Bürgermeister Olaf Scholz ging zwei Tage später zur Tagesordnung über, Jürgen Mantell, der Präsident des Hamburger Sportbundes (HSB), hat noch heute schlechte Laune, wenn er an das gescheiterte Olympiareferendum vom 29. November denkt. Für Andreas Dressel, Fraktionschef der SPD in der Bürgerschaft, war das Nein der Hamburger zur Fortsetzung der Olympiakampagne der Abschied von Visionen, Michael Neumann, der Sportsenator, sah nun Sportabzeichen statt Olympiamedaillen und „Lurup statt Lima“ als kommende Aufgaben an. In Perus Hauptstadt wird im September 2017 der Olympiagastgeber für 2024 gewählt, jene Sommerspiele, die Hamburg hatte ausrichten wollen.

Der – vorläufige? – Abschied von Olympia bedeutet für den Hamburger Sport eine Zäsur. Viele Projekte sind in Gefahr, ohne Olympia drohen im Kampf um Mittel und Zuwendungen die Argumente zu fehlen. „Mit Olympia hatten wir ein konkretes Ziel. Das ist jetzt weggebrochen. Jetzt stehen wir in der Pflicht, uns Gedanken zu machen, wie wir ohne eine Olympiabewerbung den Sport in Hamburg voranbringen können“, sagt Dr. Michael Beckereit, der Vorsitzende der vom Senat eingesetzten Zukunftskommission Sport.

In einer sechsteiligen Serie versucht das Abendblatt eine Zustandsbeschreibung des Hamburger Sports. Was läuft gut? Wo gibt es Potenzial? Wie sehen die Perspektiven aus? Wie steht es um die 51 Bundesliga- und 35 Zweitligavereine der Stadt. Im ersten Teil stehen die Hamburger Proficlubs auf dem Prüfstand. Auch bei ihnen ist nicht alles zum Besten bestellt. Die HSV-Handballer sind insolvent, das Volleyball-Team Aurubis droht nach jahrelanger sportlicher Misswirtschaft und dem Ausstieg des Namensgebers der Sturz in die Bedeutungslosigkeit.

Hamburger SV

Der HSV ist mitten in einer Konsolidierungsphase – sowohl sportlich als auch wirtschaftlich. Die vor anderthalb Jahren in eine AG ausgegliederte Fußballabteilung hat nach fünf Spielzeiten mit einem bilanziellen Millionenminus noch immer mit Finanzschulden von 55 Millionen Euro zu kämpfen. Nach einem Fehlbetrag von 16,9 Millionen Euro für das Geschäftsjahr 2014/15 hat HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer angekündigt, dass auch nach dieser Saison mit einem Millionenminus zu rechnen sei. Erst vom folgenden Geschäftsjahr an rechnen die Verantwortlichen des HSV mit einem ausgeglichen Haushalt. Dafür muss allerdings noch der Gehaltsetat von rund 43 Millionen im Sommer unter 40 Millionen Euro gedrückt werden. Immerhin: Dank des stabilen Zuschauerschnitts von rund 51.000 und der zahlungskräftigen Sponsoren Emirates (7,5 Millionen Euro/Jahr), Adidas sowie Stadionnamensgeber Klaus-Michael Kühne ist die Bundesligalizenz nicht in Gefahr.

Sportlich will sich der HSV in der laufenden Saison im Tabellenmittelfeld der Bundesliga stabilisieren, nachdem der Dino, als einziger Club seit Bestehen der Bundesliga dabei, in den vergangenen zwei Jahren fast abgestiegen wäre. Und obwohl der HSV weit von den großen Erfolgen der Vergangenheit (1983 Gewinn des Landesmeisterpokals) entfernt ist, dürfte der Fußballclub von allen Sportvereinen Hamburgs die uneingeschränkte Nummer eins der Stadt sein. Neben der Hoffnung auf neue sportliche Erfolge muss der HSV, der mit immerhin 170 Mitarbeitern in der Geschäftsstelle längst ein mittelständisches Unternehmen geworden ist, indes aufpassen, die eigene Identität nicht zu verlieren. In einem Workshop wird seit Monaten nach einem neuen Leitbild für die HSV AG gesucht. Der HSV e. V., Hauptanteilseigner der HSV AG, hat noch immer mehr als 73.000 Mitglieder.

