Überall in der Stadt finden sich Spuren der Kolonialgeschichte, zum Beispiel Straßen, benannt nach Sklavenhändlern und Schreckensherrschern. Wissenschaftler fordern eine gründliche Aufarbeitung des ungeliebten Erbes

Die koloniale Vergangenheit ist in kaum einer anderen deutschen Stadt so präsent wie in Hamburg: Es gibt das Afrikahaus, das Askari-Denkmal für die deutsch-ostafrikanischen Krieger in Jenfeld und noch immer rund 140 Straßennamen mit kolonialem Bezug. Sie sind zum Beispiel – wie in Wandsbek – nach Hermann von Wissmann (1853–1905) benannt.

Der Hauptmann, Afrikaforscher und Kolonialbeamte hatte 1888 als Reichskommissar die Niederschlagung des Aufstandes der Bevölkerung in Deutsch-Ostafrika gegen die deutsche Kolonialmacht angeordnet. Diese und zahlreiche andere Namen erinnern an jene Zeit, in der die Hansestadt mit dem „Tor zur Welt“ als „Kolonialmetropole des Kaiserreichs“ galt.

So sichtbar die Spuren des kolonialen Erbes im Stadtgebiet bis heute sind, die Erinnerungskultur bleibt offenbar mangelhaft. Der aus Kamerun stammende Hamburger Hochschullehrer Prof. Henri Seukwa nennt den heutigen Umgang mit den Symbolen des deutschen Kolonialismus „schockierend unsensibel“. Und Norbert Hackbusch, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken, sagt: „Das Thema Kolonialismus wird immer noch verharmlost, romantisiert und unsichtbar gemacht.“ Zahllose koloniale Zeichen und Symbole existierten „unkommentiert und unreflektiert im gesamten Stadtraum“, kritisiert er.

Prof. Jürgen Zimmerer, Leiter der Uni-Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“, fordert außerdem die Handelskammer auf, sich an der Aufarbeitung des kolonialen Erbes zu beteiligen und das Angebot der Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle anzunehmen. An diesem Mittwoch startet eine öffentliche Ringvorlesung an der Universität mit dem Thema „Hamburg: Deutschlands Tor zur kolonialen Welt – Über den Umgang mit einem schwierigen Erbe“ (siehe Extratext). Kultursenatorin Barbara Kisseler erklärt dazu: „Die Stadt stellt sich ihrer in dieser Hinsicht problematischen Vergangenheit.“

Zwar hat der Hamburger Senat tatsächlich vor zwei Jahren als erste europäische Metropole ein Konzept für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes vorgelegt. Aber so richtig in Gang gekommen ist dieser Prozess noch nicht. Prof. Zimmerer verweist etwa auf den erheblichen Nachholbedarf bei manchen Museen und anderen städtischen Einrichtungen. Die Umgestaltung des Hamburg Museums und die Gründung des Hafenmuseums böten dafür eine einmalige Chance.

Auch bei der Umbenennung von Straßen ist noch nichts passiert. So heißt es im Bezirksamt Wandsbek auf Abendblatt-Anfrage: „Straßen, beziehungsweise Plätze, die den Namen von Männern aus der Kolonialzeit tragen, wurden in den letzten Jahren nicht umbenannt.“ Zudem seien dem Bezirksamt keine aktuellen Umbenennungsbeschlüsse bekannt.

Gerade in Wandsbek sind die Spuren der Kolonialgeschichte sichtbar, ohne dass sie näher in einem Gesamtkonzept erläutert würden. Da ist etwa der Unternehmer Heinrich Carl von Schimmelmann (1724–1782), der einst das Wandsbeker Schloss bauen ließ. Nach ihm sind eine Schule und eine Straße benannt. Der Adlige besaß eine Plantage in Übersee mit mehr als 1000 Sklaven und galt als „ehemals größter Sklavenhändler Europas“, heißt es in einer Aufsatzsammlung der Bürgerschaftsfraktion der Bündnisgrünen.

Seinen afrikanischen Sklaven wurde unter Qualen das Schimmelmann-„S“ auf die Haut gebrannt. Wie er seine Arbeiter in der Karibik brutal unterdrücken ließ, empörte seinerzeit den Wandsbeker Dichter Matthias Claudius. In seinem Gedicht „Der Schwarze in der Zuckerplantage“ heißt es: „Weit von meinem Vaterlande / muss ich hier verschmachten und vergehn / ohne Trost in Mühe und Schande / Hilf mir armen schwarzen Mann.“ Ein Hamburger Mahnmal für die Opfer dieser Sklaverei sei notwendig, heißt es bei den Hamburger Grünen.

