Trendforscher und Soziologen haben eine wissenschaftliche Lieblingskategorie, Gruppenphänomene zu beschreiben. Im Mittelpunkt des Interesses sind immer die Jungen. Ein Überblick.

Der Begriff der Generation ist ein Modebegriff und seit etwa einem Jahrzehnt das Behelfsmittel von Beobachtern des Zeitgeists, um aus Einzelnen Gruppen zu machen. Kollektivierende Einordnungen sind immer Konstrukte und bisweilen eine schöne Übung für kreative Trendforscher. Den Duktus der Zuspitzung haben alle mehr oder weniger eilig ausgerufenen Großgruppen, das "übertriebene Wir" (Heinz Bude) soziologischer Anmaßungen äußert sich, gefühlt zumindest, in immer kürzeren Abständen. Gestern noch war es die "Generation Doof" (so der Buchtitel des Autorengespanns Weiss/Bonner), die paradigmatisch die jungen Leute beschrieb, morgen ist es vielleicht die "Generation Supersmart". Das ist typisch, denn Generationsentwürfe werden oft auf Jugendbewegungen bezogen. Der gerade in den vergangenen Jahren inflationäre Gebrauch der Vokabel begann mit Florian Illies' "Generation Golf" im Jahr 2000. Seit damals können aus Selbst-Introspektionen, die Allgemeingültigkeit beanspruchen, Bestseller werden. Illies' Beschreibung der eigenen, zwischen 1965 und 1975 geborenen Generationskohorte ist so etwas wie die Mutter aller Generationsbücher. Selbstironisch führte Illies die Konsumabhängigkeit und politische Wurschtigkeit seiner Generation vor. Die damals um die 30-Jährigen erkannten sich in den mit VW Golf und "Wetten, dass..?" aufgewachsenen Protagonisten wieder und freuten sich über den bildhaften Vergleich, wonach die Unterscheidung zwischen einer roten und grünen Barbourjacke wichtiger sei als der zwischen SPD und CDU. "Generation Golf" wurde ein Bestseller. Feuilletonisten und Soziologen freuten sich über die Wiederentdeckung der alten soziologischen Kategorie und hoben neue Generationen aus der Taufe: die "Generation @", die "Generation Berlin", die "89er", die "78er". Die numerischen Brandings verweisen auf die immer noch prominenteste aller Generationen: die legendären, oft geschmähten, sich selbst sehr wichtig nehmenden und am Ende doch auch wirklich wichtigen 68er. Begrifflich wurden die Studentenrebellen, die in den Jahren zwischen 1938 und 1948 geboren wurden, erst seit den 80er-Jahren als "68er" bezeichnet. Eine Sonderrolle spielen die 68er nicht deshalb, weil sie gegen Vietnamkrieg und Notstandsgesetze waren, sondern weil ihr Gründungsmythos ein Generationenkonflikt ist. Wer damals etwas auf sich hielt, war, jedenfalls dem Klischee nach, links, hatte etwas gegen das Establishment und agitierte gegen Autoritäten. Die damals Jungen fanden eine gesellschaftliche Gelegenheitsstruktur vor, die ihren Freiheitsdrang beförderte. Nazi-Personal und alte Eliten waren nach wie vor am Werk, der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel sorgte zudem für ein Auseinanderbrechen alter sozialer Verbindungen. Kein Wunder, dass die 68er gegen ihre Eltern opponierten: Die strenge und autoritäre Erziehung forderte dies geradezu heraus. Der Kitt, der aus den gemeinsamen Erfahrungen an den Universitäten, auf den Demonstrationen und im Elternhaus entstand, ist so stark gewesen wie bei keiner Generation nach ihr. Heute machte ein großer Generationenkonflikt keinen Sinn mehr - wir dürfen ohnehin alles. Anders als die Generation unserer Eltern leiden wir nicht an einem Zuwenig, sondern an einem Zuviel von Möglichkeiten. Dem entspricht auch die Vielzahl von Generationsphänomenen, die heute in immer schnellerer Folge auftreten. Die frischeste Schöpfung ist die "Generation Casting", was logisch ist, weil sich tagträumende und gerne mal selbst vor sich hin dilettierende Jugendliche, die oftmals noch nicht einmal etwas von der vollendeten Widerwärtigkeit von Scharfrichtern wie Dieter Bohlen und Heidi Klum ahnen, in den Superstars von morgen wiedererkennen. Kampf ums Überleben ist ja schon normal anno 2009, da erscheint es völlig richtig, wenn Sänger, die jeden Ton verfehlen, und Models, die nicht stolz genug gehen, in den Boden gestampft werden.

"Generation" ist auch deshalb ein so beliebtes Einordnungsraster, weil es in Deutschland, anders als beispielsweise in England, kein Klassenbewusstsein mehr gibt. Wo man sich nicht über eine Klasse definiert, findet man einen Bezug in der Gemeinschaft der Gleichaltrigen. Es war der Soziologe Karl Mannheim, der das "Problem der Generationen" in einer bündigen Erklärung zusammenfasste: Prägende Ereignisse in Kindheit und Jugend erschaffen demnach eine Generation, Schlüsselerlebnisse ein gemeinsames Schicksal. Die kontinuierliche Folge neuer Kulturträger ist wichtig für jede Gesellschaft, und die geistigen Strömungen einer Zeit, die technischen Neuerungen und gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln sich im Wechsel der maßgeblichen Kräfte.

