An Weihnachten kommt Heinrich Breloers Film “Die Buddenbrooks“ in die Kinos. Reporter Volker Behrens und Fotograf Johannes Arlt durften den Regisseur auf einem Spaziergang durch Lübeck begleiten und sich die Schauplätze genauer ansehen. Ein besonderer Blick hinter die Kulissen.

Mal nennt er sie eine Schildkröte, dann wieder eine Lady. Verwundert und anerkennend sagt er: "Das ist hier schon ein seltsames und interessantes Pflaster." Heinrich Breloer hat ein ganz besonderes Verhältnis zur Hansestadt Lübeck. "So etwas habe ich auch noch nie gemacht", sagt der Autor und Regisseur. "Ein ambulantes Interview. Die Stadt fragt, und wir antworten."

Immer wieder hat ihn sein Beruf hierher geführt. Zu den Lübeckern Willy Brandt und Björn Engholm, die in seinen Filmen wichtige Rollen spielen. Vor allem aber zu einem: Thomas Mann. Nun hat Breloer dessen Klassiker "Buddenbrooks" verfilmt. Mit viel Aufwand, tausend Komparsen und für 17,6 Millionen Euro. Gedreht wurde größtenteils an den Originalschauplätzen. Armin Mueller-Stahl, Jessica Schwarz, August Diehl und Iris Berben spielen Hauptrollen. Eigentlich ist es ein total verregneter Tag, aber für zwei Stunden reißt dann doch noch der Himmel auf und zeigt das von Backstein geprägte Stadtbild Lübecks im schönsten Licht. "Ein Geschäft von einiger Größe", heißt der Film im Untertitel. Das klingt wie ein Euphemismus, denn der Aufwand, den es braucht, um das aktuelle Erscheinungsbild der Hansestadt wieder auf alt zu trimmen, war enorm. Verkehrsschilder, Fahrradständer, Antennen mussten abmontiert werden, neue Bausünden und sonstige Stilbrüche, mit alten Gerüsten getarnt. "Unsere Bautruppe schuf vor uns das 19. Jahrhundert und hat hinter uns das 21. wieder angeschweißt", sagt Breloer.

Los geht es an der Untertrave in Höhe der Musik- und Kongresshalle. "Hier haben wir die Fußgängerbrücke mit einem Schwimmkran aus den Angeln gehoben." Das musste so sein, damit die Segelschiffe in diesen Bereich navigieren konnten. Es war eine komplexe Szene. Die Schiffe im Hintergrund, fährt der Senator im Film in einer Kutsche vor, steigt aus, zeigt seine Speicher und entnimmt aus einem Getreidesack eine Stichprobe mit einem Stichel. "Wenn nur eine Kleinigkeit nicht klappte, die Tür zum Beispiel klemmte, musste alles wieder auf Anfang", erzählt der Regisseur. Und nicht nur die Profis gingen in ihren Rollen auf. Eine Komparsin, die Fische verkaufen sollte, hatte sich so in ihre Rolle vertieft, dass sie immer noch ihre Ware anpries, als die Szene längst abgedreht war.

Gleich nebenan steht das Lübecker Wahrzeichen, das Holstentor. Es musste natürlich prominent in den Film, ist aber heute von Verkehr umtost. Damit die Gegenwart draußen blieb, wurden entlang der Straße links und rechts vom Tor Kulissenmauern gezogen, die den Verkehr "ausblendeten". Bis auf die Doppeldeckerbusse. "Die guckten immer noch rüber", sagt Breloer. Sie wurden bei der Postproduktion wegdigitalisiert. Hinter dem Tordurchgang platzierte man ein großes Gemälde, um historisches Stadtleben zu suggerieren.

Mit 66 Jahren fängt für Breloer jetzt plötzlich das Kino-Leben an. Bisher ist er vielfach preisgekrönter TV-Regisseur, gilt als Erfinder des Genres Dokudrama, einer Mischung aus Spiel und dokumentarischen Szenen, und hat das in Filmen wie "Todesspiel" über den Deutschen Herbst des Jahres 1977, "Einmal Macht und zurück - Engholms Fall" oder "Kampfname: Willy Brandt" überzeugend umgesetzt. Die Familie Mann ist ein Dauerbrenner in seiner Filmografie. Er drehte "Die Manns - ein Jahrhundertroman", "Unterwegs zur Familie Mann" und "Treffpunkt im Unendlichen. Die Lebensreise des Klaus Mann". Und jetzt diese Romanverfilmung. Für die Produktionsfirma Bavaria ist es der größte Film seit Wolfgang Petersens U-Boot-Drama "Das Boot". Nur der "Baader Meinhof Komplex" war in diesem Jahr eine noch teurere deutsche Produktion.

