Was bisher geschah: Der Polterabend endet in einem Fiasko, und die Chancen, dass Natalie und Hansen doch noch zu­einanderfinden werden, stehen ziemlich schlecht. Und da sich nun auch noch der potenzielle Investor Yuri Karamasov als kolossaler Blender entpuppt hat, könnte nun auch das gesamte Royal den Bach runtergehen ...

Erhardt bugsierte den gebeutelten Hansen in die Küche, platzierte ihn am Pass und schenkte dann zwei Doppelte ein. Kümmel, den guten, aus seinem Deputat für Notfälle. Für Notfälle wie diesen. Die Küchenmannschaft hielt sich bewusst zurück. „So eine Scheiße! Die ist jetzt bestimmt draußen und schreit in den Wind“, sagte Hansen dumpf.

Erhardt drückte ihm das geeiste Schnapsglas in die Hand. „Was willste denn machen, Hansen? Es musste immer schon nach ihrem Kopf gehen. So war sie schon als kleines Mädchen“, sagte er.

„Aber so kann man doch keine Beziehung aufbauen“, entgegnete der verlassene Bräutigam und starrte frus­triert auf sein Schnapsglas.

„Runter damit, Hansen!“, befahl Erhardt, „nich lang schnacken, Kopp in ’n Nacken!“ Sie stürzten den Kümmel hinunter. Hansen schüttelte sich. „Jedes Ding hat seine Zeit“, meinte Erhardt und schenkte sich selbst einen weiteren Doppelten ein. Weil er auf einem Bein nicht stehen konnte.

„Und was mache ich jetzt?“, wollte Hansen wissen.

Der erfahrene Oberkellner legte seine schwielige Hand auf Hansens Schulter. „Entweder du vergisst die Hochzeit, oder du fährst mit ihr in die Südsee und vergisst das hier“, sagte er. „Ich kenn doch meine Natalie. Die gibt’s nur ganz oder gar nicht.“

„Das kann ich nicht!“, stieß Hansen aus, hörbar gequält, „und das will ich auch gar nicht.“

„Verstehe“, sagte Erhardt und kippte gefühlvoll einen Kümmel nach. Dann standen sich die beiden Männer noch ein paar Minuten gegenüber. Schweigend. Erhardt wusste, wann jedes weitere Wort überflüssig war.

Im Kleinen Saal waren die Lichter heruntergedimmt. Sabine Laeisz starrte hinaus auf den dunklen Elbstrom. Sie wandte sich um, als ihr Ex-Mann den Kleinen Saal betrat, sein Mobiltelefon am Ohr. „Du, Henning“, sagte der Reeder, „ich glaube, ich muss den Termin für morgen Nachmittag absagen ... Warum? ... Das erklär ich dir später! ... Yuri Karamasov? Ja, hast du über ihn was rausfinden können? ... Ach was! O je. Also, Henning: vielen Dank dafür.“

„Was denn für einen Termin?“, fragte die Brautmutter neugierig, als der Reeder sein Telefonat beendet hatte, einen Stuhl heranrückte und neben ihr Platz nahm.

„Beim Notar. Ich wollte Natalie morgen eigentlich meinen Anteil am Royal überschreiben ...“, sagte Jochen Laeisz, „aber sie will nicht mehr. Sie will nur noch weg. Sie wollte nicht mal mit mir reden.“

„Herrjemine“, rief Sabine Laeisz, „und was mache ich jetzt mit dem Termin bei Marlis Möller? Ich wollte Natalie doch eine richtig neue Frisur schenken!“

„Ich glaube, ich brauche mal frische Luft“, sagte der Reeder.