FC St. Pauli

Der FC St. Pauli befindet sich zum aktuellen Zeitpunkt wirtschaftlich und sportlich in einer der besten und vielversprechendsten Situationen der vergangenen Jahrzehnte. Als Tabellenvierter der Zweiten Liga hat der Kiezclub die Chance, um den Bundesligaaufstieg mitzuspielen, nachdem vor einem Jahr der Sturz in die Dritte Liga und damit in die sportliche Bedeutungslosigkeit und in eine wirtschaftlich schwierige Lage drohte. In den vergangenen fünf Geschäftsjahren erwirtschaftete der FC St. Pauli jeweils einen Gewinn. Dieser fiel zuletzt mit rund 235.000 Euro nach Steuern nur deshalb relativ gering aus, weil in diesem Zeitraum der Abriss und der Neubau der Nordtribüne fielen und damit die Kapazität des Millerntor-Stadions auf rund 24.000 Plätze sank.

Seit Saisonbeginn ist das Stadion voll nutzbar und mit 29.546 Plätzen so groß wie nie zuvor in seiner Geschichte. Dennoch liegt die Auslastung bei 99,2 Prozent. Mit 29.318 Zuschauern pro Heimspiel hat St. Pauli den besten Zuschauerschnitt der Zweiten Bundesliga, obwohl gleich sieben Vereine größere Stadien haben. Der Konzernumsatz betrug im vergangenen Geschäftsjahr rund 33 Millionen Euro. An Gehältern, Prämien und Sozialleistungen wurden für die Profispieler rund neun Millionen Euro aufgewendet und damit gut 1,2 Millionen Euro mehr als im Geschäftsjahr zuvor. Die Einnahmen aus Werbung stiegen zuletzt (Saison 2014/15) auf 5,9 Millionen Euro, wobei allein Hauptsponsor Cong­star 1,39 Millionen Euro zahlte. Insbesondere aufgrund des praktisch abgeschlossenen Stadionneubaus hat der FC St. Pauli Verbindlichkeiten von 43,5 Millionen Euro. Darauf entfallen 28,1 Millionen Euro auf Bankdarlehen und knapp acht Millionen Euro auf die Fan-Leihe, die 2018 zurückzuzahlen ist. An Zinsen hat St. Pauli zuletzt 1,9 Millionen Euro im Jahr gezahlt.

Die Zahl der Mitglieder ist auf den Vereinsrekordwert von rund 22.000 gestiegen. Der Verein ist als e. V. organisiert und gehört zu 100 Prozent den Mitgliedern. Eine Ausgliederung oder Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft ist derzeit undenkbar und wird auch von der Vereinsführung nicht angestrebt. Derzeit sind gut 30 Mitarbeiter fest beim Kiezclub angestellt. Größte Erfolge des FC St. Pauli waren die bisher fünf Aufstiege in die Bundesliga, die drei geglückten Klassenerhalte in der Eliteliga sowie das Erreichen des DFB-Pokal-Halbfinales 2006.

Die Chance auf erhebliche Einnahmesteigerungen verspricht der jüngste Aufkauf der Upsolut Merchandising GmbH und Co. KG und damit die Sicherung der Merchandisingrechte. Hinzu kommt, dass von der kommenden Saison an Under Armour als neuer Ausrüster rund eine Million Euro zahlen wird und damit weit mehr als je ein Ausstatter vorher bei St. Pauli. Personell ist der FC St. Pauli mit Cheftrainer Ewald Lienen, Geschäftsführer An­dre­as Rettig und Sportchef Thomas Meggle sowie dem zielgerichtet und uneitel arbeitenden Vorstand um Präsident Oke Göttlich sehr gut aufgestellt.

Für die kommenden Monate wird es sportlich darauf ankommen, das Niveau der bisherigen Saison mindestens zu halten und nicht die Saison austrudeln zu lassen, wenn der Aufstieg nicht mehr in Reichweite sein sollte. Zudem wird es darum gehen, wichtige Spieler, die das Interesse der Konkurrenz geweckt haben, zu halten und Verstärkungen zu finden, die zum Club passen und ihn sportlich weiterbringen.

Hamburg Freezers

Seit der Saison 2002/03 spielen die Hamburg Freezers in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), der höchsten nationalen Klasse. Der Etat der laufenden Saison, die 52 Hauptrundenspiele und anschließende Play-offs vom Viertelfinale bis zum Finale umfasst, beträgt geschätzte 7,5 Millionen Euro. Knapp die Hälfte davon entfällt auf die Gehälter, weiterer wichtiger Posten ist die Miete für die Spielstätte Barclaycard Arena, die pro Heimspiel mit rund 35.000 Euro angesetzt ist. Auf der Geschäftsstelle in der Volksbank-Arena arbeiten inklusive Geschäftsführer Uwe Frommhold (gleichzeitig Arena-Chef) 21 Mitarbeiter. Der Kader umfasst 28 Spieler. Eigner des Clubs, der seinen Spielbetrieb in der HEC GmbH durchführt, ist die Anschutz Entertainment Group (AEG) des US-Milliardärs Philip Anschutz, die gleichzeitig Betreiber der Barclaycard Arena ist. Sie finanziert den Spielbetrieb zu großen Teilen, dazu kommt ein Pool aus Sponsoren. Hauptsponsor ist das Münchner Reiseunternehmen 5vorFlug, das noch bis Ende dieser Saison einen Sockelbetrag von einer halben Million Euro jährlich überweist. Dahinter folgt die Ebene der Premium-Partner: Autohaus Thomsen, Alsterradio, S-Bahn Hamburg und Ausrüster Hummel, dann 14 weitere Partner.

