Angesichts rechter Gewalt und zunehmender Aktivitäten von Salafisten fordert Buchautor Christoph Giesa („Gefährliche Bürger“) mehr Engagement der Menschen zum Schutz des liberalen Modells

Nach dem Messerattentat auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin und die bei Pegida-Demos gezeigten Galgen für Spitzenpolitiker scheint klar: Bei den Rechten macht sich ungezügelter Hass breit, auch Gewalt gegen Menschen ist offenbar nicht mehr tabu. Der Hamburger Autor Christoph Giesa hat zusammen mit Liane Bednarz in dem Buch „Gefährliche Bürger. Die Neue Rechte greift nach der Mitte“ schon vor diesen Eskalationen vor einem Erstarken einer von braven Bürgern unterstützten Neuen Rechten gewarnt. Nun sieht er sich schmerzlich bestätigt – und fordert deutlich mehr Engagement zur Verteidigung der offenen Gesellschaft. In alle Richtungen.

Hamburger Abendblatt: Herr Giesa, hätten Sie mit einer solchen Eskalation des Hasses und der Gewalt gerechnet?

Christoph Giesa: Es gibt Momente, in denen man lieber nicht recht gehabt hätte. Aber ich muss sagen: Ja, wir haben in dem Buch schon beschrieben, wie der Hass zuletzt immer weiter salonfähig gemacht wurde. Und parallel zu den Worten eskalieren dann eben auch die Taten: Anschlägen auf Asylbewerberheime folgten die Ausschreitungen in Heidenau, und es war nur eine Frage der Zeit, bis aus der Hetze gegen die Protagonisten des Staates Gewalttaten wurden.

Wenn man sich die große Hilfsbereitschaft der Deutschen gegenüber Flüchtlingen ansieht, scheint die radikale Rechte aber nicht davor zu stehen, die Mehrheit zu übernehmen.

Giesa: Für den Moment mag das so scheinen. Aber die Protagonisten der Neuen Rechten haben Zeit. Sie warten geduldig auf Dinge, die schiefgehen, etwa auf Probleme in Flüchtlingsheimen, um diese dann zu instrumentalisieren. Dabei grenzen sich deren Vordenker wie etwa die AfD-Figuren Alexander Gauland oder Björn Höcke bewusst von der alten Rechten ab, von Nazis und Neonazis. Sie wollen kein lautes Geschrei, keine Revolution über Nacht. Vielmehr wollen sie vor allem die Debatte so beeinflussen, dass unser offenes, liberales Gesellschaftsmodell diskreditiert wird auf dem Weg zu ihrem langfristigen Ziel, einem autoritären, antiwestlichen, antiliberalen, fremdenfeindlichen und homophoben Gesellschaftsmodell.

Bisher hatte man in Deutschland gleichwohl nicht den Eindruck, dass radikal rechte Positionen hoffähig sind.

Giesa: Na ja, auch bisher hat man mit rechten Positionen in Deutschland schon so um die zwei bis drei Millionen Wähler erreicht. In Sachsen haben 250.000 Wähler die AfD, NPD oder die Pro-Gruppe gewählt. Solange die nicht sichtbar werden, wie im Rahmen von Pegida, vergisst man das gerne.

Welche Rolle spielt der wachsende Zustrom von Flüchtlingen in der Auseinandersetzung mit der Rechten?

Giesa: Man muss ehrlich sagen, dass weder die Europäische Union noch unsere Regierung eine besonders gute Figur bei diesem Thema macht. Und jeder Fehler der Säulen des Systems nutzt natürlich den Systemgegnern. Die Bundesregierung hätte seit Jahren über das Thema in der EU verhandeln und dann auch die Belange der südeuropäischen Länder berücksichtigen müssen. Man darf das Thema gleichwohl nicht den Rechten überlassen.

Was ist also zu tun?

Giesa: Auch wenn Parolen einfacher sind: Wir müssen weiterhin differenzieren. Wir müssen die Probleme benennen, sie offen politisch diskutieren, Lösungen finden. Wir müssen beispielsweise auch klar sagen, dass nicht alle Menschen, die jetzt kommen, bleiben können. Und zugleich müssen wir betonen, dass alle menschenwürdig aufgenommen und behandelt werden müssen. Dabei darf man auch als Liberaler durchaus parallel an die Gefühle der Bürger appellieren. Machen wir uns doch bewusst: Die Deutschen sind so wohlhabend wie nie. Es gibt keinen Grund für einen finsteren Kulturpessimismus.

Hauptgegner vieler Neu-Rechter ist der Islam. Ist die Angst vor einer Islamisierung für Sie nachvollziehbar?

Giesa:Nein, nicht wirklich. Ohne die tatsächlich bestehenden Probleme etwa mit Salafisten oder türkischen Nationalisten irgendwie kleinreden zu wollen: Für die meisten Muslime, die ich kenne, ist Religion selbstverständlich Privat­sache. Genauso wie es für die meisten Menschen anderer Religionen ist. Gleichwohl schadet es sicher auch nicht, wenn sich mehr Menschen aus der islamischen Community lautstark für Gleichberechtigung von Frauen und andere Werte des Grundgesetzes positionieren.