"Acht Jahre habe ich der Familie gern geopfert", sagt der Filmemacher und erinnert sich an eine Szene aus dem Film "Die Manns". Thomas kommt aus seinem Zimmer und fordert: "Kann ich mal Ruhe haben?" Armin Mueller-Stahl spielte den Schriftsteller intensiv und lakonisch. "Da guckte der Zauberer wirklich um die Ecke", sagt Breloer und gerät ins Schwärmen. "Ein überragender Moment. Da sind die Jahre, die Mühe auch vergessen." Mueller-Stahl selbst ist übrigens nicht so von dem Autor begeistert, den er spielte und dessen Geschöpf er nun verkörpert. "Ein Fan von Thomas Mann bin ich eher nicht", hat er dem Kino-Magazin epd-film gesagt. "Aber ich mag Breloer. Er brennt, wenn er etwas macht."

Wir gehen an den Salzspeichern vorbei, die schon im Stummfilmklassiker "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" aus dem Jahr 1922 als Kulisse gedient haben, und biegen an der Musikhochschule ab in die Große Petersgrube. Die Straße steigt steil an, wie so viele, die von der Trave in die Stadtmitte führen. Die "Schildkröte", nennt Breloer die Hansestadt wegen dieser hügeligen Topografie. Hier hat er das Leiterwagenrennen zwischen dem jungen Thomas Buddenbrook und Hermann Hagenström gedreht. "Wer zuerst unten an der Trave ist", rufen sie und los geht das Duell. Das ist eine der Szenen, die nicht im Roman stehen. Breloer hat die Vorlage gerafft und verändert. Er hat die Szene zusammen mit seinem langjährigen Koautor Horst Königstein ins Drehbuch geschrieben, um die Zuschauer schon früh auf die Rivalität der beiden einzustimmen, die sich als roter Faden durch den Film zieht. Während der Dreharbeiten wurde hier außerdem Teer gekocht, Fuhrwerke ratterten über das Kopfsteinpflaster. Der erwachsene Thomas Buddenbrook, gespielt von Mark Waschke, fällt in dieser Straße nach einer Zahnbehandlung mit fatalen Folgen spektakulär in den Dreck. Breloer ist ein temperamentvoller Erzähler, stellt die Szene nach, gestikuliert, schlüpft in die Rollen seiner Filmkollegen.

Heute ist von all dem natürlich nichts mehr zu sehen. "Jetzt ist die Lady nicht geschminkt", sagt der Regisseur. "Jetzt wirkt das hier eher nüchtern auf mich. Für mich ist Lübeck ohnehin eine Sommerstadt. Im Winter wäre ich lieber in Hamburg."

Wir biegen ab in die Kleine Petersgrube. "Hier war Annas Blumenladen", sagt Breloer. Plötzlich geht er ein wenig in die Knie, beugt sich zu einem der niedrig gelegenen Fenster und klopft an. Die Bewohnerin zieht die Vorhänge auf, erkennt ihn, lacht und öffnet uns die Tür. Sie hatte ihre Räume für die Dreharbeiten zur Verfügung gestellt, plauscht kurz mit dem Regisseur und verabschiedet ihn mit den Worten: "Kommen Sie mal wieder!" Er freut sich sichtlich. Auch darüber, dass sie ihm damals den Zugang ermöglicht hat. "Dabei war sie zur Drehzeit gar nicht da und hat uns einfach ihren Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt", schmunzelt er und scheint sich noch immer über das Vertrauen zu wundern. Überhaupt hätten sich die Einwohner an den 69 Drehtagen sehr gastfreundlich gezeigt. Nur eine der mobilen Straßenlaternen, mit denen das Team arbeitete, war eines Morgens verschwunden.

