Neue Fitness-Serie im Hamburger Abendblatt. Zivilisationskrankheiten wie Herz-, Kreislaufprobleme, Bluthochdruck und Diabetes kann vorgebeugt werden. Schon geringe Aktivitäten sorgen für gesteigertes Wohlbefinden

Auf die Frage, worin das Geheimnis seines hohen Alters bestehe, antwortete Winston Churchill gern: „No Sports! Only Whisky and Cigars.“ Er wurde 90.

Noch heute dient das Bonmot des britischen Weltkriegspremiers vielen als Rechtfertigung für Bequemlich- und Tatenlosigkeit. Dabei gilt längst als erwiesen: Sport ist eine gute Medizin, wenn nicht sogar die beste. Eine preiswerte und volkswirtschaftlich wesentlich billigere jedenfalls als manche Pillen, viele Salben, ständige Arztbesuche und aufwendige Kuren. „Es gibt starke Hinweise auf eine gesundheitsfördernde, vorbeugende und Krankheiten herauszögernde Wirkung des Sports für Herz-, Kreislaufbe­schwerden, Bluthochdruck, Diabetes, Asthma, Osteoporose, Krebs, Arthritis, Depressionen und neuerdings auch Demenz“, sagt der Eimsbütteler Internist Christoph Müller-Schwefe, 66.

Bewegungsmangel im Zusammenwirken mit falscher, zu kalorienreicher Ernährung sind im hoch technisierten Deutschland Auslöser vieler dieser Zivilisationskrankheiten. Unsere körperlich arbeitenden Vorfahren kannten die meisten der heutigen Gesundheitsprobleme nicht, zumindest nicht in diesem Ausmaße. In den 1890er-Jahren wurden in Hamburger Krankenhäusern kaum Todesfälle durch Herzinfarkt registriert. Das ergaben Analysen des Sektionsgutes. Rund 120 Jahre später sind Schädigungen des Herz-Kreislaufsystems bei fast jedem zweiten Verstorbenen der Grund seines Ablebens.

Früher bewegten sich die Menschen viel und aßen – auch mangels finanzieller Möglichkeiten – wenig. Heute ist es umgekehrt. Obwohl wir überwiegend sitzen und liegen, ernähren wir uns, als würden wir weiter körperliche Schwerstarbeit leisten. Die Konsequenz: eine vermehrte Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse. Bei jahrelanger Überbeanspruchung kann daraus Diabetes Typ 2 entstehen mit zum Teil erschreckenden Spätfolgen.

Alle 20 Minuten müssen Ärzte hierzulande aufgrund fehlender Durchblutung verfaulte Extremitäten abtrennen, alle 90 Minuten erblindet ein Zuckerkranker. „Jede einfache Form der Körperarbeit, jede Art von Muskeltätigkeit mit höherem Energieumsatz, vermindert den Insulinbedarf des Körpers, verhindert, dass zu viel Zucker im Blut schwimmt und am Ende kleinste Blutgefäße und Adern verstopft. Der aktive Mensch braucht nur wenig Insulin“, sagt Klaus-Michael Braumann.

Braumann ist Professor für Sportmedizin an der Universität Hamburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. Er hat das Buch „Die Heilkraft der Bewegung“ geschrieben. „Der Mensch ist nicht zum Stubenhocker geboren“, steht dort. „In unserem biologischen Bauplan gleichen wir noch unseren Vorfahren vor mehr als 120.000 Generationen, die als Raubaffen durch die prähistorischen Savannen zogen und ihre Beute zu Tode hetzten.“ Braumann, 66, rät deshalb: „Empfinden Sie jede Chance zur Bewegung als Geschenk. Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie etwas liegen gelassen haben und es holen müssen. Auch das sind ein paar Schritte mehr, die Sie sonst nicht gehen würden. Sie werden feststellen, dass geringe Aktivitäten ausreichen, damit Sie sich alsbald besser fühlen.“

Dreimal in der Woche 30 Minuten spazieren gehen sei bereits ein guter Anfang, um den Stoffwechsel anzuregen, sagt Internist Müller-Schwefe. Auf die Regelmäßigkeit komme es an, auf den in den Alltag integrierten Mentalitätswandel. „Gerade Menschen, die aus der Arbeitswelt ausgeschieden sind, nehmen den Ruhestand gern wörtlich“, weiß der Mediziner. Bewegung könne vielen körperlichen Abbauprozessen vorbeugen oder sie verlangsamen. Hinzu komme, sagt Müller-Schwefe, „dass bei Älteren die Lust abnimmt, Fleisch zu essen. Dadurch entsteht ein Eiweißmangel im Körper, der den natürlichen Muskelabbau noch beschleunigt“.

