In neuer Gesprächsreihe sprechen Hamburger mit Migrationshintergrund über Grenzgänge zwischen den Kulturen. Heute: Ian Karan.

Sein Lebensweg liest sich wie ein Muster der Integration: Der auf Ceylon (heute Sri Lanka) geborene Ian Kiru Karan steigt an einem Wintertag 1970 aus einem Zug am Hauptbahnhof, bereits 30 Jahre alt, ohne richtige Deutschkenntnisse und ohne einen akademischen Abschluss. Doch sein Geschäftssinn führt Karan in die höchsten Hamburger Kreise: Mit mehreren Unternehmen im Containerhandel steigt er schließlich zu einem der wohlhabendsten Hanseaten auf, wirkt von 2010 bis 2011 als Wirtschaftssenator im Senat von Christoph Ahlhaus (CDU) und ist seitdem ein bedeutender Mäzen geblieben.

Zum Auftakt der Abendblatt-Serie „Angekommen in Hamburg“, in der prominente Migranten über ihr Leben, ihre Heimat und Wege zur Integration sprechen, spricht Karan über seine großen Sorgen zum Thema Flüchtlinge sowie zur Politik von Angela Merkel – und er erklärt, wie Willy Brandt und Franz Josef Strauß ihm als Deutschlehrer einst gute Dienste erwiesen.

Hamburger Abendblatt: Herr Karan, als Sie zum ersten Mal die Botschaft „Wir schaffen das“ vernommen haben, waren Sie euphorisiert oder haben Sie gezweifelt?

Ian Karan : Zuerst war ich euphorisiert, wie fast alle Menschen. Dieser Satz war eine großartige Geste. Frau Merkel hat Deutschland weltweit in ein neues, positives Licht gerückt. Aber recht bald darauf habe ich mich gefragt: Wie soll das von nun an funktionieren? Ich wurde skeptisch.

Wie fällt Ihre Antwort ein halbes Jahr später aus?

Karan : Das ungute Gefühl hat sich leider verstärkt. Köln war eine Zäsur. Und es ist schrecklich, wenn Männer junge Frauen bei Hamburg im Schwimmbad begrapschen. Die Täter wissen es nicht besser, Frauen haben für viele Muslime keinen großen Wert. Da kollidiert etwas frontal mit der freiheitlich-christlichen Denkart. Es ist unheimlich schwer, die jungen Männer zu integrieren.

Sie kamen selbst vor 46 Jahren ohne Sprachkenntnisse aus einem fremden Land. Wie haben Sie es geschafft?

Karan : Ich glaube, mir hat meine christliche Erziehung die Basis gegeben. Diese Werte sind in Sri Lanka und Deutschland gleich und unverrückbar. Und ich habe die große Chance gesehen, durch Sprache meine Karriere zu fördern. Zuerst war ich drei Monate auf der Sprachschule, aber es war schwierig. Diese deutsche Grammatik (lacht)! Und ich war schon 28 Jahre alt, zwar konnte ich Französisch und Englisch, aber eine neue Sprache zu lernen ist in diesem Alter nicht mehr leicht.

Wie lange hat es gedauert?

Karan : Nach einem Jahr konnte ich mich immer noch nicht richtig verständigen. Ich habe dann sehr viel fernge­sehen, insbesondere die Bundestags­debatten. Das waren ja noch die guten Zeiten im Parlament. Ich hing an den Lippen von Willy Brandt, Herbert Wehner und Franz Josef Strauß, die haben eine tolle Sprache gesprochen! Da lernt man dann auch, eine Sprache richtig zu lieben.

Ist das die zentrale Lehre aus Ihrer Biografie für die Gegenwart: Sprache ermöglicht erst Integration?

Karan : Sie ist der Schlüssel zu einer Nation und einer Kultur. Ohne Sprachkenntnisse bleibt man auf ewig ein Zaungast. Als ich mich entschloss, hier zu leben, war mir klar, dass ich die Sprache absolut beherrschen muss.

Wird genug unternommen, um die Flüchtlinge für die Sprache zu gewinnen?

Karan : Es gibt deutlich bessere Beispiele in der Welt. In Israel werden alle neuen Ankömmlinge dazu angehalten, in die Sprachschule zu gehen. Der Staat bezahlt, aber die Teilnahme ist verpflichtend. Auf diese Weise finden die Juden dort eine Verbindung, eine Grundlage für ihr Zusammenleben – egal, ob sie zuvor aus Russland, Südamerika oder Europa kamen. Davon können wir lernen. Das kostet zwar Geld, aber es wäre eine gute Investition.

