Wenn man es mit 30 nicht geschafft hat, ist alles vorbei. Das befürchtete Marko Doringer. Also drehte der Österreicher einen hochgelobten Film über seine Freunde und Generationsgenossen.

Am Anfang steht die persönliche Krise: Marko Doringer, österreichischer Kreuzberger, ist 30 geworden. Und plötzlich denkt er nach, noch mehr als sonst. Über sich, über sein Leben. Über das, was er erreicht hat. Der Blick geht über die Oranienstraße, Doringer hat seine Kamera eingeschaltet, sie ist ab sofort sein steter Begleiter. "Ich habe keine abgeschlossene Ausbildung, keinen richtigen Beruf, keine Frau und keine Kinder, bloß eine Lebensversicherung, die mein Vater für mich zahlt", sagt die Stimme aus dem Off. Es ist auch ein Vater-Sohn-Konflikt, den der Filmemacher Doringer in seinem ironisch-sensiblen Generationsporträt "Mein halbes Leben" erzählt. Vor allem aber ist der in Österreich bereits sehr erfolgreich gelaufene und preisgekrönte Dokumentarfilm eine Beschreibung der um die 30-Jährigen, deren Gedanken zwischen der Formulierung von Sinnfragen, Träumen, Zukunftsängsten und großen Plänen changieren.

Natürlich ist "Mein halbes Leben" die persönliche Nabelschau von (noch) jungen Menschen, deren Weg nicht vorgezeichnet ist. Bei der Generation der Eltern war das noch anders. "Die Garage reißen wir ab, dann stocken wir auf. Und dann kann der Martin einziehen. Mit Familie", sagt die Mutter eines der Protagonisten an einer Stelle. Doringer fuhr nach Österreich für seinen Film, seine Helden sind die alten Freunde: Martin, der Sportjournalist, Katha, die Modedesignerin, und Thomas, der Manager. Außerdem besuchte er deren Eltern - und natürlich die eigenen. Katha möchte Kinder haben, aber erst eine erfolgreiche Karriere anschieben. Die Mutter versteht ihr Warten nicht. Thomas hat früher viel Sport gemacht und in einer Rockband gespielt. Jetzt arbeitet er in Bulgarien und sieht seine Familie nur am Wochenende. Martin arbeitet als Redakteur, möchte aber lieber Schriftsteller sein. Und Marko selbst? Will seinen Traum vom Leben als Filmer verwirklichen. Sein Vater möchte vor allem, dass er einen festen Job hat, mit sicherem Einkommen. "Bei mir war mit 26 schon alles klar", sagt Thomas' Vater.

Die Eltern als Bezugspunkte, die trotzdem nicht mehr unbedingt als Vorbilder taugen: Der Film dokumentiert die gesellschaftlichen Veränderungen en passant. Man sieht Katha, wie sie ihre Stoffe prüft, mit dem Freund diskutiert. Thomas, wie er sich über sein abendliches Bier freut und eine CD seiner früheren Band hört, Martin, wie er mit seiner Freundin seine Probleme bespricht. Martin sagt den vielleicht schönsten Satz des Films: "Ich bin ein fauler Größenwahnsinniger." Am Ende trifft der Film keine wirklichen Entscheidungen. Trotzdem verändert sich vieles. Kind oder Karriere, Kompromisse oder keine Kompromisse - das, was richtig ist, kommt letztlich von allein. "Meine Generation braucht den Mut, sich zu entscheiden, wir haben so viele Möglichkeiten", sagt Doringer.

Er, der jahrelang an seinem Film arbeitete, ist inzwischen 34 Jahre alt, schreibt das Konzept seines neuen Projekts - es soll sich mit modernen Liebesbeziehungen zwischen lebenslanger Ehe und bunten Patchworkfamilien beschäftigen - und schaut mit Abstand auf "Mein halbes Leben", das am 8. Oktober in Deutschland anläuft. "Wichtig war mir die ironische Herangehensweise", erklärt Doringer. Denn in Relation zu den "großen" Problemen, zu Krieg, Hunger und Naturkatastrophen, handelt Doringers Film lediglich von den Identitätsfragen derer, die an der Schwelle zum Erwachsenenleben stehen (ähnlich wie Maren Ades Spielfilm "Alle anderen", der gerade angelaufen ist). "Uns wird vorgeworfen, dass wir nicht erwachsen werden wollen", sagt Doringer, "das stimmt nicht. Wir werden anders erwachsen. Erwachsensein heute ist lockerer, ungeplanter, verspielter."

Als er seinem Vater den fertigen Film zeigen will, funktioniert der DVD-Player nicht. Heute ist der Vater stolz auf ihn, "jedenfalls glaubt er nicht länger, dass ich einen anderen Beruf erlernen muss".