Berlin und Hamburg sind Deutschlands größte Städte und voller Gegensätze. Der Blick vom Wasser deckt diese auf. Eindrücke zweier Bootsfahrten durch die Kanäle der Metropolen.

Die Dame neben mir auf dem Oberdeck kämpft mit dem Stadtplan. Wo fahren wir lang? Spree und Landwehrkanal formen eine Art zerbeulter Wurst. Aber die liegt genau auf dem Falz! Und der Plan ist viel zu groß für die kleinen Tische.

In Berlin ist eben alles ein bisschen größer. Vor allem die Gegensätze. Links auf dem nördlichen Spreeufer steht das letzte Stück der Mauer, das gerade ein paar Graffiti-Künstler bearbeiten, danach folgt die postmoderne O2 World. Gegenüber verwittern Kaispeicher, über die futuristische Glasfassaden lugen. Hier verlief mal die Sektorengrenze. Erst Industriekultur, dann Stillstand, jetzt Boomtown.

An der Oberbaumbrücke biegen wir scharf rechts in die Oberschleuse zum Landwehrkanal ein - und sind in einer anderen Stadt. Weiden breiten ihre grünen Vorhänge über die Ufer, Enten führen ihre Küken aus, von der Kaimauer lassen Liebespaare die Beine baumeln. Hinter uns schippert gemütlich ein Spreekapitän, Mutti packt die Brote aus.

1840 baute der königliche Landschaftsarchitekt Peter Joseph Lenné den Landwehrgraben in königlichem Auftrag zum Kanal aus. Seither wuchsen an den Ufern neue Quartiere, schmucke Vorderhäuser für die Bürger, dahinter bis zu acht Hinterhöfe mit Fabriken und Arbeiterwohnungen. Heute sitzen hier junge Leute vor den Cafés, auf der Admiralsbrücke wird Didgeridoo gespielt, vor der Möckernbrücke findet ein Straßenfest statt.

Wir unterqueren 28 Straßen- und Fußgängerbrücken und sieben Eisenbahnbrücken - da staunt selbst der brückenverwöhnte Hamburger.

Hinter dem Tiergarten biegen wir wieder in die Spree ein - und steuern jetzt Berlins attraktiven Empfangssaal an: das Regierungsviertel und die Museumsinsel. Aber egal ob im alten oder neuen Ambiente: Überall am Ufer platzen Cafés, alternative Biergärten, schicke Restaurants und Beachklubs aus allen Nähten. Berlin pulsiert - und feiert

Hamburg träumt. Wo die Außenalster aufhört und die Kanäle beginnen, eröffnen sich einmalige Blicke auf stille Rückfronten, in Gärten, auf Lauben und Tivolis, die vorn auf den Straßen niemand vermutet. Am Feenteich bummeln Hummeln über violetten Rhododendron, Liegestühle warten auf Terrassen, Markisen beschatten herrschaftliche Balkons.

In der Residenzstadt Berlin war Stadtplanung immer Sache des Königs - in Hamburg regierte der Bürgersinn. Die einmalig schöne, einheitlich klassizistische Bebauung von Harvestehude, Winterhude und Uhlenhorst verdanken wir jenem Bürgerkonsortium, das der Stadt 1866 das frühere Klostervorland an der Alster abkaufte, es parzellierte und stilvoll gestalten ließ.

Wer genug Geld hat, wohnt am Wasser. Auf dem Wasser aber bestimmt demokratisch die Muskelkraft von Kanuten, Paddlern, Ruderern und Tretbootfahrern. Motorboote sind auf Hamburgs Kanälen verboten, bis auf die Alsterschiffe. Und selbst die müssen ihr Tempolimit von fünf Stundenkilometern noch drosseln, wenn es der "Verkehr" erfordert. Der Leinpfadkanal wird geradezu zur Rennstrecke.

Hamburgs verwunschenste Ecken finden wir im Insel- und im Rathenaukanal in Alsterdorf. Die alten Uferbäume sind zu einem grünen Tunnel zusammengewachsen. Es ist still, auf einer schattigen Gartenwiese schlafen Brandgänse. Brasilianische Touristen sollen diese Idylle einmal mit dem Amazonas verglichen haben. Vielleicht hatten sie zu viel Caipirinha getrunken. Wahrscheinlicht waren sie aber einfach verzaubert.