Der Weltverband gibt nach einem umstrittenen Abstimmungsverfahren dem österreichischen Linz die Ruder-WM 2019. Dies ist auch ein Rückschlag für die Olympia-Pläne der Hansestadt. Doch Senator Neumann denkt schon an eine neue Bewerbung

Als Jean-Christophe Rolland zum Rednerpult schritt, um das Abstimmungsergebnis zu verkünden, hatten sich die Mienen in der vorletzten Stuhlreihe des Kongresszentrums „La Manège“ von Chambéry bereits verfinstert. Zwei Tage hatte Hamburgs Gesandtschaft um eine Wende bei der Vergabe der Ruderweltmeisterschaften 2019 gerungen. Sie hatte Gespräche geführt, Aufsteller platziert, Broschüren verteilt, sie hatte keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, um die Vorzüge ihrer Bewerbung herauszustreichen. Doch noch bevor Rolland, der französische Präsident des Weltverbandes Fisa, zu reden anhob, war klar, dass die Mühe umsonst gewesen war.

Denn die Wahl, Punkt 14 der Tagesordnung des Kongresses, war in Wirklichkeit keine gewesen. Anstatt über den Austragungsort durften die Delegierten nur entscheiden, ob sie einem Vorschlag des Councils zustimmen. Der hatte zuvor in zwei Redebeiträgen noch einmal klar dargelegt, warum er für Ottensheim bei Linz und nicht für Hamburg plädiert. Und dann kam Rollands Frage: „Stimmen Sie diesem Vorschlag zu?“ Wer kann dazu schon Nein sagen, mon chéri? Der Fisa-Kongress jedenfalls nicht. 128 Ja-Stimmen, 30 Nein-Stimmen, drei Enthaltungen.

Ausschlaggebend für die Niederlage waren auch die Windbedingungen

Non, diese Wahl konnte Hamburg nicht gewinnen – und sollte es wohl auch nicht. „Wir haben die Fragestellung nicht als fair empfunden“, sagte Jürgen Warner, der Vorsitzende des Landesruderverbands AAC/NRB. Das Fisa-Council habe das Recht und auch die Pflicht, eine Einschätzung abzugeben. „Aber es muss eine offene Fragestellung zur Abstimmung stehen, das werden wir der Fisa auch sehr deutlich machen.“ Sportsenator Michael Neumann sprach süffisant von einer „bemerkenswerten, aber lehrreichen Abstimmung“. Zusammen mit Warner und dem deutschen Verbandspräsidenten Siegfried Kaidel hatte er am Finalwochenende der WM auf dem nahe gelegenen Lac d’Aiguebelette versucht, das Ruder zugunsten Hamburgs herumzureißen.

Der Council hatte sich ja nicht so deutlich auf die österreichische Seite geschlagen, als dass der Kampf aussichtslos erschienen wäre. Beide Städte, die sich im Juni beim Weltcup in Varese (Italien) präsentiert hatten, wären „exzellente Gastgeber“, hieß es in der Einschätzung. Anstelle der üblichen Empfehlung an den Kongress wurde Ende August deshalb nur der „Vorschlag“ unterbreitet, für Ottensheim zu stimmen.

Dafür sprächen vor allem sportliche Erwägungen. So könne ein fairer Wettbewerb aufgrund der Wind- und Strömungsverhältnisse auf der Regattastrecke in Allermöhe nicht sichergestellt werden. Dieser Punkt sei bei einer vorolympischen WM, bei der die Quotenplätze für die Spiele 2020 in Rio ausgerudert werden, „mit oberster Priorität zu bewerten“, wie Council-Mitglied Mike Tanner am Montag noch einmal betonte. Zudem fehle es entlang der Dove Elbe an einer Straße für Fernsehkameras, was einen höheren Einsatz an Motorbooten erfordere – was Hamburg allerdings mit vielen WM-Schauplätzen gemein hat, auch der auf dem Lac d’Aiguebelette.

