Was fasziniert mehr als 220 Männer und Frauen so sehr, dass sie zwei bis drei Wochen in den gleichen stinkenden, juckenden Faserpelz-Klamotten ohne Dusche und in klammen Kojen verbringen? Gedanken zur Atlantik-Überquerung per Segel-Yacht.

Nebel, Flaute, Sturm und Eiseskälte und 63 Yachten mittendrin! Die Yachten waren am 16. Juni 2003 in Newport nahe New York zur Daimler Chrysler North Atlantic Challenge (DCNAC) gestartet. Kurs Hamburg. 3600 Seemeilen segelten sie durch das am meisten gefürchtete Weltmeer, an Schottland vorbei, über die Nordsee bis zum Ziel vor Cuxhaven. Neun Mannschaften gaben das Rennen auf, eine Yacht sank. Die Crew wurde gerettet. Viele Segler hatten am Ende die Nase gestrichen voll, trotz des großartigen Empfangs in Hamburg. Einmal so ein Transatlantik-Race und dann nie wieder. Jedenfalls nicht gleich. Das war auch meine Meinung.

Doch jetzt geht's schon wieder los. Auf den Tag genau vier Jahre später wird die erste Gruppe des Regattafeldes von 24 Booten in Newport/Rhode Island Kurs auf Cuxhaven nehmen. HSH Nordbank Blue Race nennt sich die Tortur. Gleiche Route, gleiche Herausforderung, neuer Sponsor. Im Vergleich zur DCNAC ist die Teilnehmerzahl um mehr als die Hälfte geschrumpft. Wen wundert's? Die Erinnerung an die unfröhlichen Erlebnisse im Tiefkühl-Dreieck zwischen Neufundland, Island und Schottland ist noch allzu frisch. Daran bin ich auch schuld. Denn ich war dabei und habe jede Nacht um 2.00 Uhr von Bord berichtet. Das Hamburger Abendblatt hat's gedruckt: ungekürzt, ungeschminkt, hautnah.

Mit klammen Fingern schrieb ich aus den ersten Flauten-Nächten in den eiskalten Nebeln der Großen Bänke. Ich habe geschwitzt in der tropischen Waschküche des Golfstroms. Ich habe in der Nacht geschrieben, in der wir ganz nahe der versunkenen "Titanic" segelten. Ich habe geflucht über die tagelangen Gegenwinde im Mittelatlantik, als das Boot wie ein Mustang über die Wellen sprang und ächzte und polterte und sich mein Magen ausstülpen wollte. Der Schreck jagte durch meine Glieder, als wir mit voller Fahrt einen schlafenden Wal rammten und für einen Moment alles verloren schien. Am nächsten Tag stand's im Abendblatt, dank E-Mail und Iridium-Telefon.

Tief deprimierte mich die eisige graue Einsamkeit auf dem Weg in den hohen Norden. Mittsommerlich helle White nights hatte man uns versprochen. Aber wir fanden eine apokalyptisch düstere Twilight zone.

Die "schöne Insel" Fair Isle, unser Wendepunkt im Norden der britischen Inseln, entpuppte sich als nebelverhangenes Ödland von Kap-Hoorn-Charme. Und nach drei Wochen auf salziger See traktierten uns in Cuxhaven wohlmeinende Helfer noch in der Nacht der Ankunft mit salzigen Fischbrötchen. Geträumt hatten wir von Bauernfrühstück, Mettwurstbrot und frischem Obst. An einem verregneten Sonntagmorgen erreichten wir Hamburg, wo wir mit einem überwältigenden Empfang begrüßt wurden. Jedes Boot wurde so empfangen, das erste wie das letzte. Nie habe ich mich mehr gefreut, in meiner Heimatstadt zu sein.

Über alles also habe ich getreu berichtet, pünktlich jede Nacht. Damit hinterher nichts geschönt wird und jeder weiß was einen Regattasegler auf dem Nordatlantik erwartet.

Und weshalb, bitte, mache ich das noch einmal?