Die Ausrufung neuer Generationen klingt oft wie ein Lamento über den Untergang des Abendlandes. Der kulturpessimistische Ton ist in Büchern wie Douglas Couplands "Generation X" evident, das die (amerikanische) Nachfolgegeneration der wohlstandsgesättigten westlichen Welt der 70er- und 80er-Jahre als eine Gruppe von gut abhängenden, nachdenklichen und an defizitären Beziehungen zur Außenwelt leidenden Agenten der Null-Bock-Attitüde beschreibt. Auch "Generation Golf" formuliert kein positives Selbstprogramm. Oft spricht aus den Generationenkonstrukten jüngeren Datums eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der Verlorenheit in den Fallstricken der Postmoderne. Klar gibt es in einer globalen Welt, in der New York gleich nebenan ist und sich soziale Netzwerke auch im Internet spannen, viel mehr Möglichkeiten als früher. Verbunden ist dies aber mit einer Herauslösung aus traditionellen Zusammenhängen. Die moderne Individualisierung ist mit riskanten Freiheiten verbunden. Ulrich Beck prägte schon vor über 20 Jahren das Wort von der "Risikogesellschaft". Heute ist beinahe jeder Schritt mit Risiken verbunden, zumal in der Wirtschaftskrise. Die "Generation Praktikum" ist schon wieder ganz anders als die vom Ennui geplagte "Generation Golf". Die Langeweile in toleranzgesättigten Wohlstandsoasen ist der Gefährdungslage derer gewichen, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln. Die Beschreibung des eher negativen Lebensgefühls eines jungen Prekariats, das der Akademikerschicht angehört und schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat als seine Vorgänger, traf vor wenigen Jahren den Nerv der Zeit. Überhaupt sind Thesen zu Gesellschaftsgruppen, die dasselbe Alter haben, oft Problemstudien. Das war bei der kriegstraumatisierten "Skeptischen Generation" (Helmut Schelsky) nicht anders. Die nur wenige Jahre jüngeren Mitglieder der "Flakhelfer-Generation" - ihr gehören zum Beispiel Günter Grass oder Walter Kempowski an - haben ebenfalls spezifische Verhaltensweisen. Das Namedropping der alten Jahrgänge beschreibt die frühe Geschichte der Bundesrepublik: Die "Generation der Trümmerkinder" und die "Wirtschaftswunder-Generation" haben die gleichen Schlüsselerlebnisse. Man täuscht sich nicht, wenn man diese jahrzehntealten Erlebnisschichten als dicker als die heutigen begreift. Die Merkmale werden diffuser, und so halten viele heute die eilig ausgerufenen Generationen für Erfindungen. Generationsetikettierungen sind empirisch sowieso schwer nachzuprüfen; klar scheint aber, dass besonders um die großen historischen Einschnitte zeitgebundene Unterscheidungsmerkmale entstehen. Anderswo sind die Namen schöner - Amerika, du hast es besser: Die Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg gehören dort poetisch der "Lost Generation" an, und die große Gruppe der nach dem zweiten Weltkrieg geborenen "Babyboomer" trägt eine weitaus hübschere Bezeichnung als hierzulande die 68er.

Die wachen übrigens immer noch über die politische Kultur in diesem Land. Im "Spiegel" wurden die 20- bis 35-Jährigen diese Woche als "Krisenkinder" beschrieben, "die lieber Milch aufschäumen als auf die Straße gehen". In der Tat ist eine Politisierung selbst jetzt nicht am Horizont zu sehen, wo die schlimmste Wirtschaftskrise der Geschichte die Chancen der auf den Arbeitsmarkt drängenden Zukunft des Landes weiter verringert. Wer heute etwas erreichen will, denkt an sich - und überhaupt nicht in Generationszusammenhängen. So sind es die Betroffenen selbst, die am vehementesten die kollektivierenden Zuschreibungen von sich weisen - und trotzdem "Neon" lesen, das Lifestyleblatt der 30-Jährigen. Dessen Chefredakteure Michael Ebert und Timm Klotzek haben gerade eine Art Ratgeber (obwohl es das genau nicht sein will) geschrieben, der die Adressaten durch den Alltag navigieren will. Diese werden immer später erwachsen (gründen also später als noch ihre Eltern eine Familie und bekommen auch später feste Jobs), dabei stehen aber, wie Soziologen schon seit einiger Zeit feststellen, konservative Werte im Vordergrund. Horst Opaschowski nennt die heute 30-Jährigen die Generation V - "V" wie Vertrauen, Verlässlichkeit, Verantwortung. Das "Neon"-Buch benennt die beiden Pole, die jenseits dieser Werte die Welt der Jungen festlegen: "Planen oder treiben lassen?" Das Fragezeichen ist die alle einende Größe und war es eigentlich schon immer: Man weiß ja nie genau, wie's weitergeht.

Egal, welcher Generation man angehört.