Funkchips sollen Waren vor Diebstahl schützen, Koffer sicher an ihr Ziel bringen, Fälschungen entlarven, Logistikprozesse vereinfachen und die Organisation großer Sportveranstaltungen erleichtern. Ein Unternehmen aus Witzhave produziert die hochmodernen Kleber.

Ein Backofen, der weiß, wie lange die Pizza braucht. Ein Kühlschrank, der Alarm schlägt, wenn die Milch sauer zu werden droht. Oder ein intelligenter Kleiderbügel, der genau sagt, wann der Pullover im Preis reduziert wird. Diese Szenen sind noch nicht real, könnten es aber bald werden. Mit neuen Funkchips, der RFID-Technik (Radio Frequency Identification), die derzeit in immer mehr Bereichen angewendet werden. "Sie können mit der Ablösung des Barcodes Stück für Stück zu revolutionierenden Veränderungen in allen Lebensbereichen führen", sagt Ralph Koopmann, dessen Unternehmen Rako die Funkchips herstellt.

Bereits jetzt werden sie in den unterschiedlichsten Lebensbereichen eingesetzt: So sollen sie Medikamentenpackungen vor Fälschungen schützen. Textilunternehmen nutzen Funketiketten in ihren Boutiquen. Und etliche Unternehmen erproben die moderne Technik in ihren Lagern, um die Abläufe zu erleichtern.

So auch das bundesweit zweitgrößte Handelsunternehmen Rewe. Vor gut zwei Jahren wurde in Norderstedt ein Projekt ins Leben gerufen, das die Anwendung von RFID in der Lagerhaltung voranbringen sollte. "Diese Technik lässt uns unsere Prozesse in einer Form optimieren, wie es sie bisher nicht gegeben hat", sagt Meik Hunold, Projektleiter RFID für Rewe Informationssysteme. 20 Tore, an denen Lastwagen ihre Waren aufnehmen oder abladen, wurden gerade mit Funksystemen ausgestattet, weitere 25 folgen in diesen Wochen. Ende 2007 soll das gesamte Lager mithilfe von RFID verwaltet werden. Das ist die größte Anwendung in Europa.

Vorteil des neuen Systems: Die Waren, die von den Lastwagen abgeladen werden, können vollautomatisch erfasst werden. Bei der Umsortierung in die Regale weiß der Staplerfahrer mithilfe des Computers sofort, was wohin gehört. Auch die Vorbereitung für den Abtransport in den Supermarkt soll RFID erleichtern. "Der Fahrer sieht auf seinem kleinen Computers sofort, was er braucht." Das spart Zeit. "Und verhindert fehlerhafte Auslieferungen. Mit der Funktechnik ist eine exakte Zuteilung möglich."

Nicht weit von dem Rewe-Lager entfernt werden die hochmodernen Etiket-ten seit Oktober 2004 hergestellt. Die Firma Rako in Witzhave produziert in ihren Hallen die Aufkleber. Es ist die einzige Firma, die deutschlandweit die RFID-Etiketten in großen Mengen und in einem vollständigen Produktionsprozess herstellt. Die Funkchips liefert Philips aus Hamburg. "Wir fügen dann das Etikett aus Chip und Antenne zusammen", so Thorsten Wischnewski, Produktmanager von Rako Security Label, einer Unternehmenstochter.

Und so funktioniert RFID: Die Produkte, Paletten oder Container werden mit einem elektronischen Etikett versehen, das einen Code mit Informationen enthält. Im Gegensatz zum bisher gebräuchlichen Bar- oder Strichcode, bei dem eine ganze Serie von Produkten den gleichen Code aufgeklebt bekommt, soll jeder auf der Welt gefertigte Artikel eine eindeutig identifizierbare Nummer haben. An Lesestellen werden die Daten per Funk ohne Berührung erfasst. Die Informationen können dann per Internet in die Rechner der jeweiligen Unternehmen übermittelt werden.

Ein weiteres Projekt des RFID-Herstellers Rako ist der intelligente Kleiderbügel, den das Unternehmen entwickelt hat. Derzeit wird die Neuheit getestet. Ab Mitte nächsten Jahres soll der Kleiderbügel verfügbar sein. "Er speichert Daten über das Kleidungsstück, das er trägt", so Wischnewski. "Mit einem entsprechenden Computer ist es dann ein Leichtes, zum Beispiel den Preis zu ändern." Auszeichnen fällt weg. "Und an der Kasse muss der Artikel nicht mehr gescannt werden, es reicht, ihn in die Nähe des Computers zu halten."