Warum noch einmal drei Wochen ohne Dusche in den gleichen stinkenden, juckenden Faserpelz-Klamotten? Warum noch einmal alle vier Stunden die Freiwache im Mief der klammen Kojen verbringen, die so komfortabel ist wie ein Torpedo-Rohr? Warum noch einmal Müsli mit Milchpulver und fiese Plastiksäckchen voll dehydrierter Spaghetti-Pampe, weil doch unser Boot so klein ist, dass wir mit jedem Pfund Gewicht an Bord geizen müssen? (Wo andere auf großen Yachten nun mit einem Chef de Cuisine zur See fahren und Hummer bis zum Schandeckel gebunkert haben!)

Und ist so eine Regatta nicht auch richtig gefährlich?

Klar ist so eine Regatta gefährlich. Aber die Crews sind wirklich alle bestens vorbereitet und die Yachten so seetüchtig wie ein Rettungsboot. So hat es in der mehr als 100-jährigen Geschichte der Transatlantik-Segelregatten auch "erst" drei Tote gegeben: 1935, als Bergen/Norwegen das Ziel des Rennens war, stürzte der Eigner der US-Yacht "Hamrah" über Bord. Als seine beiden Söhne hinterhersprangen um ihn zu retten, da ertranken alle drei. Eine Hamburger Yacht war damals auch dabei. Die "Störtebecker II" unter dem ehemaligen Hapag-Kapitän Ludwig Schlimbach galt lange als verschollen. Sie erreichte Bergen erst nach 35 Tagen und benötigte damit fast doppelt so lange wie die Siegerin "Stormy Weather" aus New York. Ein Kap-Hoorn-erfahrener Matrose aus Schlimbachs Crew sagte später über das Race von 1935: "Es war das Fürchterlichste was ich je erlebt habe..."

Man sieht, es geht noch schlimmer. Trotzdem bin ich 2007 dabei, und irgendwie freue ich mich sogar, obwohl die Erinnerung an die Mühsal der DCNAC so präsent ist, als hätte ich sie gestern erlebt. Aber erinnert nicht eine Mutter die Schmerzen der Geburt und wünscht sich trotzdem ein weiteres Kind? Werden wir nicht getragen von der Hoffnung, dass beim nächsten Mal alles nicht so schlimm wird? Könnte sich das Wetter nicht von einer ganz anderen Seite zeigen? Ein optimistisches Blau an den Himmel zaubern und milden Schiebewind und tolle Sonnenuntergänge? Wäre es nicht furchtbar, das zu versäumen?

Haben wir nicht diesmal eine fette Holsteiner Mettwurst eingepackt und mehr frisches Obst und Gemüse und knusprige Brezeln und sogar Lakritzschnecken? Schließlich: mit 15 Metern Länge ist die "Taonga" zwar wieder ein sehr kleines und leichtes Boot, aber sie trägt erheblich mehr Segelfläche und dürfte, wenn wirklich alles optimal läuft, Cuxhaven in 16 statt 20 Tagen erreichen. Dazu ist die Crew unter Skipper Jochen Claussen aus Hamburg hoch motiviert. Zwei Bootsbauer sind darunter, ein Segelmacher - und die gemeinsame Erfahrung von elf Atlantiküberquerungen.

Ich weiß, das sind gedankliche Hilfskonstruktionen, Wünsche und Hoffnungen. Aber lebt der Mensch nicht von Hoffnungen? Mit Logik ist da kein Weiterkommen.

In der Hamburger Kunsthalle wird gerade die Ausstellung "Seestücke II" gezeigt. Da steht ein Satz an der Wand, der von dem Maler Paul Klee stammt: "Ich sehe hie und da Schiffe durch das blaue Meer ziehn, und dann hält es mich nicht mehr am Ort." Die Portugiesen, ein stolzes Seefahrervolk, haben dafür das Wort saudade. Es gibt dafür keine deutsche Übersetzung. Saudade drückt die Sehnsucht nach dem Meer aus.

Wer, der in Hamburg lebt, hätte dafür kein Verständnis?