Die Akzeptanz in der Stadt hat in den vergangenen Jahren proportional zur sportlichen Leistung zugenommen. In der vergangenen Saison besuchten im Schnitt 8987 Zuschauer die Heimspiele. Durch den Hamburg Freezers e. V., der sich um Nachwuchsförderung bemüht, ist der Club in Wirtschaft und Politik sehr gut vernetzt. Größter sportlicher Erfolg war der Halbfinaleinzug in den Spielzeiten 2003/04 und 2013/14. In dieser Saison ist das Erreichen von Platz sechs das erste Ziel, die direkte Qualifikation für die Play-offs. Das Kadergerüst mit vielen jungen deutschen Profis hat das Potenzial, um die Freezers mittelfristig zum Titelkandidaten werden zu lassen. Größte Herausforderung für die Zukunft ist die Weiterentwicklung des eigenen Nachwuchses, der in der höchsten deutschen Juniorenliga spielt.

HSV Handball

Deutscher Meister 2011, Champions-League-Sieger 2013 – dem Handball-Sport-Verein (HSV) Hamburg stand die Handballwelt lange Zeit offen. Aber selbst in seinen erfolgreichsten Zeiten von 2010 bis 2013 lebte der Club weit über seine wirtschaftlichen Verhältnisse, als er bei einem Rekord-Zuschauerschnitt von 10.688 gut elf Millionen Euro ausgab, aber nur knapp neun Millionen einnahm. Der Gesundheitsunternehmer (GHD) Andreas Rudolph, 60, Hauptsponsor, Mäzen und langjähriger Präsident, glich die Defizite immer wieder aus, steckte seit 2005 mehr als 50 Millionen Euro in den Verein. Als er jetzt die Lust verlor, ging der Club pleite. Geschäftsführer Christian Fitzek droht deswegen der Prozess wegen Insolvenzverschleppung und Betrugs. Acht Angestellte verlieren ihren Job, die noch 16 Spieler des Bundesligateams werden wohl einen neuen Club finden wie Erfolgstrainer Michael Biegler. Wenigstens der Stammverein, der HSV Hamburg e. V., wird überleben und mit ihm die Talentförderung. Die U23 steht vor dem Aufstieg in die Dritte Liga Nord (siehe auch Berichte Seite 29).

Hockey

Hamburg gilt zu Recht als deutsche Hockey-Hauptstadt. Unter diesem Motto hat sich im vergangenen Jahr auf Betreiben des 29 Clubs starken Hamburger Verbands eine Marketingplattform gegründet, die zum Ziel hat, Sponsoren zu gewinnen, die den Sport in seiner Gesamtheit und nicht nur einzelne Clubs fördern möchten. Als Exklusivpartner konnten Hapag-Lloyd Kreuzfahrten und der Ausrüster Peco Sports gewonnen werden.

Die Vereine finanzieren ihren Spielbetrieb meist über Mitgliedsbeiträge und Zuwendungen durch Mäzene. Die Bundesligaclubs – der Club an der Alster, der Harvestehuder THC und der Uhlenhorster HC bei Damen und Herren, bei den Damen zusätzlich der Großflottbeker THGC – haben zusätzlich Hauptsponsoren, die einen Teil der im sehr niedrigen sechsstelligen Bereich liegenden Etats beisteuern. Doch trotz der vielen Erfolge der Clubs, ist die Suche nach Partnern schwierig. Als die HTHC-Herren 2014 deutscher Feldmeister wurden und die Europapokale in der Halle und auf dem Feld gewannen, konnte die Braugruppe Bitburger mit der Marke König Pilsener als Trikotsponsor gewonnen werden. Ansonsten kommen Sponsoring-Engagements meist nur dank persönlicher Beziehungen zustande. Die Vernetzung und Akzeptanz des Hockeys, das traditionell noch immer als Elitesport gesehen wird, in Politik und Wirtschaft ist sehr gut. Die größte Herausforderung für die Zukunft ist, den sportlichen Standard in Hamburg auf dem aktuell hohen Niveau zu halten und mehr Zuschauer für die Bundesligaspiele zu gewinnen, die meist nur von wenigen Hundert Zuschauern besucht werden. Nur bei Lokalderbys sind vierstellige Zuschauerzahlen gang und gäbe.