Dazu sollte man wissen, dass der Umbau in Allermöhe 2009 in enger Abstimmung mit der Fisa erfolgte und die Strecke vom Weltverband hernach als international wettbewerbsfähig abgesegnet wurde. „Wir bewerben uns damit ja auch für die Olympischen Spiele“, sagte Neumann, „dann sollte die Qualität für eine WM allemal ausreichen.“ Ein Ausbau war aus diesem Anlass zwar geplant gewesen, hätte aber an den von der Fisa monierten Gegebenheiten nichts verändert.

Der Einwand mit dem Wind aber ist, um im Bild zu bleiben, nicht aus der Luft gegriffen. Unter Ruderern gilt die Strecke als anfällig und wechselhaft. Sowohl beim Weltcup 2011 wie auch bei der Junioren-WM im vergangenen Jahr wirbelte das Wetter das Programm durcheinander – und teilweise auch die Rangfolge beim Zieleinlauf. Dieser Eindruck war beim Council offenbar stärker haften geblieben als die reibungslose Organisation. Die Messdaten, die mit der Bewerbung einzureichen waren, sprachen ebenfalls gegen Hamburg. „Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass die Bedingungen in Ottensheim hinsichtlich Windstärke und -richtung fairer sind“, sagte Lenka Dienstbach-Wech, deutsche Vorsitzende der Athletenkommission der Fisa.

Daraus nun zu folgern, dass es in Hamburg nie eine A-WM geben wird, wäre voreilig. Die Bewerbung, so war aus Delegiertenkreisen zu hören, kam wohl nur zum falschen Zeitpunkt. „Wir haben weiterhin den Anspruch, einer der führenden Regattaplätze der Welt zu sein“, sagte Warner. Das Windrisiko sei ein Faktor, aber nicht der einzige für eine gute Bewerbung. „Und wir sind nach wie vor überzeugt, dass wir bei anderen Kriterien besser waren.“ Bei den kurzen Wegen etwa oder einem Entwicklungsprogramm. Dieses stellte den kleinen Rudernationen in Aussicht, von den hiesigen Clubs unterstützt zu werden. Doch die erhoffte Zielgruppe spielte bei der Wahl keine Rolle. Von den 143 Fisa-Mitgliedsländern waren in Chambéry nur 65 vertreten. 48 von ihnen hatten ein dreifaches Stimmrecht, weil sie Teilnehmer an A-Weltmeisterschaften stellen. Sie brauchen ein Entwicklungsprogramm eher nicht.

Für 2022 könnte Hamburg einen neuen Anlauf wagen – die nacholympische WM 2021 gilt als sportlich weniger attraktiv, weil erfahrungsgemäß viele Spitzenathleten dann ein Pausenjahr einlegen werden. „Rudern bleibt ein Thema in Hamburg“, sagte Neumann, „wir werden uns mit der Fisa und dem deutschen Verband abstimmen und dann eine Entscheidung fällen.“ Die hänge ausdrücklich nicht vom Ausgang des Olympia-Referendums am 29. November ab. Die Ausrichtung großer Meisterschaften in den Schwerpunktsportarten Hockey, Beachvolleyball, Schwimmen und eben Rudern waren 2011 als Ziel in der sogenannten Dekadenstrategie zur Entwicklung des Hamburger Sports festgeschrieben worden. Verbandschef Warner hatte sogar schon 2009 anlässlich des Ausbaus der Regattastrecke den Plan formuliert, erstmals eine A-WM in die Stadt mit ihrer mehr als 175-jährigen Rudertradition zu holen.

Ein schmerzhafter Rückschlag für die Hamburger Olympiapläne ist die Entscheidung aber doch. Wäre es nur um die WM gegangen, hätte sie Neumann inmitten der Flüchtlingskrise wohl kaum zur Behördenchefsache gemacht. Großereignisse in olympischen und paralympischen Disziplinen sind Teil der Bewerbungsstrategie. Sie sollen der Stadt helfen, ihre Bekanntheit im internationalen Sport zu steigern. An fünf Weltmeisterschaften hat Hamburg Interesse bekundet. Für die im Rollstuhlbasketball 2018 wurde bereits eine Bewerbung eingereicht, die Entscheidung fällt Ende des Jahres. Konkurrenten sind Tokio, Dubai und eine noch nicht benannte US-amerikanische Stadt. Leichte Gegner gibt es für Hamburg auf dem Weg zu Olympia nicht mehr.

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