Seine Exfrau sah ihn lächelnd an. „Jochen, lass uns mal aufs Wasser gucken – das entspannt!“

Jochen Laeisz lächelte. „Weißt du was, Sabine“, sagte er dann unvermittelt, „ich habe immer noch mein altes Folkeboot in Teufelsbrück liegen. Lass uns doch mal wieder segeln auf der Elbe, runter nach Cuxhaven, rein in die Oste und da ankern – die Stadt einfach noch einmal von einer ganz anderen Seite sehen!“

Sabine Laeisz legte ihre rechte Hand auf seinen Oberschenkel. „Auf dem Boot hast du mir damals den Heiratsantrag gemacht“, sagte sie. „Ich weiß.“ Jochen Laeisz konnte sich noch gut daran erinnern. Und das tat er in diesem Moment sogar gern.

„Dabei wären wir fast gekentert!“ Sie lachte leise auf.

„Stimmt. Das war so ’ne Schönwetterhalse.“ Der Reeder gluckste.

Sie sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick. „Meinst du, wir können das noch?“, fragte sie. Jochen Laeisz grinste. „So was vergisst man nie.“

Ihre Hand suchte seine Hand und fand sie. „Und dann mach ich uns einen Strammen Max. Ganz unvegan – mit Schinken und Schwarzbrot.“ Sie fand es schön, dass er den leisen Händedruck ihrer Hand erwiderte.

Als Steffi die Küche betrat, zog sich Erhardt sofort zurück. Er murmelte irgendwas von „abräumen und ein­decken“ und war bereits verschwunden, als Steffi auf Hansen zuging und ihn fragte: „Du willst doch jetzt nicht wirklich weg, oder?“ Wenn Hansen sich bloß so sehen könnte, dachte sie. Armer Kerl! Andererseits ...

Hansen kratzte sich verlegen am Ohr. „Was soll ich denn machen?“, sagte er, „die Alte schmeißt doch weiter das Geld mit beiden Händen raus. Neulich habe ich sie erwischt, wie sie eine Lieferung aus einem Kellnerportemonnaie bezahlt hat. Und wenn Natalies Vater dies will, will sie garantiert das Gegenteil. Und dann noch dieser durchgeknallte Karamasov! Wedelt den ganzen Tag mit seinem bescheuerten Goldfisch herum und will wieder was ganz anderes. Jeden Tag schreiben wir die Speisekarte dreimal um – und das nur wegen zweier alter Leuten, die den Fuß nicht aus der Tür kriegen. Ich frage mich eben bloß, wie das hier alles weitergehen soll?“

Komisch, dachte Steffi, er hat Natalie mit keinem einzigen Wort erwähnt. „Mensch, Hansen, dieses ‚entweder Sushi oder Matjes‘ ist doch total blöd. Die Lösung heißt Fusion!“ Hansen sah Steffi fragend an. „Na ja“, fuhr sie fort, „Matjessushi oder Sushimatjes ist doch egal. Jedenfalls gab es das bisher noch nicht.“

Ugur schaute um die Ecke. „Ist sie weg?“, fragte er.

„Wer?“, fragten Steffi und Hansen wie aus einem Mund zurück.

„Der Gemüsetaliban! Wenn ich das schon höre: Windkraft, Frauenquote, regionales Gemüse, kriege ich Pickel!“ Ugur kam mächtig in Fahrt. „Und wenn in meiner Küche noch ein einziges Mal das Wort ‚vegan‘ fällt, kündige ich auf der Stelle!“

Hansen baute sich wie ein deutscher Eichenschrank vor Ugur auf. „Du kannst auch gleich abhauen, du Arschloch ...“, sagte er leise.

„Was soll das denn jetzt, Hansen?“, schaltete Steffi sich ein.

Hansen winkte ab. „Lasst mich doch alle in Ruhe. Ich war so kurz davor. Soooo kurz! Und dann das. Ich hätte heute Morgen kündigen sollen und nicht du ...“ Er wandte sich von ihr ab und stiefelte zur Tür.

„Wo willst du denn hin, Hansen?“, rief Steffi.