Ein paar Schritte weiter und wir stehen vor einer Buchhandlung. Breloer, der an diesem Tag auch noch sein Buch zum Film in der Hansestadt vorstellen wird, flitzt hinein. "Haben Sie das Buch zum neuen Buddenbrooks-Film?", fragt er den Besitzer. Der ist aber gerade erst beim Einräumen des Ladens und fragt leicht genervt: "Kennen Sie denn überhaupt den Film?" Worauf Breloer kontert: "Ich habe ihn selbst gemacht. Als Autor und Regisseur. Dieses Buch gehört hier einfach ins Schaufenster." Wir ziehen weiter. Ein verdutzter Buchhändler bleibtzurück.

Der 1900 fertiggestellte Debütroman des 25-Jährigen über den Zerfall einer Patrizierfamilie wurde nach Anfangsschwierigkeiten zum Kassenschlager. Er spielt eindeutig in Lübeck, obwohl der Autor die Stadt nicht explizit erwähnt. Heute hat sich das Buch mehr als neun Millionen Mal verkauft und ist in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

"Gernot und ich wollten Filmbilder für die poetischen Wahrheiten des Romans finden", sagt Breloer und spricht von Kameramann Gernot Roll, der in Deutschland als wahrer Künstler gilt, "wir wollen glaubhaft sein, den Menschen so nahe wie möglich kommen und haben uns für Bilder in einer Art magischem Realismus entschieden". Breloer hält einen Moment inne, als wir auf einer Brücke im Malerwinkel stehen, von dem aus man einen der schönsten Blicke auf die Altstadt hat. Hier fahren im Film Pferdekutschen, ganz in der Nähe wird Hanno bei einer Bootstour ins Wasser stürzen. Heute stehen einige Angler am Ufer. Normalerweise ein äußerst schweigsames Volk, aber sie grüßen sogar, als wir an ihnen vorbeigehen.

Was macht den Stoff heute noch erzählenswert? "Das Thema ist doch ganz modern", sagt er. "Es geht um Marktwirtschaft, den Zwang zum Erfolg und den Untergang eines Handelshauses. Man ordnet sich den Formen und den Interessen des Kapitals unter. Das persönliche Glück muss dafür geopfert werden. 'Du gehörst dir nicht allein', sagt der Konsul zu seiner Tochter Tony. 'Wir sind Glieder einer Kette.' Tony konnte noch kein Management betreiben zwischen den Ansprüchen ihrer Eltern und den eigenen Bedürfnissen."

Auf dem Weg zur Mengstraße, an der das Buddenbrook-Haus steht, erzählt er, wie aus dem Kaufmannssohn Thomas Mann der Schriftsteller wurde. Sein Vater Thomas Johann Heinrich war Getreidehändler und starb, als sein Sohn, der sich nicht für das Geschäft interessierte, erst 16 Jahre alt war. Eine ähnliche Konstellation findet man in den "Buddenbrooks" zwischen Vater Thomas und Sohn Hanno. Die unterschiedlichen Lebensauffassungen von Kaufleuten und Künstlern sind in diesem Roman und vielen Werken Manns ein Thema. Und sie reichen darüber hinaus. "Mein Vater war Mehlgroßhändler und wollte, dass ich sein Nachfolger und Firmenchef werde", erzählt Breloer. "Er wollte mir vorschreiben, mit Härte im Geschäft erfolgreich zu sein. Aber das wollte ich nicht. Man kann auch auf andere Weise Autorität ausüben." Thomas Mann hatte geschrieben: "Wir sind doch das, was unsere Väter waren. Nur auf andere Weise noch einmal." Breloer kommt noch einmal auf seinen Vater zurück. "In ihm steckte auch ein bisschen ein Künstler. Er ist früh gestorben und hat leider nicht gesehen, was sein Sohn fürs Kino macht. Das hätte ihn sicher gefreut." Pause. "Vielleicht hätte wir uns auch gestritten, weil ich das falsche Fach studierte und in die Literatur abgewandert bin." Nachdem er in Bonn und Hamburg Literaturwissenschaft und Philosophie studiert hatte, schrieb Heinrich Breloer auch TV-Kritiken für die "Hamburger Morgenpost". Allerdings in lang vergangenen Tagen, als die Tageszeitung noch in SPD-Hand war. "Herbert Wehner schrieb damals noch regelmäßig für die Seite sechs."

