Die „weiße Haut“ in der Elbphilharmonie wurde pünktlich fertig – und ermöglicht erstmals einen Eindruck vom Großen Saal. Kultursenatorin Barbara Kisseler: „Wir sind voll im Zeitplan“

Jan Haarmeyer
Joachim Mischke
Mark Sandten (Fotos)

Der erste Eindruck: eine Höhle. Vielleicht eine große Tropfsteinhöhle. Dutzende kugelrunde Lampen tauchen die grau-weißen Wände in ein leicht schummriges Licht. Doch beim Blick nach oben verwandelt sich die Höhle in eine Kathedrale. Gefühlt senkrecht steigen die Wände an. Fast 20 Meter liegen zwischen den Bühnenbrettern unter den Füßen und dem ­Reflektor an der Decke. Nahezu rund ist der Raum – also doch eher eine antike Arena? Aber wo sollen hier eigentlich 2100 Menschen sitzen?

Der Große Saal in der Elbphilharmonie weckt alle möglichen Assoziationen, nur eines bleibt dabei immer gleich: das Gefühl, sich im Herzen eines Gesamtkunstwerks zu befinden. Erst auf den zweiten Blick nimmt man ­andeutungsweise wahr, wo bald Sitze und Geländer sein werden. Ganz nah an der Bühne und doch versteckt hinter dem eigentlichen Anlass für den heutigen Termin: der „weißen Haut“, von der Architekt Jacques Herzog später sagen wird, man solle sie bitte „nie mehr“ so nennen.

Denn natürlich ist sie das nicht: Nicht weiß, sondern hellgrau ist sie. Keine Haut, sondern ein Puzzle aus 10.000 Teilen, jedes ein Unikat, mal feinporig wie Raufasertapete, mal zerklüftet wie ein verschneites Gebirge, mal gegliedert wie eine Muscheloberfläche, und schon gar nicht einfach überzuziehen wie ein Taucheranzug, sondern Ergebnis jahrelanger Planung und Montage (siehe Text unten). Und das alles für einen Zweck: perfekte Akustik. Nicht zu viel Nachhall, nicht zu wenig. Nicht verwaschen und schwammig, sondern klar und detailsicher. Und das am besten auf allen Plätzen in der gleichen Güte. Keine leichte Aufgabe, sehr vorsichtig ausgedrückt.

Schon jetzt, noch ohne die Bestuhlung, wird deutlich, wie radikal das Raumkonzept und seine Ästhetik sind. Steiler als die neue Philharmonie in Paris, viel steiler als die Berliner Philharmonie oder die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles. Die zentrale Bühne ist als Präsentierteller inszeniert. Kein Vergleich zur Situation in der Laeisz­halle, in der man vom Parkett aus ehrfürchtig nach oben blickt und hört. Durch die Anordnung der ineinandergreifenden Balkone wirkt der Raum wie ein riesiger Kammermusiksaal. Um auch auf Parketthöhe die erwünschten Schallreflexionen zu erzeugen, werden sich hinter einigen der grobmaschigen Seitenwände bewegliche Vorhänge befinden.

Pünktlich zum 31. Januar war sie nun fertig, damit haben die Architekten Herzog & de Meuron und die Baufirma Hochtief nach der Neuordnung des Projekts 2012/2013 auch den letzten Zwischentermin vor der Fertigstellung im Sommer eingehalten. „Wir liegen voll im Zeitplan“, sagte Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos). „Auch wenn wir erst in einem knappen Jahr den überwältigenden Klang genießen können, wird bereits jetzt sichtbar, was für ein architektonisches Juwel mit der Elbphilharmonie in Hamburg entsteht.“ Im Überschwang der Gefühle ließ sich Kisseler sogar zu der Aussage hinreißen, die Architektur sei „so überwältigend, dass es die Musik gar nicht mehr braucht“ – wofür sie Generalintendant Christoph Lieben-Seutter umgehend um Verzeihung bat.

Doch auch der Österreicher, der die Eröffnung des neuen Konzerthauses am 11. Januar 2017 vorbereitet, räumte ein, dass ihn das Gebäude, an dem seit 2007 gebaut wird, immer aufs Neue fasziniere: „Es ist verblüffend, wie die ungeheuren Erwartungshaltungen, die man seit Jahren hat, live noch einmal übertroffen werden.“

Ihn beeindrucke die „Intimität“ des Saals, die extreme Nähe von Publikum und Künstlern: „Man weiß sofort, für wen man musiziert.“ Viele Musiker und Musikmanager, die jetzt schon aus aller Welt zu Besichtigungen kämen, würden nicht glauben, dass das ein Raum für 2100 Menschen sei. „Aber wenn man vom 16. Rang in den Saal blickt, sieht man, was das für ein Riesen-Ding ist.“

Zur Fertigstellung vom „Ding“ fehlt nun nicht mehr viel: Der Einbau der Orgel hat bereits begonnen, auf der Bühnenfläche stapeln sich die ersten großen Holzpfeifen der Bonner Orgelbaufirma Klais, in zwei Wochen soll auch die Montage der Stühle starten. Parallel beginnt Schritt für Schritt die Inbetriebnahme: Tests der Bühnentechnik, der Beleuchtung, der Belüftungs- und Entrauchungsanlagen. Im April will Lieben-Seutter das Programm der Eröffnungssaison vorstellen. Wie berichtet, soll ein Viertel der Karten für die ersten Konzerte in der Elbphilharmonie verlost werden.

Bis zum 30. Juni muss Hochtief den Konzertbereich an die Stadt übergeben, bevor Ende Oktober die Endabnahme des Gebäudes erfolgt, das auch einen Kleinen Saal, einen großen musikpädagogischen ­Bereich, ein 250-Zimmer-Hotel, ein Parkhaus, 45 Wohnungen und Gastronomie beinhaltet. Anfang November wird die öffentliche Plaza in 37 Meter Höhe freigegeben.

Das gesamte Projekt kostet etwa 865 Millionen Euro, wovon die Stadt 789 Millionen trägt. Wie viel davon auf die „weiße Haut“ entfällt, lässt sich nicht genau beziffern. Aber eine Einordnung ist möglich: Für die Einhaltung des Zwischentermins erhält Hochtief 50 Millionen Euro – knapp ein Zehntel des Gesamthonorars von 540 Millionen Euro.

Videos und Animationen von Saal und „weißer Haut“ unter: abendblatt.de/elbphilharmonie