deutlich wachsamer und aufmerksamer als zu Hause. Über die Länge des Einsatzes bin ich deutlich feinfühliger geworden für das, was um mich herum passiert. Zudem bin ich hier nicht alleine im Einsatz. Ich bin mit meinen Kameraden hier, mit denen ich auch die gesamte Vorausbildung für den Einsatz gemacht habe. Wir passen gegenseitig auf uns auf. Wenn wir zum Beispiel zur Ausbildung rausfahren, gibt es feste Abläufe. So kann uns eigentlich nichts überraschen. Das sieht man am besten, wenn wir an einer der vielen Ampeln anhalten müssen. Dann hat jeder seinen Bereich, den er beobachtet, damit uns nicht irgendjemand von außen einen Sprengsatz ans Auto klebt oder so. Wir beobachten als Team immer den gesamten 360-Grad-Bereich um unsere Fahrzeuge herum.

Glauben Sie, dass deutsche Waffen in der Hand von Peschmerga den IS stoppen können?

„Eggi“: Die Waffen allein stoppen niemanden. Es sind immer die Menschen, die dahinter sind und sie bedienen. Natürlich helfen die Lieferungen, egal ob Waffen oder andere Ausrüstung, weil wir in den meisten Fällen Männer ausbilden, die kein Geld haben, um sich eine eigene Waffe zu kaufen. Die Waffen, die von uns oder von den US-Amerikanern kommen, sind gut. Die Peschmerga müssen nicht mit – ich nenne es mal – altem Schrott gegen den IS kämpfen.

Welchen Eindruck machen die Peschmerga auf Sie?

„Eggi“: Die Peschmerga sind komplett anders als wir, weil sie ihr Land verteidigen wollen und auch müssen. Es kommen Männer in jedem Alter zwischen 18 und 60 Jahren. Sie sind stolz darauf, Peschmerga zu sein. Sie sind dankbar dafür, dass sich ihre Ausbilder über mehrere tausend Kilometer auf den Weg gemacht haben, nur um sie auszubilden. Oft wird während der Ausbildung erwähnt, dass wir nur wegen ihnen hier sind. In der Ausbildung sind sie immer sehr motiviert, fragen viel und – ich sage mal – brennen darauf, das neue Wissen anzuwenden. Auf der anderen Seite haben sie immer im Hinterkopf, dass sie ihre Kameraden an der Front zurücklassen. Während wir die Männer hier in Erbil ausbilden, kämpfen die anderen Peschmerga weiter gegen den sogenannten Islamischen Staat – ohne ihre Hilfe. Deshalb sind sie im Kopf manchmal etwas gespalten: Auf der einen Seite wollen sie die Ausbildung haben und sind sehr dankbar dafür. Auf der anderen Seite sind sie manchmal mit ihren Gedanken an der Front und wünschen sich, ihren Kameraden zu helfen.

Können Sie ausschließen, dass deutsche Waffen in die falschen Hände geraten und weiterverkauft werden?

„Eggi“: Ich bin ganz ehrlich. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Deutschland liefert Waffen und anderes Material in dieses Gebiet. Für unsere Ausbildung hier ist es wichtig, dass die Peschmerga Waffen haben, an denen wir sie ausbilden können. Im Grunde genommen würden sich die Peschmerga ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie ihre Waffen verkaufen. Dann können wir sie nicht mehr daran ausbilden. Ich persönlich habe noch keinen Peschmerga gehabt, der seine Waffe verkauft hat. Die eigene Waffe ist für sie eine Art Statussymbol wie ein Handy oder ein Auto. Sie sind stolz auf ihre Waffe. Die Peschmerga im letzten Ausbildungsdurchgang kannten sich stellenweise seit fast 20 Jahren. Da passt einer auf den anderen auf. Ohne die Waffe können sie den anderen nicht mehr beschützen. Ohne die Waffe sind sie nichts mehr und können ihr Land nicht verteidigen.

Haben Sie dort auch Kontakt zur Zivilbevölkerung?

