Seit 20 Jahren tritt Kurt Schmidt aus Sachsen-Anhalt als Doppelgänger von Erich Honecker auf. Der heute 88-Jährige ist dem DDR-Staatschef mehrfach begegnet und war sogar mal in dessen Frau Margot verliebt.

Porträt eines späten Verwandlungskünstlers.

Kurt Schmidt holt einen grauen Anzug aus dem Schrank. Sorgfältig legt der 88-Jährige ihn auf das Bett, gleich neben den Panamahut, streicht noch mal mit der Hand eine Falte glatt. Am Jackett klimpern Orden. Neben dem Vaterlandsverdienstorden hängen das Goldene Sportabzeichen und die Auszeichnung "Aktivist der sozialistischen Arbeit". An Schmidts schwarz-rot gemusterter Krawatte klemmt eine goldene Spange, verziert mit einem roten Ost-Ampelmännchen. Auf seinen roten Socken steht in gelben Buchstaben "Rote Socke". Schmidt bereitet sich auf seinen großen Auftritt vor, auf der Parade zur 750-Jahrfeier des Nachbarortes Jeßnitz, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt. Schmidt wird den Honecker spielen. Das macht er schon seit 20 Jahren.

Schmidt geht in sein Wohnzimmer. Er lebt in einer Vier-Zimmer-Neubauwohnung in Wolfen. Typischer DDR-Plattenbau. Der Block nebenan wird abgerissen. Auch eine Art, gegen den Wohnungsleerstand im Osten anzugehen. Ohne Arbeit kann hier keiner existieren.

Schmidt setzt sich in seinen großen Sessel. Auf dem Tisch liegen Fotoalben und dicke Ordner, voll mit Zeitungsartikeln über ihn. 1996 schaffte er es sogar in das US-Magazin "The New Yorker".

Die Fotos zeigen das Honecker-Double mit Biolek, Feuerstein, Schreinemakers, Gottschalk. Der Doppelgänger des einstigen Staatsratsvorsitzenden der DDR war in vielen Fernsehshows zu sehen.

Er war nicht immer berühmt. Honecker zu parodieren, wäre in der DDR mit Gefängnis bestraft worden. Diese Freiheit konnte er sich erst nach der Wende herausnehmen. Da war Schmidt ein DDR-Bürger wie jeder andere. Auch sein Leben ist geprägt vom Wandel der Systeme.

Seine Kindheit war glücklich. Obwohl er als uneheliches Kind in Leipzig zur Welt kam und der Vater ihn ablehnte. Seine Großeltern zogen ihn auf. "Wir hatten ein großes Eisgeschäft mit Eiswagen und Eisdielen", sagt Schmidt. Dann brannte alles in einer einzigen Nacht ab. Die Familie - nicht versichert - verlor alles. Sie zog nach Nürnberg.

Dort erlebte Schmidt die Naziherrschaft. Die zerstörten Geschäfte und die weinenden Frauen in der Reichsprogromnacht wird er nie vergessen. Da war er 17 Jahre alt. "Ich konnte nicht mehr", sagt Schmidt. Der Lehrmeister, bei dem er das Bäckerhandwerk lernte, sei ja kein schlechter Mensch gewesen. Aber da war noch ein zweiter. Dessen Sohn war bei der SA. "Nichts für mich", sagt Schmidt. Er hielt es in Nürnberg nicht mehr aus und ging nach Leipzig. Hier holte ihn der Zweite Weltkrieg ein. Er wurde einberufen. Als Marinesoldat musste er zur Infanterie, zunächst nach Dänemark. Später war er in Frankreich bei der Invasion dabei. Er wurde verwundet, musste ins Lazarett. Am 8. Mai 1945 erlebte er die Kapitulation und Waffenruhe.

"Wir haben uns wie die Siegermächte gefreut." Er lief 90 Kilometer mit einem unbehandelten Oberschenkelhalsbruch, gestützt auf einen Stock. In Kiel kam er in Gefangenschaft. Wieder war er den äußeren Umständen ausgeliefert. Doch er hatte Glück im Unglück. Wegen der Verletzung wurde er frühzeitig aus der Haft entlassen. 1946 konnte er nach Hause zurückkehren, in einem offenen Kohlenwagen. Zwangsarbeit in der Kohlegrube blieb ihm erspart.

Schnell fand er Arbeit. Wieder als Bäcker. So hatte er wenigstens zu essen. Er machte seinen Meister, lernte Schreibmaschine und Steno. 1950 heiratete er. Die ersten Kinder kamen zur Welt. Das war in Zeitz.

Er machte sich als Bäcker und Konditor selbstständig. Dann erkrankte seine Frau. Sie starb 1962 und hinterließ ihm fünf Kinder. Allein konnte er es nicht schaffen. "Die Kinder bekamen nicht mal Halbwaisenrente", sagt Schmidt. Und das im Sozialstaat.

