Besonders gut untersucht sind die Wunder im Mittelalter. In den meisten berichteten Fällen handelt es sich um Wunderheilungen, sagt die Historikerin und Mittelalter-Expertin Gabriela Signori von der Universität Konstanz.

Vorbild waren die Wunder Jesu an Blinden, Lahmen, Besessenen im Neuen Testament. Der Siegeszug des frühen Christentums war nicht denkbar ohne spektakulär inszenierte Wunderheilungen, eine wichtige Stütze für den Ausbau der Bischofsherrschaft.

Aber im Lauf der Zeit verloren diese Wunder ihre spektakulären Züge, sie wanderten von besonderen (Kirchen-)Orten in die Häuser der Menschen: Die Heiligen wurden nun angerufen, um eher "Lappalien" wie Zahn-, Kopf- und Rückenschmerzen zu beseitigen. Außerdem zeigten Fortschritte in der Heilkunst ihre Wirkung: Wer es sich leisten konnte, wandte sich an einen Arzt. Notfalls konnte man ja immer noch auf Heilige bauen. "Wenn ein Erwachsener schon ein halbes Jahr lang gelähmt war, erwartete man aber auch von den Heiligen nichts Unlösbares mehr", sagt Signori.

Die Aufklärer im 18. Jahrhundert nahmen an, dass der Wunderglaube allmählich zurückgehen würde - "in dem Maß, wie Natur und soziale Verhältnisse immer beherrschbarer wurden", sagt der Berliner Kommunikations- und Politikwissenschaftler Falko Schmieder. Sogar unter Theologen habe das Wunder "als peinliche Angelegenheit" gegolten. Karl Marx glaubte, dass die moderne Gesellschaft "alles Heilige entweiht" und die Welt "mit nüchternen Augen" betrachte.

Aber er musste konstatieren: "Der Wunderglaube scheint sich nur aus einer Sphäre zurückzuziehen, um sich in einer anderen anzusiedeln." Was er meinte: Die ungeheuren sozialen und technischen Umwälzungen der Industrialisierung erschienen viel wunderträchtiger als religiöse Mirakel. Neue Erfindungen und Erkenntnisse folgten schneller aufeinander, als die Menschen mit den Bordmitteln des Schulwissens fassen konnten.

Davon gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts geradezu eine Schwemme, sagt Alexander Gall vom Forschungsinstitut für Technik- und Wissenschaftsgeschichte am Deutschen Museum in München. Die großen Luxusliner, neue Flugrekorde und Atlantiküberquerungen, neuartige Brückenkonstruktionen wie das "blaue Wunder" in Dresden (1893 eine der ersten Metallbrücken dieser Spannweite ohne Stützpfeiler im Fluss) oder die Golden Gate Bridge, Pläne für "Ozean-Riesenflugzeuge" oder "fantastische Eisenbahnprojekte" unter der Erde: Das "modern wonder" wurde zum zentralen Be-griff bei der Vermittlung von Innovationen. (ju)