In den Trabantenstädten wagten Freaks des neue Wohnen

Heute gelten Großsiedlungen als architektonischer Albtraum. Vor über 40 Jahren aber wollten hier junge Hamburger ihren Traum eines alternativen Lebens verwirklichen. Im Steilshooper Wohnblock 6 arbeitete der Architekt Rolf Spille an seiner Utopie im Alltag: Arbeiter und Studenten, Alleinerziehende und Rentner, Hippies und Junkies sollten zusammen in einen Block ziehen. Er gründete den Verein „Urbanes Wohnen“ und sammelte Gleichgesinnte. Fortan sollte nicht länger von oben für die Bewohner geplant werden, sondern die Menschen sollten ihre Wohnung inklusive Grundrissen mit beweglichen Wänden selbst gestalten – mit dem Segen des Bausenators Caesar Meister und der Wohnungsbaugenossenschaft Saga.

Erlaubt war, was gefiel: In jedem Stockwerk gab es Individual- und Gemeinschaftsräume. Während Arbeiterfamilien sich für eine klassische Raumauf­teilung entschieden, experimentierte eine 18er-WG. Eine Wohngruppe bestand auf einen extrem schmalen Flur von 110 Zentimeter Enge, Spille selbst schlug ein „Kommunikationsbad“ mit zwei Badewannen vor, in denen vier Personen gleichzeitig ins Wasser steigen können.

Regelmäßig trafen sich die 220 Bewohner zur Vollversammlung, dem „Hausrat“. „Man lernte ganz unterschiedliche Leute kennen: Es gab die kinderreichen Familien, die Knackis, eine Schwulen-WG“, erzählte der Bewohner Thomas Deuber der Obdachlosenzeitung „Hinz & Kunzt“.

Aber alternativ ging schief. Das Viertel wurde zum sozialen Brennpunkt; die sich etwas anderes leisten konnten, zogen fort, die überladenen Utopien der Block-6-Bewohner hielten der Wirklichkeit nicht stand.