Nun erstarkt einerseits die Neue Rechte, andererseits gibt es auch in Hamburg immer mehr Koranverteilungen von Islamisten, gegen die dann wiederum die AfD mobilisiert. Wird die Mitte irgendwann aufgerieben?

Giesa: Damit das nicht passiert, braucht es in Zukunft mehr Engagement von Menschen, die sich für die offene Gesellschaft einsetzen. Denn diese ist immer das Ziel der Angriffe, egal ob von Islamisten, Rechten oder türkischen Nationalisten. Die Feinde der offenen Gesellschaft, egal von welcher politischen Seite oder vermeintlich einzig wahren Religionsauslegung sie kommen, eint ja vor allem ein Ziel: Sie wollen zeigen, dass dieses freiheitlich-demokratische System schwach ist. Die einen sagen, dass die westliche Welt verweichlicht ist, weil sie ungläubig ist. Für die anderen ist sie verweichlicht, weil sie liberal ist, gegen Homophobie und für ein Miteinander der Kulturen steht.

Und was halten wir diesem doppelten Angriff entgegen?

Giesa: Man muss diesen Leuten Kontra geben, wo immer man sie trifft. In Diskussionen und notfalls auch mit den Mitteln des Rechtsstaates. Wenn etwa islamistische Vereine bei Koranverteilungen belegbar für den IS werben, dann muss man sie verbieten. Wir müssen und wir können zeigen, dass diese offene Gesellschaft eben nicht schwach ist, sondern stark und gut. Dafür wird es aber in Zukunft auch mehr Engagement brauchen.

Welche Art Engagement?

Giesa: Sei es nur, dass man Leute anzeigt, die menschenverachtende oder volksverhetzende Parolen bei Facebook von sich geben. Diese Diskussion wird für alle eine Herausforderung. Denn die Grenzen werden auch im eigenen Freundeskreis und der eigenen Familie verlaufen. Da wird es dann nicht mehr nur um unterschiedliche Meinungen gehen, sondern um grundsätzliche Vorstellungen darüber, wie wir unser Zusammenleben organisieren wollen. Dabei wird, viel öfter als heute, vor allem eines verlangt: ein klares Bekenntnis zur Freiheit.

Bei Pegida und ihren Mitstreitern heißt es oft, es gebe Tabus, man dürfe nicht die Wahrheit sagen, und Politiker und Journalisten hätten sich verschworen.

Giesa: Dieses Motiv wird bisweilen geradezu grotesk zelebriert. Das haben wir auch im Buch aufgegriffen. Wenn etwa bei einer Buchvorstellung von Thilo Sarrazin ein Medienandrang herrscht wie sonst nur bei sportlichen Großereignissen, dann wird nachher trotzdem noch behauptet, Sarrazins Thesen würden unterdrückt. Hier von Tabu zu reden, ist absurd. Gleichwohl: Tabus sind in einer Gesellschaft natürlich wichtig. Gewalt und respektloses Verhalten sollten tabu sein.

Was glauben Sie, wie es weitergeht?

Giesa: Ich glaube, der Ton wird sich weiter verschärfen. Leider. Man wird das, was wir haben, nicht mehr achselzuckend als für immer gegeben hinnehmen können. Man muss es verteidigen.

Verschieben sich damit auch die parteipolitischen Frontlinien?

Giesa: Ja, sie werden nicht mehr vor allem zwischen Linken und Konservativen verlaufen, sondern zwischen Menschenfreunden und Menschenfeinden. Für die Neuen Rechten wie für die Salafisten sind nicht die Linken das Feindbild, sondern alle, die liberal sind. Der Liberalismus ist für sie das größte Übel. Die Auseinandersetzungen zwischen SPD, FDP, Grünen, CDU werden vermutlich an Schärfe abnehmen, weil die zentralen Debatten mit denjenigen geführt werden müssen, die das freiheit­liche System infrage stellen.

Wie geht es eigentlich Ihrem Freund, dem Welt-Kolumnisten und Ex-„Spiegel“-Kulturchef Matussek, der Sie als geldgierigen Zwerg und Antisemiten bezeichnet und mit allerlei anderen Beschimpfungen belegt haben soll?

Giesa: Von Freund kann natürlich keine Rede sein. Meine Klage auf Unterlassung und Schmerzensgeld wegen verschiedener Schmähungen läuft. Ich kenne den Mann persönlich gar nicht, aber er hat mit haltlosen Unterstellungen versucht, meine Existenz zu gefährden. Dabei hat er übrigens auch antisemitische Beschimpfungen genutzt.

Hängt der Streit mit Matussek auch mit Ihrem Buch zusammen? Immerhin kommt er darin nicht sonderlich gut weg.

Giesa: Das Buch gab es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Aber das Verhalten Matusseks, also dieser offensichtliche Glaube, über dem Recht zu stehen, der passt sehr gut zum Thema. Dieser Glaube speist sich bei den typischen Vertretern der Neuen Rechten aus dem Gefühl, sich in einem gerechten Abwehrkampf zu befinden, gegen eine empfundene Überfremdung oder gegen den Islam etwa. Wie er sich bei religiösen Fundamentalisten aus dem Gefühl speist, der einzig wahren Religion anzuhängen. Wenn Menschen vollkommen überzeugt sind, für die einzige wahre gerechte Seite zu streiten, dann werden sie schnell zu gefährlichen Bürgern.