Volleyball-Team Aurubis

Bundesliga-Volleyball steht in Hamburg vor dem Aus. Nachdem die Kupferhütte Aurubis, Namens- und Geldgeber der Frauen des Volleyballteams Aurubis aus Neugraben, ihren Ausstieg zum Saisonende bekannt gab, fehlt den Machern um die Clubpräsidenten Horst Lüders und Volker Stuhrmann nach jahrelangem Missmanagement und fehlender sportlicher Erfolge mindestens eine halbe Million Euro, um den Spielbetrieb 2016/17 weiterführen zu können. Appelle an Politik und Wirtschaft haben bislang ebenso wenig gefruchtet wie Dutzende Gespräche mit Unternehmen und Agenturen.

Das sagt viel aus über die Akzeptanz des Clubs in Hamburg. Außerhalb des Süderelberaums wird kaum Notiz genommen vom VT Aurubis, das zudem in den vergangenen Jahren auch sportlich versagte. Dies hat sich auch auf die Zuschauerresonanz niedergeschlagen, die meist unter 1000 Besuchern liegt. Das vergangene Spieljahr schloss die Auswahl von Cheftrainer Dirk Sauermann auf Platz neun ab. Im Jahr davor war man in der gesamten Hauptrunde ohne Sieg geblieben und konnte den Abstieg nur vermeiden, weil kein Zweitligist aufsteigen wollte.

Der Etat, der einst bei einer Million Euro lag, beträgt noch 650.000 Euro. Das reicht nicht, um die Kader-Sollstärke von zwölf Spielerinnen zu erreichen. Dennoch spielt das Team zu elft eine ordentliche Saison und sollte dem sportlichen Abstieg entgehen können. Die Herausforderung für die nahe Zukunft ist, Geldgeber zu finden, die weiter den Bundesligabetrieb ermöglichen.

Hamburg Towers

14 Jahre nach der Pleite der BC Johanneum Tigers gibt es wieder einen Hamburger Basketballclub mit erstklassigen Ambitionen. Diesmal scheint alles weitsichtiger geplant, solider finanziert und strukturierter aufgestellt. Das Projekt hat Zukunft. Der Etat der Hamburg Towers Basketball-Betreibergesellschaft mbH von rund 1,1 Millionen Euro für die Zweite Bundesliga ProA ist gedeckt, Sportchef Marvin Willoughby beharrt darauf, erst aufzusteigen, wenn auch das Umfeld bundesligareif ist. Bisher kümmern sich sechs Mitarbeiter im Backoffice plus Geschäftsführer Jochen Franzke um den Spielbetrieb, die Vermarktung und die Akquise der Sponsoren. Wichtigste Geldgeber sind derzeit Vattenfall, Edel-Optics und König Pilsener. Ein Trikotsponsor, der eine halbe Million Euro zahlt, fehlt. Der Zuschauerschnitt in der Wilhelmsburger Inselparkhalle, die – auch dank 6,7 Millionen Euro Zuschuss der Stadt – aus der Blumenhalle der Internationalen Gartenschau (igs) entstand, beträgt derzeit 2689, die Kapazität der Basketball-Arena wurde im Sommer auf 3400 Plätze aufgestockt. Die Rollstuhlbasketballer tragen hier ebenfalls ihre (Bundesliga-)Spiele aus.

Basis der Towers sind die Sozialarbeit des Vereins Sport ohne Grenzen, die erfolgreiche Nachwuchsarbeit der Piraten und die im Februar anlaufenden Kooperationen mit zunächst 20 Schulen, die Vattenfall finanziert.

Das Ziel bleibt, Basketball in Hamburg zu etablieren, dabei sportlich erfolgreich zu sein und mittelfristig den Wurf zur Erste Bundesliga zu schaffen, wozu ein Saisonetat von mindestens zwei Millionen Euro benötigt wird. Die Mannschaft um Chefcoach Hamed Attarbashi wurde bislang in der Stadt gut angenommen, nach dem Anfangshype waren die Zuschauerzahlen in der laufenden zweiten Serie zwar zunächst gesunken, zuletzt war die Halle aber wieder ausverkauft. Den Towers gelingt es, neben dem Basketballstammpublikum viele junge Leute für die Auftritte des attraktiven Teams zu begeistern. Auch das unterscheidet den Club von den BCJ Tigers.