Damit nicht genug. In Jenfeld heißt eine Straße „Dominikweg“. Sie ist offenbar nach dem Major der deutschen Schutztruppe in Kamerun, Hans von Dominik (1870–1910), benannt. Der Truppenführer pflegte die von ihm dirigierten Überfälle auf afrikanische Dörfer stets mit „Waidmanns Heil“ zu eröffnen, schreibt Buchautor Jürgen Petschull. Noch heute sei Dominik in Kamerun unter dem Beinamen „Schreckensherrscher von Kamerun“ bekannt.

Zu den bekanntesten Kolonialakteuren zählte damals der Hamburger Reeder und Westafrikakaufmann Adolph Woermann (1847–1911). Sein Unternehmen handelte unter anderem mit Kautschuk, Tabak, Elfenbein – und mit Spirituosen. Als Reichstagsabgeordneter trat er vehement für den Export Hamburger Spirituosen wie Genever (Wacholderschnaps) und Rum nach Westafrika ein: „Ich bin an sich der Meinung, dass sich der Verkauf von Spirituosen nicht günstig auf die Neger auswirkt. Wollen wir aber heute aus Philanthropie für die Neger, aus reiner Liebe zu den Negern, den Schnapshandel nach Afrika verbieten, so würden wir einen wichtigen Zweig des deutschen Exporthandels bedeutend schädigen.“ Nach diesem Kontinent benannte er sein noch heute erhaltenes Afrikahaus an der Großen Reichenstraße 27.

Um die Interessen der Hamburger Kaufleute zu sichern, entwarf Woermann im Auftrag der Handelskammer eine 25-seitige Denkschrift. Darin plädierte er für den Schutz der deutschen Kolonialinteressen in Westafrika. Prompt nahm im Dezember 1883 die mit 14 Kanonen ausgerüstete Kreuzerkorvette „SMS Sophie“ Kurs auf die westafrikanische Küste, um deutsche Interessen zu schützen.

Bei der längst fälligen Aufarbeitung rückt jetzt auch Hamburgs Handelskammer in den Fokus. Experten wie Prof. Jürgen Zimmerer mahnen die Kammer an, ihre Geschichte umfänglich aufzuarbeiten und etwa ihre Archive vollständig für die historische Forschung zu öffnen. „Es wäre wichtig, dass sich die Kammer aktiv am städtischen Projekt beteiligt“, fordert er. Eine unliebsame Geschichte verschwinde nicht dadurch, dass man die Augen verschließe.

Jörn Arfs, Sprecher der Handelskammer, erklärt dazu: „Unsere Handelskammer hat sich mit ihrer kolonialen Geschichte in Form eines Kapitels in der Gesamtdarstellung zu ihrer 350-jährigen Geschichte beschäftigt, die im letzten Jahr erschienen ist.“ Dies sei für jedermann nachlesbar. „Genauso offen werden wir auch in Zukunft mit diesem Thema umgehen und natürlich davor nicht die Augen verschließen. Sollte Herr Prof. Zimmerer auch selbst Einsicht nehmen wollen, ist er dazu herzlich eingeladen, und selbstverständlich sind wir an seinen Forschungsergebnissen sehr interessiert.“

Nach Abendblatt-Informationen ist demnächst ein erstes Gespräch zwischen dem Forscher und der Geschäftsführung der Handelskammer geplant. Es liege, sagte Prof. Zimmerer, nun an der Handelskammer, in der historischen Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte nicht nur die „Beschädigung“ eines Markennamens „Hamburg“ zu sehen, sondern vor allem die positive Ausstrahlung.

Dass eine Erinnerungskultur mehr braucht als eine erfolgreich arbeitende Wissenschaft, macht der Linken-Abgeordnete Norbert Hackbusch deutlich. „Wir brauchen dringend die Perspektive von Menschen, die von Kolonialismus und Rassismus betroffen sind.“ Darauf könne die Erinnerungskultur in Hamburg nicht verzichten. „Deshalb fordern wir die konkrete Umsetzung von Beteiligungsformaten“ – unter anderem mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.