„Keine Ahnung“, antwortete er und war bereits im nächsten Moment verschwunden. Einen Moment später öffnete sich die Schwingtür erneut, und die Hanseatin betrat die Küche, den Reeder im Schlepptau. „Kindchen, Kindchen“, wandte sie sich an Steffi, „Männer können so blind sein, wenn sie etwas erzwingen wollen. Da werden selbst die humorlos, die vorher noch lustig waren!“

„Ich komme nicht mehr an Hansen ran. Ich weiß gar nicht, ob er Natalie heiraten wollte oder das Lokal oder gleich ganz Hamburg“, sagte Steffi.

Die Hanseatin hob mahnend den rechten Zeigefinger. „Wenn du um drei Bräute freist, hast du am Ende keine! Ist ein altes friesisches Sprichwort.“ Steffi nickte. Dabei hatte sie die Geschichte mit Natalie überhaupt nicht kommen sehen. Bums, war sie plötzlich da gewesen, aus dem toten Winkel. Emilie Overbeck sah genau, was in Steffi vorging. „Die Natalie, die wollte nur spielen. Das ging gegen ihren Vater!“ Jochen Laeisz zuckte zusammen. „Und als sie gemerkt hat, dass sie in der Falle sitzt, da ist sie verduftet ...“, stellte die Hanseatin nüchtern fest.

„Und was soll denn jetzt werden?“, fragte Steffi und sah die beiden älteren Herrschaften an. Ugur hielt beim Saubermachen inne. Das konnte nicht nur interessant werden, nein, es war die Frage aller Fragen überhaupt.

„Was werden? Womit?“, entgegnete der Reeder. „Na ja, mit Hansen – mit unserem Royal!“, rief Steffi.

Der Reeder breitete die Arme aus. „Also die russische Lösung ist tot“, sagte er. „Ich habe von meinem Anwalt die Mitteilung bekommen, dass der saubere Herr Karamasov von keiner deutschen Bank eine Bonitätsbescheinigung bekommt. Und bei der Schufa ist der auch schon mehrfach auffällig gewesen. Der Mann ist nix und hat nix ...“

„Mir kam er ja sofort ein bisschen windig vor“, warf die Hanseatin ein.

Steffi unterdrückte ein Grinsen, als sie jetzt an den Goldfisch denken musste, der im Topf neben der Bain Marie schwamm. Dann riss sie sich zusammen und sagte: „Aber wir können das Royal doch nicht so einfach untergehen lassen. Wir müssen kämpfen, bis zum Schluss!“

„Aber womit?“, seufzte der Reeder.

Steffi ballte die Fäuste. „Es gibt ein Konzept, es gibt eine gute Mannschaft und einen fähigen Geschäftsführer im immer noch schönsten Lokal der Welt. Es fehlt immer nur an ein bisschen Geld!“ sagte sie.

In der Küche wurde es mit einem Mal mucksmäuschenstill. Die Hanseatin atmete schwer. Auf einmal blickte sie den Reeder an und sagte: „Mir ist ja eins klar geworden in den letzten Tagen: Bei all unseren Gesprächen über die Zukunft – es fehlt nicht nur an Geld ... Ein mutiger Entschluss muss her!“

Man sah ihr an, dass in ihrem Inneren jetzt ein harter Kampf tobte. Leise fing sie an, die ersten Takte eines Liedes zu summen. „In Hamburg sagt man Tschüs – das heißt auf Wiedersehen ...“ Die Hanseatin seufzte. „Das Problem ... bin ich. Ich muss endlich raus aus dem Museum meiner Erinnerung an Viktor“, stieß sie hervor. Der Reeder beugte sich vor. Auch Steffi glaubte, sich verhört zu haben. „Jochen: Gegen eine kleine Leibrente vermach ich dir meine Anteile. Das sind doch für einen Mann wie dich Peanuts!“

Jochen Laeisz strahlte plötzlich über das ganze Gesicht. „Meine Liebe, wenn du das morgen immer noch willst, dann bringen wir das bei Henning ordentlich zu Papier. Darauf können wir doch jetzt mal trinken?“ Er sah Steffi erwartungsvoll an.

