Pop-Musik kann dramatisch sein. Olympische Spiele erst recht. Wenn beides zusammenkommt und dann auch noch passt, erlebt der Zuschauer die sportlichen Höhepunkte noch intensiver. Ein Rückblick.

Erinnern Sie sich noch an Vanessa Amorosi? Das ist die Sängerin, die "Absolutely Everybody" bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2000 in Sydney gesungen hat. Dieser Pop-Song sollte mitreißen und der Hit der Spiele werden. Als die australische Läuferin Cathy Freemann bei den gleichen Spielen ihr 400-Meter-Rennen lief und am Ende die Goldmedaille gewann, jubelte sie nicht. Sie ging in die Hocke, hielt sich die Hände vor das erschöpfte Gesicht und atmete tief ein und aus. Ihr Gesicht zeigte kein Glück, nur Erleichterung, dass sie es geschafft hatte und den Erwartungen gerecht geworden war. Erst mehrere Minuten später erschallte über die Lautsprecher des Stadions "Absolutely Everybody". Dann erst startete auch Cathy Freeman zu ihrer Ehrenrunde. Doch als Zuschauer nahm man nicht den Song wahr, nur sie. Ihre Leistung und die Dramatik der Situation, aus der sie sich nur mit einem Sieg befreien konnte, hätten ein schwereres Lied gebraucht. Mehr Größe, jedenfalls kein australisches One-Hit-Wonder, an das sich heute niemand mehr erinnert.

Anders war das bei Florence Griffith-Joyner. Als sie, die dominierende Sprinterin der Olympischen Spiele in Seoul 1988, auf dem Siegertreppchen nach den 100 Metern ganz oben stand, spielte die damals übertragende Rundfunkanstalt "One Moment In Time" gesungen von Whitney Houston. Und es war eine überragende Zeremonie. Im Mittelpunkt stand der Moment, den sich der normale Sterbliche auch gewünscht hätte. Einmal nur. Das Lied passte perfekt. One moment in time, ein Moment, für den sich all das Training, all das Leiden gelohnt hatte und, wie sich Jahre später herausstellte, wohl Gerüchten zufolge auch das Doping, das sie dann das Leben kostete. Flo-Jo weinte, auch das noch. Die Schöne, mit den bunten langen Fingernägeln, in den Farben des Sternenbanners, sie war der amerikanische Traum. Wer hart arbeitet, wird am Ende auch belohnt. Wir wussten nicht, ob ihr Vater Tellerwäscher oder Millionär gewesen ist, der Zuschauer fühlte nur. Unsterblichkeit, ein Moment lang.

Und es war dieses Lied, das die Illusion perfekt machte. 1992 wurde dem britischen Sänger Freddie Mercury bei den Olympischen Spielen in Barcelona ein ähnliches Denkmal gesetzt. Posthum, denn er war bereits im November 1991 an Aids gestorben. Ein paar Jahre zuvor trat er erstmals mit der spanischen Opernsängerin Montserrat Caballe im "Ku-Club" auf Ibiza auf. 1988 erschien dann ein gemeinsames Album. Eine Single daraus, "Barcelona", wurde 1992 vom NOK als Erkennungsmelodie für die Olympischen Spiele gewählt. Und dieses Mal fällt mir kein sportliches Bild ein. Nur die Bilder von einem ihrer letzten gemeinsamen Konzerte in Barcelona 1988. Ausschnitte dieses Auftritts wurden auch immer wieder während der Spiele gezeigt. Caballe trug ein graues, wallendes Kleid, Mercury einen Smoking, der mal blau, mal schwarz schimmert. Er steht neben der Diva und singt mit seiner typischen weit ausschweifenden Gestik. Angeblich soll er schon damals nur noch Playback gesungen haben, weil seine Stimme durch die Krankheit geschwächt war. "Barcelona" ist die Hymne der Spiele gewesen, tragisch und groß.

Kaum ein anderer auch hat wie Giorgio Moroder musikalisch die magischen Momente der Spiele begleitet. Er steuerte für die Olympischen Spiele von Los Angeles 1984 mit "Reach Out For The Medal" den offiziellen Song bei, ebenso für Seoul 1988 mit "Hand in Hand", allerdings ging letzteres Lied wegen besagten Whitney-Houston-Hits völlig unter. Aber "Reach Out For The Medal" war zur Begleitung sportlicher Höchstleistungen produziert und erfüllte seinen Zweck. Das Lied beginnt langsam. Dann wird es schneller, man hört die Zutaten der 80er-Jahre: eine durchschnittliche, männliche Stimme, Synthesizer und Percussions. All dieses Flehen, kämpfen für das Stück Metall in den Händen, bekommt seine Überhöhung, die ganze Tragik erst durch die Musik. Was wären die Bilder der Läufer, Schwimmer und osteuropäischen Turnwunder ohne die dramatische Gedudelei im Hintergrund.

In diesem Jahr ist China Gastgeber, und China ist ein großes Land. Wen wundert es da, dass die Volksrepublik den Song "Welcome To Beijing" gleich von hundert Sängern singen lässt. In vier Wettbewerben wurde der offizielle Olympia-Song von den Chinesen ermittelt. Herausgekommen ist ein liebes, fast langweiliges Gesinge in Form eines volkstümlichen Gedichtes. Im Video zum Lied sind die Chinesen mal flippig gekleidet, mal traditionell. Große Gesten sind immer noch zurückhaltend. Das Lied, des chinesischen Komponisten Xiao Ke eckt nicht an, alles in allem ist es einfach nur nett.

Mutiger, aber leider nur für Deutsche zu verstehen, ist da das Lied der deutschen Reiternationalmannschaft. Die nämlich hat mit dem Komponisten Joachim Witt seinen Neue-Deutsche-Welle-Hit "Der goldene Reiter" wieder aufgenommen. Und es umgedichtet auf den Titel "Wir sind die goldenen Reiter".

Na, wenn es Glück bringt.