1963 heiratete er wieder. Mit seiner zweiten Frau bekam er noch ein gemeinsames Kind. Damit lag er weit über dem heutigen Bundesdurchschnitt von 1,4 Kindern. Die Zeiten waren auch andere. "Sechs Kinder. Das traut sich heute keiner mehr", sagt Schmidt und fügt stolz hinzu: "Aus allen ist etwas geworden."

Mit seiner zweiten Frau erlebte er viele schöne Jahre. 2006 starb sie. Schmidt ist trotzdem kein einsamer Mensch. Dafür sorgen schon die zwölf Enkel und sechs Urenkel, von denen er überall in seiner Wohnung Fotos aufgestellt hat.

Schmidt verschwindet kurz ins Nachbarzimmer. Als er wiederkommt, hält er eine Mundharmonika in der Hand. Er spielt die DDR-Hymne. Nicht, weil er dem Sozialismus nachtrauert, sondern zum Beweis, wie musikalisch er ist. Keyboard spielt er auch; damals, als er im Kulturpalast Bitterfeld angestellt war, hatte er 45 Volkstanzgruppen zu organisieren. Er machte seine Arbeit gut und wurde auf die Hochschule delegiert. Nicht lange. Denn er ließ sich von seiner Schwester aus dem Westen Schulmaterial schicken. "Als das rauskam, sägten sie mich ab", sagt Schmidt. Er wurde in den Chemiepark in Bitterfeld delegiert. Dort gab es jedes Jahr einen Toten. Einer von ihnen war sein Sohn. "25 Jahre im Giftbetrieb, und es gab nicht mal eine Betriebsrente", Schmidt schüttelt verständnislos den Kopf und schweigt eine Weile. Das sind die schlechten Seiten der DDR gewesen, zumindest, was Schmidt betrifft.

Dann erzählt er von seinen Begegnungen mit Honecker. Er hat ihn einmal auf dem Deutschen Turn- und Sportfest in Leipzig gesehen. Ein anderes Mal schüttelte er ihm die Hand. Da besuchte Honecker, Sohn eines Bergarbeiters, das Bergbauunternehmen Wismut. Schmidt arbeitete als Brigadier dort. Aber eigentlich interessierte sich Schmidt mehr für Honeckers Begleitung, Margot Feist.

"Hübsches Mädel", hat Schmidt gedacht. Richtig ein bisschen verknallt sei er gewesen. Das war 1949 und Kurt Schmidt noch nicht verheiratet. Honecker schon, mit der FDJ-Funktionärin Edith Baumann. 1953 wurde ihre Ehe geschieden und Honecker heiratete noch im selben Jahr Margot Feist. Die hatte schon im Dezember 1952 seine Tochter Sonja zur Welt gebracht. Über Margots Geschmack hatte sich Schmidt dann doch wundern müssen. "Ich weiß noch, dass ich damals dachte: Nun guck einer an, jetzt hat die den geheiratet."

Mit den Jahren wurde er Honecker immer ähnlicher - rein äußerlich. Schon vor der Wende, bevor er überhaupt an eine Karriere als Doppelgänger denken konnte, kam es zu Verwechslungen. In Bad Schandau saßen zwei Frauen im Café tuschelnd am Nachbartisch. Zögernd sprachen sie Schmidt an: "Entschuldigen Sie, Sie sind doch der Herr Honecker. Können wir ein Autogramm bekommen?" "Nee, ich bin Herr Schmidt", entgegnete er und lacht heute noch über ihre verdutzten Gesichter. Sein Namensvetter war ja damals Bundeskanzler. Die Frauen fühlten sich veralbert.

Und wenn er seine Schwester im Westen besuchte, sagten ihre Nachbarn jedes Mal: "Ach, der Erich ist wieder da." Im ganzen Ort war er ein gern gesehener Gast. Überall wurde er zum Kaffee eingeladen. Nach der Wende hieß es dann: "Ach, der Ex-Staatsrat ist wieder da. Der kriegt keinen Kaffee mehr von uns." Nur ein Spaß.

Dann wurde eine Berliner Agentur für Doppelgänger auf ihn aufmerksam und nahm ihn unter Vertrag. 1991 trat Schmidt zum ersten Mal als Honecker auf. Da war er noch sehr aufgeregt. Doch mit jedem Auftritt wurde es besser. Schmidt tingelte durch Diskotheken, Fernsehshows und Ostalgiepartys. Manchmal hatte er acht Auftritte am Tag. In Köln trat er gemeinsam mit Udo Lindenberg vor 23 000 Menschen auf. "In Magdeburg waren es nur 6000", sagt Schmidt. "Aber die haben so eine Stimmung gemacht, dass ich dachte, der Saal bricht auseinander." Im Osten bekam er immer mehr Resonanz. Unzählige Auftritte, und nie wurde er ausgebuht. Auch nicht im Westen. Nur einmal, das war in Osnabrück, ließ sich ein Gast das Eintrittsgeld wiedergeben. Nein, den Honecker wolle er nicht sehen. Der Einzige, versichert Schmidt. Heute hat Schmidt noch fünf Auftritte im Jahr.