In Schweden genießt die Sprachbildung höchste Priorität. Trotzdem gibt es Pro­bleme bei der Integration.

Karan : Ja, Sprache allein reicht nicht aus. Es bedarf auch eines Denkprozesses bei den Flüchtlingen, der sagt: Ich bin jetzt in einem anderen Kulturkreis mit anderen Sitten. Auch wenn ich sie nicht teile, muss ich sie verstehen und akzeptieren. Die Religion ist aber im Leben der Menschen aus arabischen Ländern so dominant, dass diese es schwer haben, dort auszubrechen und andere Ideen und Sitten anzunehmen.

Fehlt die Bereitschaft, sich auf das Neue in Deutschland einzulassen?

Karan : Offenbar bei einigen. Wenn man vor Bomben flieht und hier Zuflucht findet, kann man Dank erwarten. Die Flüchtlinge müssen verstehen, dass sie nicht mehr zu Hause sind, und sich in gewisser Weise anpassen. Ich bin jetzt 46 Jahre lang in Deutschland und sehe mich immer noch als Gast. Ich versuche zu denken: Es ist nicht mein Land, ich bin nur toleriert. Und ich will alles tun, um nicht alle Ausländer durch mein Verhalten in einen schlechten Ruf zu bringen. Man muss als Migrant unbedingt versuchen, ein Botschafter zu sein.

Nehmen wir an, Sie wären Integrationsminister. Würden Sie den Migranten mehr abverlangen?

Karan : Ich würde ganz deutlich einfordern, dass unsere Werte akzeptiert werden. Und dass der, der dagegen verstößt, möglichst zurückgeschickt wird. Da muss man als Staat auch Härte aufbringen. Es ist wie bei der Erziehung von Kindern: Wenn man die Grenzen nicht sehr klar aufzeigt, rebellieren sie.

Glauben Sie, dass die Kriminalität durch Flüchtlinge steigen wird?

Karan : Ich befürchte ja. Das fängt damit schon an, dass die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft zunächst praktisch in Armut leben. Und sie sehen dann links und rechts Leute, die gut angezogen sind, schöne Autos fahren und große Häuser haben. Da ist Neid ganz normal, und einige werden leider sagen: Das nehme ich mir jetzt einfach, was die anderen in Deutschland haben.

Die Integration hängt wesentlich von der Einbindung in den Arbeitsmarkt ab. Wie kann diese gelingen?

Karan : Die Industrie ist bemüht, die Handelskammer ist bemüht, auch die Gewerkschaften wollen Flüchtlingen eine Chance geben. Aber das geht erst, sobald die sprachliche Basis und eine gewisse Qualifikation vorhanden sind.

Berufsabschlüsse der Flüchtlinge sind oft nicht übertragbar. Für die Arbeitgeber gibt es bürokratische Hürden, zudem müssen Bewerber aus Deutschland und Europa bevorzugt werden.

Karan : Deshalb muss man genau auf den Bedarf schauen. Es gibt viele Jobs, in der Gastronomie und in Pflegebereichen, die keine große Qualifikation benötigen, die viele Deutsche aber einfach nicht machen wollen. Dort können wir die Flüchtlinge unterbringen. Je mehr von ihnen in Lohn und Brot sind, desto besser, denn das gibt Selbstachtung. Ein Mensch, der arbeitet, hat eine Perspektive.

Was passiert, wenn die nächste Wirtschaftskrise kommt?

Karan : Das ist eine sehr reale Gefahr, wenn man sich die Weltwirtschaft ansieht. China schwächelt, es gibt elementare Probleme in der EU, die unsere wichtigsten Handelspartner stellt. Noch sind wir in der glücklichen Lage, jedem Ankömmling eine Arbeit geben zu können. Aber wir werden in den nächsten zwei Jahren eine Krise bekommen, bis dahin müssen wir diese Leute fest im Arbeitsmarkt integriert haben. Sonst bekommen wir eine große Zahl von arbeitslosen, unzufriedenen jungen Männern. Dann droht eine Katastrophe.

Hat die Politik den Ernst der Lage erkannt?