Der gläserne Kunde

Bevor die Chips wirklich direkt beim Verbraucher ankommen, schlagen die Datenschützer jedoch Alarm. Ihre Sorge: Der Kunde weiß oft nicht, dass er ein Produkt mit einem RFID-Chip ge-kauft hat. "Wir fordern, dass die Hersteller ihre Produkte kennzeichnen, die sie mit RFID versehen", sagt Sebastian Wirth, Referent beim Hamburgischen Datenschutzbeauftragten. Zudem funktioniere der Chip auch nach dem Einkauf und könne so wiederholt gelesen werden. "Irgendwann wird es möglich sein, den Kunden beim Betreten des Ladens abzuchecken. Wir werden so alle zu gläsernen Kunden."

Noch sind die Kosten allerdings zu groß, um die Chips an jedes Produkt zu heften, das über den Tresen geht. Ein Einweg-Aufkleber berechnet Rako derzeit mit 20 Cent. Ein Mehrweg-Label lässt sich das Unternehmen mit rund 50 Cent bezahlen. Bis das Etikett mit ein bis fünf Cent auch für den margenschwachen Lebensmitteleinzelhandel interessant wird, werden seiner Meinung nach noch viele Jahre vergehen.

Sport

Die moderne Funktechnik wird bei großen Sportveranstaltungen bereits eingesetzt. Bei einem Marathonlauf wird der Chip bei allen Teilnehmern am Fußgelenk oder an die Schuhbänder angebracht. Andere Hersteller fertigen spezielle Startnummern, in denen die Chips eingebaut sind. An mehreren Abschnitten laufen die Teilnehmer dann über spezielle Gummimatten oder durch Tore, die die Informationen der Funkchips auslesen können. Die Zeit des entsprechenden Teilnehmers wird gespeichert und an eine zentrale Datenbank gefunkt. So sind nicht nur End- sondern auch Zwischenzeiten der Sportler zentral erfasst.

Lebensmittel

Noch sind die kleinen Funkaufkleber zu teuer, um auf jedem Joghurtbecher oder jeder Schokoladentafel zu kleben. Die Experten rechnen mit weiteren zehn Jahren, bis auch im Supermarkt alle Artikel mit einem Funkchip versehen werden. Edeka plant derzeit, zumindest die Kisten, in denen sich frisches Fleisch befindet, mit den Etiketten auszustatten. So lässt sich die Ware genau zurückverfolgen, Herstellungs- und Verfallsdatum bestimmen. Eine mögliche Zukunft des Einkaufens kann man im Metro Future Store in Rheinberg bei Düsseldorf bereits erleben. Dort wird die RFID-Technik im Handel gezeigt.

Pillen

Das Pharmaunternehmen Pfizer beklebt jede Medikamentenpackung mit RFID-Chips. So will das Unternehmen sicherstellen, dass der Patient keine gefälschten Präparate bekommt. Und wo wäre das sinnvoller als bei dem meist-gefälschten Medi-kament der USA, Viagra.

Lagerhaltung

Derzeit findet RFID in der Logistik die meiste Anwendung. So hat Rewe vor über zwei Jahren ein Projekt in Norderstedt ins Leben gerufen. Ergebnis ist die größte RFID-Anwendung europaweit. Ende dieses Jahres soll das gesamte Lager über Funk gesteuert werden. Otto setzt die Technik seit 2004 in seinem Lokistikzentrum in Hamburg ein, um Diebstahl auf dem Weg zum Kunden zu reduzieren.

Bibliotheken

Immer mehr Bibliotheken setzen RFID ein. So können die Besucher selbstständig und ohne lange Warteschlangen am Schalter ausleihen. Die Funkchips speichern unter anderem Exemplarnummer, Autor, Bibliothekskennung und Ausleihstatus. Zur Ausleihe werden die Bücher auf den Arbeitsplatz gelegt und der Bibliotheksausweis in ein Lesegerät eingeschoben.Vorteil: Es können mehrere Bücher zeitgleich erfasst werden.

Automobil-Industrie

Große Autohersteller wie Ford wenden bereits die RFID-Technik an. So verbaut Ford bis zu 2000 dieser Funketiketten in seinen Wagen. Ziel ist es, gefälschte Bauteile zu erkennen. Zudem wird für das gesamte fertige Auto ein weiteres Etikett verwendet. Dies bauen die Hersteller zumeist in die Stoßstange ein. So können sie leichter den aktuellen Stand der Herstellung ermitteln und feststellen, welche Autos sich wo befinden. Andere Hersteller wie VW befinden sich noch in der Testphase.

Kleidung

Das Unternehmen Gardeur hat für ein erstes Versuchsprojekt vor wenigen Wochen 250000 wiederverwendbare RFID-Label fertigen lassen. Damit wird der Einsatz der Technologie zwischen der Fertigungsstätte und dem Verteilzentrum getestet. Künftig will Gardeur seine jährlich drei Millionen gefertigten Kleidungsstücke mit der Technik ausstatten lassen. Auch die Läden dafür umzurüsten, ist geplant. Gerry Weber will ebenfalls noch dieses Jahr mit der Verwendung von RFID beginnen.