Wie alt war Breloer eigentlich, als sein Vater gestorben ist? "Zwölf", sagt er. "Hanno Buddenbrook war 14." Er gibt zu, dass in seinem Kopf manchmal die Familiengeschichten der Manns und der Buddenbrooks etwas durcheinandergeraten. Golo Mann hat gesagt: "Wenn ich am Grab der Manns stehe, denke ich manchmal, da unten liegen die Buddenbrooks." Und nicht nur die unmittelbar Beteiligten verwechseln manchmal Fiktion und Realität. Im Januar kam ein Brief von Kabel Deutschland im Buddenbrookhaus an. Adressiert an: Antonie Buddenbrook, Mengstraße 4. Der Text begann: "Sehr geehrte Frau Buddenbrook, surfen Sie schon bald auf der Überholspur."

Das frühere Wohnhaus der Familie ist heute ein Mann-Museum und eine Touristenattraktion. Das Innere, in dem große Teile des Films spielen, wurde im Kölner Studio nachgebaut. Breloer lebt in der Domstadt.

Auf dem Weg zum Buddenbrookhaus ärgert er sich nun über die Graffiti, die man auch auf einigen der historischen Gebäude sieht. "Wenn sie es wenigstens könnten", sagt er und stöhnt. Als wir das bekannte Haus mit der charakteristischen hellen Fassade erreichen, nimmt der Touristenrummel spürbar zu. Wir gehen hinein. Breloer strahlt "Guck mal, hier liegt es doch!" Im Museumsshop wird sein Buch angeboten. Überhaupt hat er hier ein Heimspiel. Fast jeder der Mitarbeiter begrüßt ihn, nickt zumindest. Aber die Freude währt nur kurz. Sein Buch zum TV-Film "Die Manns" haben sie gerade nicht vorrätig.

Breloer ist eben Perfektionist. Und ein Erzähler, der in Bildern denkt. Ab und zu gibt er uns Tipps, wie man fotografieren könnte. Aber wir haben auch unsere eigenen Ideen. Als der Filmemacher auf eine ganz bestimmte Weise aus einem der Fenster gucken soll und er sich immer wieder anders hinstellen und schauen muss, wird Fotograf Johannes Arlt zum Regisseur und Breloer zum Darsteller. "Ich weiß schon, wie's geht", knurrt der schließlich.

Der stille Teil der Tour liegt jetzt hinter uns. Wir kommen auf die Breite Straße. In dieser Fußgängerzone herrscht schon vorweihnachtliches Gewusel mit den entsprechenden Düften und Geräuschen. Menschen schleppen Einkäufe durch die Gegend. Hier liegt auch das - momentan eingerüstete - Rathaus, wo Szenen der Revolution von 1848 angesiedelt sind. Normalerweise gehören die historischen Räume auch zu den Sehenswürdigkeiten, die Besucher anlocken, zurzeit sind sie für das Publikum gesperrt. Aber nicht für Breloer. Schnurstracks geht er zum Pförtner und sagt: "Ich will nur mal kurz zeigen, wo wir gedreht haben." Der Pförtner nickt. Man kennt sich. Im Film stürmen an die hundert krawallbereite Demonstranten die Treppe hoch. Oben erwartet Konsul Jean die Meute und fragt: "Wat wull ji nu eentlich! Nu seggen Sei dat mal!" Revolutionär Corl Smolt antwortet ihm: "Je, Herr Kunsel, ick seg man bloß: de Lüt wull nu ne Republike!" Jean kontert: "Öwer du Döskopp ... ji heww ja schon een!" Smolt gibt nicht nach: "Je, Herr Kunsel, denn wullt se vielleicht noch een." Immer wieder zitiert Breloer ganze Textpassagen. Wie die der Hausangestellte Trine vom Gedanken der "Revolutschon" so angetan ist, dass sie der konsternierten Konsulin an den Kopf wirft: "Und dann is Schluss mit Schokolade im Morgenmantel. Und faul in sidene Betten pupen!"

Auf dem Rathausmarkt erklärt er am Schluss der Tour noch eine nächtliche Szene mit Tony und Thomas. Sie blicken über die Zinnen des Gebäudes zum Großen Wagen. Sie gratuliert ihm zu seinem Erfolg und findet, er stehe glänzend da. Er ahnt aber schon das kommende Unheil und antwortet: "Strahlend. Wie der Stern da oben. Aber du weißt nicht, ob er nicht gerade am Erlöschen ist, wenn er am hellsten leuchtet." Breloer hält einen Moment inne und wird beinahe andächtig. "Wunderbar", sagt er. "Das trifft einen heute noch."