Er empfehle daher Menschen jenseits der 65 neben regelmäßiger Bewegung leichtes Krafttraining zur Stabilisierung und zum Muskelaufbau. Zu allererst sollte die für den aufrechten Gang zuständige Rumpfmuskulatur gekräftigt werden, dann Arme und Beine. Die Übungen helfen zudem, Schmerzen in Hüfte und Knien zu reduzieren. Ein im Versandhandel oder im Kaufhaus erhältliches Thera-Band reiche für ein zielgerichtetes Training aus. Der Stärkung des Gleichgewichtssinns, der im Alter ebenfalls schwindet, diene schon das Zähneputzen auf einem Bein. Viele Stürze im Alter mit folgenschweren Brüchen könnten damit vermieden werden. Müller-Schwefe: „Deren Ursachen sind meist schwer zu diagnostizieren, oft werden Schwindelanfälle als Erklärung herangezogen. Wer im Alter aber einigermaßen kräftige Beine und eine gute Skelett- und Rumpfmuskulatur hat, der fällt nicht so leicht hin.“

Entsprechende Stabilisierungsprogramme bieten auch Vereine und die sogenannten kommerziellen Fitnessstudios unter fachkundiger Anleitung an. Cornelius Hasselbach, 65, Geschäftsführer der Eimsbütteler Kaifu-Lodge, 1979 deutscher Squashmeister, sagt: „Ich habe mein Training im Alter auch umgestellt. Ausdauer und Kraft betreibe ich jetzt mit ähnlichem zeitlichen Aufwand, früher habe ich fast nur auf dem Stepper Ausdauer trainiert.“

Die meisten gesetzlichen Krankenkassen unterstützen seit Langem Bewegungsangebote zur Vorbeugung und Nachsorge. „Die Maßnahmen kommen aber vor allem bei jenen an, die ohnehin motiviert sind und bereits ein gewisses Bewegungsbewusstsein haben“, kritisiert Müller-Schwefe, „die Masse der Untätigen wird weiterhin nicht erreicht.“ Was fehle, sei zum Beispiel eine ärztliche Verschreibungsmöglichkeit für Bewegung oder ein Bonifikationssystem für die Versicherten, das nachhaltige gesundheitliche Fortschritte belohnt, etwa Gewichtsabnahme, niedrigeren Blutdruck oder über längeren Zeitraum verbesserte Blutwerte.

Bewegung macht aber nicht nur fit, sie macht auch schlau. Den Zusammenhang zwischen kindlicher Motorik und Intelligenz haben Studien belegt. Je mehr Reize das Gehirn zu verarbeiten hat, desto mehr Verbindungen (Synapsen) muss es schalten. Wer gelernt hat, sich sicher zu bewegen, wer weiß, wo links, rechts, oben und unten ist, dem fallen Lesen und Schreiben leichter, der verdreht nicht Buchstaben wie b und d. Ein Beispiel dafür lieferte eine Grundschule in Bad Homburg.

Dort wurde in den 1990er-Jahren die tägliche Sportstunde eingeführt. Die Effekte waren verblüffend. Nicht nur gingen auf dem Schulhof Verletzungen bei Unfällen und Raufereien zurück, weil sich die Kinder geschickter verhielten, stabiler auf den Beinen standen, die Lehrer konnten gegenüber den Vergleichsklassen 15 Prozent mehr Schüler fürs Gymnasium empfehlen.

Das Vorurteil, zu viel Sport gehe zulasten von Kernfächern wie Deutsch oder Mathematik schien widerlegt. Die tägliche Sportstunde verbesserte die Leistungen auch in den anderen Fächern, selbst wenn sie weniger unterrichtet wurden. Das deutsche Bildungssystem hat diese Erkenntnisse bis heute weitgehend ignoriert. Vielerorts muss noch um die dritte Sportstunde in der Woche gekämpft werden.

Was im Kindesalter gilt, trifft ebenso auf Erwachsene zu. Bewegung sorgt auch im fortgeschrittenen Alter dafür, dass im Gehirn neue Verbindungen geschaltet werden. Das wichtigste Organ des Menschen ist erstaunlich anpassungsfähig, sogar ein Leben lang, und reagiert ständig auf neue Herausforderungen. „Wer sich bewegt, steigert also nicht nur seine körperliche Fitness, sondern auch sein Konzentrationsvermögen und seine intellektuelle Leistungsfähigkeit“, sagt Prof. Braumann.

Übrigens: Churchill pflegte vor wichtigen Entscheidungen lange Spaziergänge zu unternehmen. Was er ablehnte, war Leistungssport. Nur den hielt er für gesundheitsschädigend.