Mit leuchtenden Augen erzählt er von seinen Streichen, die er gern gespielt hat. Man sieht ihm den Schalk immer noch an. "Manche Berliner sagten, das sei besser gewesen, als der Hauptmann von Köpenick oder der Eiserne Gustav", sagt Schmidt. Und dann erinnert er sich, wie er, begleitet von einem Kamerateam auf dem Alexanderplatz als Honecker aufmarschierte. Eine chilenische Kapelle glaubte ihn zu kennen und spielte die chilenische Nationalhymne. Ein Mann kniete sich sogar ehrfürchtig vor ihm nieder. Für Schmidt total unverständlich. "Wie kann man sich nur so erniedrigen?" Nein, verbogen habe er sich nie.

Oder wie er in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit ging und sagte, er sei Honecker und stelle sich. Rücksprache per Funk mit dem Polizeipräsidium. Es gab sogar eine Sondermeldung: "Honecker stellt sich!" Eine Finte. Trotzdem warteten zwei Polizeiwagen vor dem Gebäude, zu Schmidts Sicherheit. "Denn als ich rauskam, hatten sich schon einige Menschen davor versammelt." Das war 1991.

Schmidt erzählt gern seine Anekdoten. Zum Beispiel, wie er sich kurz vor der Wende noch einen Trabbi gekauft hat. Den hat ihm Marilyn Monroe später abgekauft. Ihr Double. Einmal haben sie ihr den Trabbi aufs Dach gekippt. Sie hat ihn dann wieder auf seine vier Räder gestellt, sich reingesetzt und ist losgefahren. Das konnte der Trabbi vertragen.

Schmidt muss los. Er steckt sich noch eine rote Nelke ins Knopfloch - das Symbol der Arbeiterbewegung.

Seine Erlebnisse hält Schmidt in Tagebüchern fest. Zehn hat er bereits geschrieben. Seine Chronik. Alles notiert er aber auch nicht. "Was Frauen betrifft, kommt da überhaupt nicht rein." Ein Gentleman. Auch dann noch, wenn sich die Frauen nicht gerade ladylike verhalten. Manchmal muss sich Schmidt schon wundern über die jungen Mädchen von heute. Viele wollten, dass Schmidt ihnen ein Autogramm auf den Körper schreibt. An welchen Stellen? "Egal an welche Sie denken. Es stimmt", sagt er lachend. Das war ihm dann manchmal doch zu viel.

14 Uhr in Jeßnitz. Die Sonne brennt. Schmidt hat sich auf einen Campingstuhl in den Schatten eines Einfamilienhauses gesetzt. Auf der Treppe hocken amerikanische und sowjetische Soldaten und rauchen. Es sind nicht wirklich welche, nur Laiendarsteller. Sie sollen die Geschichte des Ortes nachspielen. Sie kennen ihren Platz in der Parade. Nun warten sie darauf, dass es endlich losgeht. Einige Jung- und Thälmannpioniere stehen am Straßenrand. Einer zieht einen Wagen hinter sich her, voll bepackt mit Altstoffen. Viele Festbesucher erinnern sich an die Zeit, als sie selbst von Tür zu Tür zogen, um alte Zeitungen und Gläser zu sammeln und beim SERO, dem VEB Kombinat Sekundär-Rohstofferfassung, abzugeben. Für den guten Zweck.

Plötzlich kommt Bewegung in die Masse. Es geht los. Schmidt steigt in den Militärjeep. Auf der Motorhaube ist die DDR-Fahne befestigt. Hinter der Frontscheibe klemmt das rote Parteibuch. Fast möchte man glauben, Honecker lebt noch. Der Fahrer, ein "NVA-Soldat", erklärt Schmidt alias Honecker, wie das Megafon funktioniert. Für alle Fälle. Falls er spontan zu seinem Volk sprechen möchte. "Liebe Genossen und Genossinnen", würde er dann sagen. So beginnt er immer. Ein Klassiker. "Und ihr lieben vielen Andersdenkenden und Gläubigen". An dieser Stelle würden die Leute in Jeßnitz wohl stutzen. Das hätte der Erich nie gesagt. Nein, der nicht. Aber Schmidt sagt das sonst immer in seinen Reden. "Das hätte Honecker auch mal tun sollen, dann wäre er vielleicht weiter gekommen", sagt Schmidt und winkt den Zuschauern zu.