Karan : Nicht ganz. Der Staat könnte die Beschäftigung der Flüchtlinge deutlich besser unterstützen. Vor allem muss man einige Regeln etwas entspannter ansehen. Für Deutsche mit sprach­lichen Qualifikationen ist ein Mindestlohn von 8,50 Euro angemessen. Für Flüchtlinge, die kaum Deutsch sprechen, müssen es auch sechs oder sieben Euro sein dürfen. So kriegt man eher Menschen in Lohn und Brot.

Reden wir über die Chancen in der Flüchtlingskrise. Wird die Gesellschaft von neuen Einflüssen profitieren?

Karan : Ja, wenn ein Nehmen und Geben entsteht, ein Diskurs anstelle einer Gettobildun­g. Dafür müssen wir aufpassen, keine Großunterkünfte zu bauen. Je kleiner, desto besser. Und wir dürfen nicht nur minderprivilegierte Stadtteile mit der großen Masse an Flüchtlingen vollpumpen.

Das klingt wie ein Plädoyer für Unterkünfte wie an der Sophienterrasse in der Nähe ihrer Firma.

Karan : Ich habe da überhaupt nichts dagegen. Das Problem für die Flüchtlinge in dieser Gegend ist natürlich, dass sie keine passenden Einkaufsmöglichkeiten haben, das Preisniveau ist etwas höher als in Mümmelmannsberg. Aber wir dürfen eben nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Bei den türkischen Gastarbeitern haben wir uns um Durchmischung nicht geschert, man lebte einfach nebeneinander her. Im Ergebnis hat die Integration bei den Türken in Teilen nicht funktioniert, bei den Italienern sieht es bei den Sprachkenntnissen sogar noch schlechter aus. Diesmal muss das besser laufen. Denn wir haben jetzt eine bunte und geballte Ladung an Menschen bekommen.

Ist Hamburg als traditionell weltoffene Stadt eher in der Lage, diese Masse zu bewältigen?

Karan : Ja, sicher. Die Stadt ist nicht erst seit den 1990ern an Flüchtlinge gewöhnt. Zuerst kamen die Hugenotten, später die Holländer und Engländer. Der größte Unterschied zu Ländern wie Sachsen-Anhalt ist sicherlich die Bereitschaft, diese Aufgabe anzugehen und sich auf das Fremde einzulassen. Diese große Kraft sollte man bei allen Sorgen nicht vergessen.

Was halten Sie von Obergrenzen?

Karan : Ich denke, dass es eine faktische Grenze bei der Zahl derer gibt, die man aufnehmen und gut integrieren kann. Wenn man ehrlich ist, haben wir diese Grenze schon erreicht und könnten auf zwei bis drei Jahre keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Die Menschen sind warmherzig, hilfsbereit, aber sie sind überfordert. Kurzfristig kann man mit ehrenamtlichem Engagement Berge versetzen, aber für einen Dauerzustand ist das zu viel verlangt. Dafür ist die Aufgabe zu groß.

Sie kennen Angela Merkel seit mehr als einem Jahrzehnt persönlich. Sind Sie von ihr und der CDU enttäuscht?

Karan : Das nicht, aber ich kann ihr Handeln nicht mehr nachvollziehen. Ich verstehe die Herkunft von Frau Merkel, dass sie Pastorentochter ist und in einer Notsituation menschlich reagiert hat. Aber sie sieht vielleicht nicht, dass sie uns alle vor unbewältigbare Aufgaben stellt.

Sie waren ein Großspender der CDU. Ist es damit also vorbei?

Karan : Nein (lacht), ich werde sie weiterhin unterstützen. Ich finde es toll, wenn ein Mensch aus eigener Überzeugung etwas tut und dazu steht. Aber sie beeinflusst alle unsere Leben. Als Migrant spüre ich die negativen Folgen von Migration besonders stark. Auf der Straße weiß keiner, ob ich gerade eingewandert bin oder schon seit Jahrzehnten hier lebe. Ich werde Frau Merkel bei nächster Gelegenheit auch persönlich fragen, warum sie so auf ihrer Meinung beharrt.

Wie viel Ihrer Migrationsgeschichte ist in Ihrem Alltag noch präsent?

Karan : Nicht viel, ich gehe einfach positiv auf die Menschen zu. Und das alte Sprichwort stimmt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es dann auch heraus. Ich vergesse aber nie, dass ich mich in bestimmten Kreisen bewege. Ich fahre nie U-Bahn und bin in einer privilegierten Position. Andere, die so aussehen wie ich, sind im Alltag ganz anderen Dingen ausgesetzt. Und auch das berührt mich.