„Eggi“: Neben den Peschmerga haben wir täglich Kontakt zu unseren zivilen Fahrern und Übersetzern, den Sprachmittlern, die uns die ganze Ausbildung über begleiten. Ohne die Fahrer kämen wir nicht sicher vom Camp zu den Ausbildungsorten, und ohne die Übersetzer könnten wir unsere Fachkenntnisse nicht an den Mann bringen. Ansonsten habe ich relativ wenig Kontakt mit der Zivilbevölkerung, was ich persönlich sehr schade finde. Aber ich verstehe auch, dass das aufgrund unserer Verwendung hier im Einsatz und aufgrund der Sicherheitslage nicht anders möglich ist. Es ist ein sehr interessantes Land. Das erleben wir immer, wenn wir zu den einzelnen Ausbildungsorten rausfahren. Und die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, mögen die Deutschen sehr.

Wie leben Sie im Camp, und wie sieht Ihr Alltag aus?

„Eggi“: Die Ausbildung beginnt morgens sehr früh und endet am frühen Nachmittag. Das liegt daran, weil die Peschmerga nach der Ausbildung noch ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen müssen, um ihre Familien ernähren zu können. Dann bereiten wir die Ausbildung für den nächsten Tag vor und sprechen den zurückliegenden Tag durch. Was können wir besser machen? Was müssen wir am nächsten Tag beachten? Wir lassen den Tag Revue passieren. Dann habe ich die Zeit, um Sport zu machen. Privatsphäre ist hier im Camp platzbedingt schwierig. Ansonsten spielen wir Dart, Tischkicker oder zocken an der Konsole.

Wie halten Sie Kontakt zu Ihrer Familie in Hamburg und zu den Freunden in Deutschland?

„Eggi“: Wir haben Gott sei Dank WLAN. Damit kann ich mit meiner Familie, insbesondere mit meiner kleinen Tochter, skypen. Es ist krass, wie schnell sich die Lütte zu Hause weiterentwickelt. So kann ich das aber wenigstens am Computer ein bisschen mitverfolgen. Mit meinen Kollegen in Hamburg schreibe ich regelmäßig per WhatsApp. Die interessiert, was wir mit den Peschmerga machen – und sie halten mich mit den Neuigkeiten von zu Hause auf dem Laufenden.

Kommen Sie und Ihre Kameraden mit dem heißen Klima zurecht?

„Eggi“: Derzeit ist hier noch „Regenzeit“. Für mich als Hamburger Jung, der das Hamburger Schietwetter kennt und liebt, bedeutet Regenzeit eigentlich ein bisschen mehr Wasser. Hier regnet es ab und zu, sonst ist es heiß. Selbst wenn es im Schatten zwölf Grad sind, ist es in der Sonne sehr warm. Ist aber auch nicht schlecht, weil ich so schneller braun werde – leider nur im Gesicht, denn wir tragen ja Uniform. Mein Gesicht sieht ein bisschen nach Skiurlaub aus. Zum Glück bin ich schon fast wieder in Hamburg, wenn es hier richtig heiß wird.

Haben Sie Heimweh?

„Eggi“: Natürlich vermisse ich meine Familie und Freunde, besonders meine Lütte, aber mir macht meine Aufgabe hier auch sehr viel Spaß – sie macht Sinn und ist wichtig. Dadurch, dass wir hier viel zu tun haben, rennt die Zeit. Die gesamte Situation verhindert, dass wir hier in einen gewissen Trott verfallen. Es besteht nicht einmal die Gefahr, dass ich ins Grübeln komme. Ich weiß, dass meine Familie zu Hause zurechtkommt, weil zum Beispiel meine Schwiegereltern, meine Eltern, Omas und Opas – eigentlich die komplette Großfamilie – meine Frau täglich unterstützen, wenn sie Hilfe braucht. Trotzdem freue ich mich natürlich auf zu Hause.

Worauf freuen Sie sich nach Ihrer Rückkehr am meisten?

„Eggi“: Am meisten freue ich mich darauf, wieder bei meiner Familie zu sein. Meine Lütte will unbedingt wieder schwimmen gehen und mit Papas großem Auto fahren. Das mag sie lieber als die kleine Nuckelpinne meiner Frau. Und natürlich freue ich mich auf eine schöne Portion Labskaus mit Matjes und Ei.