Aber die schüttelte den Kopf. „Dazu müssen wir aber erst einmal mit Hansen reden. Der hat dazu noch nichts gesagt.“

„Dann holen Sie den doch mal!“, sagte der Reeder.

„Ich weiß aber nicht, wo er ist“, sagte Steffi. „Er ist vorhin weg, als Sie kamen, verschwunden!

„Wie? Ganz weg? Für immer?“, wunderte sich die Hanseatin.

„Ich weiß es nicht!“, rief Steffi.

„Dann gehen Sie ihn doch bitte sofort suchen“, entgegnete die Hanseatin. „Weit kann Hansen doch noch nicht sein!“

In 24 Stunden kann so viel geschehen, dachte Hansen, in 24 Stunden können deine schönsten Träume zerplatzen, und dann bist du total verwundert und kannst das alles nicht verstehen. Er saß auf einem Poller, sah über den Fluss und wartete auf den Sonnenaufgang. In der Hand hielt er Steffis Kündigungsschreiben. Es war zerknittert, aber er hatte den Briefumschlag noch nicht geöffnet. Ein paar Möwen kreischten, und aus Richtung Wedel näherte sich ein Containerriese. Hansen zog den Reißverschluss seines Anoraks hoch und kauerte sich auf den Poller. Er fröstelte. „Ich hab’s falsch gemacht, von Anfang an. Das mit der Hochzeit war ein Fehler. Ich wollte Natalie zu sehr. Und wenn man etwas zu sehr will, bekommt man es nicht. Das hat meine Mutter immer gesagt“, sagte Hansen zum dunkelgrauen Wasser.

„Wenn man sich in eine Idee verrennt, sieht man die Realität nicht mehr“, sagte eine Stimme hinter ihm. Es war eine Stimme, die er kannte. Und es freute ihn, diese Stimme zu hören. Trotzdem wandte er sich nicht um. „Weißt du, ich wollte so gern ein Hamburger sein – mit vollem Ornat, also einem dunkelblauen Blazer mit Goldknöpfen und einem Wappen auf der Brusttasche – doch jetzt fühle ich mich wie ein Hamburger mit Gurken und Zwiebeln obendrauf und das ganze Gesicht voller Ketchup ...“

„Hier bist du also!“, sagte Steffi, stellte sich neben ihn und schaute ebenfalls über den Strom.

„Wo soll ich denn sonst sein?“, fragte Hansen leise. Er vermied es, Steffi anzusehen.

„Ich such dich überall. Hattest du mir nicht erzählt, dass auf St. Pauli noch Licht brennt und wir allen Grund zum Tanzen haben? Ich glaube, ich war in jedem Club auf dem Kiez! Aber kein Hansen weit und breit.“

Hansen lächelte. „Ich hab’s nur bis vor die Tür geschafft – und als ich vorhin wieder reinkam, da warst du weg ... Da waren alle weg.“

„Hansen, Hansen!“, sagte Steffi tadelnd und hockte sich neben ihn.

„Steffi“, entgegnete Hansen, „es tut mir leid. Was soll ich sagen ...?“

Sie drehte sich zu ihm um und verschloss mit ihrem Zeigefinger seine Lippen. Im Osten zeigte sich ein zartes Orange am Himmel. Also konnte es ein schöner Tag werden.

„Psst“, flüsterte Steffi. Sie suchte seinen Blick, und als sie ihn gefunden hatte, sagte sie: „Nicht mehr reden jetzt, Hansen!“

– Ende –

H A M B U R G R O Y A L

Voraufführung und Premiere:
Heute letzte Voraufführung, Premiere morgen, Donnerstag, 24. September, St. Pauli Theater. Die weiteren Vorstellungen: bis 1. November täglich außer montags, jeweils 20 Uhr, sonntags 19 Uhr, 17. Oktober 15 Uhr.

Eintrittskarten
von 18,90 € bis 65,90 € inkl. aller Gebühren gibt es unter T. 040/747 11 06 66 oder unter Hamburger Abendblatt-Ticketline T. 040/30 30 98 98