Die Simpsons sind die wohl bekanntesten Comicgestalten auf dem Planeten. Der Zeitlosigkeit von Micky Maus setzen sie anspielungsreiche Kritik des Zeitgeistes entgegen. Damit sind sie zu Stars geworden.

Das Gedächtnis täuscht in vielen Fällen und in diesem ganz bestimmt: Natürlich sind die Micky-Maus-Köpfe auf T- und Sweatshirts nicht einfach von heute auf morgen durch die dottergelben Konterfeis von Bart und Homer Simpson ersetzt worden. Aber die berühmte Figur aus Entenhausen regiert nicht mehr die Comicwelt. Die Simpsons haben dem Mäuserich den Rang abgelaufen und Springfield nach und nach zur Kapitale des Zeichentricks gemacht. Obwohl es viele Micky-Fans gibt, die ihren Helden auch heute noch lieben, obwohl das "Lustige Taschenbuch", diese bunte Verheißung gediegen-amüsanter Zerstreuung, immer noch viele kleine Fans dazu gewinnt.

Viel populärer sind freilich die Simpsons. 1987 erstmals in Amerika, 1991 endlich in Deutschland ausgestrahlt, sind die Simpsons zur erfolgreichsten Zeichentrickserie aller Zeiten geworden. Nach 20 Jahren gibt es mehr als 400 Folgen, und keine Serie lief länger in der Prime Time des US-Fernsehens. Das Geheimnis dieses märchenhaften Erfolgs? Liegt im hohen Anspruch: Auf satirische Weise werden gesellschaftliche Phänomene kritisiert, sei es das Geschlechterverhältnis, die Umweltzerstörung oder die Bildungspolitik. Außerdem sind die Simpsons Archivare der Popkultur, und der Kunst-Charakter der Serie ist längst erwiesen. Weil sie die Welt deutet, indem sie sich schöpferisch der realen, medialen und kulturellen Vorlagen bedient. Der am reichsten beschenkte Simpsons-Schauer ist der, der auf jedes Detail achtet. Ein Beispiel ist die Eingangssequenz, in der das Baby Maggie beim Einkaufen versehentlich über den Barcodeleser gezogen wird. Es erscheint der Preis: 847,63 Dollar. So viel soll es statistisch kosten, ein Baby in den USA einen Monat lang großzuziehen.

Homer Simpson ist Antiheld und Loser, Zielscheibe des wohlfeilen Spotts, der das durchschnittliche amerikanische Leben fein, derb und immer urkomisch beleuchtet. Und Bart? Der anarchische Rotzlöffel, dessen Streiche um einiges deftiger ausfallen als die der Protagonisten in Entenhausen, ist längst nicht nur das Idol pubertierender Mittelstufenschüler. Der hintergründige, intelligente und subversiv-ironische Witz von Matt Groenings Erfolgsserie ist vielleicht eher eine Sache für Erwachsene. Obwohl die Serie auch ohne das Erkennen der Referenzen funktioniert. Die komischen Einlagen Homers kann jeder verstehen.

Was die Simpsons so heutig und zeitgemäß macht, sind die zitatenreichen Anspielungen auf die Popkultur und die jüngere Vergangenheit. Es sind die Folgen, in denen Aerosmith, Sting, George Bush der Ältere oder Thomas Pynchon (!) Cameo-Auftritte haben, die zu den beliebtesten zählen. Die Metaebenen und slapstickartigen Bespiegelungen gesellschaftlicher Wirklichkeit, wie sie in der ebenfalls schwer erfolgreichen Comicserie "South Park" zu finden sind, sorgen für Aha-Effekte und sind stilbildende Handlungsbausteine. Die Simpsons, South Park und Futurama sind lässiger, vielschichtiger und gelehrter als Micky Maus - die Querverweise bringen die Synapsen der Rezipienten auf Hochtouren. Auch Micky selbst kommt in den "Simpsons" einmal vor - wie so oft wird seine Figur pejorativ gebraucht. Im Simpsons-Kinofilm von 2007 zieht sich Bart einen schwarzen BH übers Gesicht, um Micky nachzuahmen, dann sagt er: "Ich bin das Maskottchen eines bekloppten Konzerns." Micky wird oft verspottet, und das ist der Unterschied zu den Simpsons. Die spotten selbst. Das ist natürlich sexyer, und überhaupt sieht die Maus fad, brav und harmlos aus gegen die respektlosen Gelbgesichter.

So zeitlos die Micky-Figur in mancherlei Hinsicht ist, im schnelllebigen Zeitalter der Moden und Trends, in der hohen Taktung der kulturellen Ausschläge ist sie manchmal chancenlos gegen die Konkurrenz. Andererseits: Ist es nicht gerade faszinierend, überhaupt derart lange durchzuhalten? Hat Micky sich nicht seit jeher behaupten müssen, zum Beispiel gegen die Superhelden aus den Marvel-Comics, ganz zu schweigen von den imposanten Emporkömmlingen aus der eigenen Gemeinde? Als 1934 Donald Duck Entenhausen betrat, sah sich Micky einem tollpatschigen Gänserich gegenüber, der ihn im Popularitätswettbewerb spielend einholte.

Aber das war nichts gegen die comickulturelle Zeitenwende, die die Simpsons befeuerten. Die respektlose und subtile Bösartigkeit der Handelnden schafft Raum für ein gesellschaftliches Korrektiv, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine kritische Instanz geworden ist - und eine hoffentlich unendlich komische.