Dierk Strothmann über die erste Warmbadeanstalt des europäischen Kontinents.

Die Adresse scheint nicht gerade gut geeignet, um ausgerechnet dort die erste Warmbade-anstalt des europäischen Kontinents zu eröffnen. Aber darüber hat man sich wohl kaum Gedanken gemacht, als am 5. April 1855 am Schweinemarkt erstmals in insgesamt 32 Badewannen rechts für Männer und 16 links für Frauen (in Einzelkabinen, versteht sich) Wasser gefüllt wurde. Außerdem gab es 32 weitere Stände, an denen Wäsche gewaschen wurde und wo es Einrichtungen zum Wringen, Trocknen, Mangeln und Plätten von Bett- und Leibwäsche gab. In anderen Quellen heißt es, dort seien 65 Badewannen aufgestellt worden oder auch 53 Wannenbäder und 33 Waschstände.

Heute steht dort das Saturn-Parkhaus

Was letztlich richtig war, ist nicht mehr nachprüfbar, denn das imposante Gebäude am heutigen Steintorwall wurde 1963 abgerissen, um Platz für das Horten-Parkhaus (heute Saturn), zu schaffen, ein mit Abstand hässlicheres Gebäude als die Bade-Anlage, die kreisförmig um einen 40 Meter hohen Schornstein gebaut worden war. Die durch zwei Meter hohe Holzwände getrennten Kabinen erreichte der Reinigungswillige über einen Rundgang. Die Badegäste durften die Wasserhähne aber nicht selbst aufdrehen, dafür war Personal angestellt worden. Das Ganze war eine Idee der Patriotischen Gesellschaft und des Vaters des Hamburger Kanalsystems, des englischen Ingenieurs William Lindley.

Im 18. Jahrhundert hatte sich nämlich herumgesprochen, dass tägliches Waschen durchaus sinnvoll sein kann, dass "körperliche Unreinlichkeit sehr bald Mangel an Selbstachtung, Rohheit und Laster" erzeugt und dass es viel besser sei, "einzelne Feierabendstunden zur Erfrischung im Bade" zu verwenden, da dies auch "in den meisten Fällen vom Wirtshaus abzieht", schrieb Lindley in seinem Konzept.

Jedem Deutschen ein Bad pro Woche

Zur Finanzierung des Prestige-Objekts wurde eigens eine Aktiengesellschaft gegründet, die auch gern Spenden wohlhabender Bürger entgegennahm. Das war zwar gut gemeint, aber leider war es für die meisten Hamburger ein zu teurer Spaß. Wenn die ganze Familie einmal wöchentlich in die Wanne gestiegen wäre, hätte dies einen Arbeiter mit Durchschnittseinkommen etwa ein Drittel seines Lohnes gekostet. Und so dauerte es noch ein paar Jahre, bis die 1887 von dem Dermatologen und Sozialreformer Oskar Lassar aufgestellte Forderung "Jedem Deutschen ein Bad pro Woche" umgesetzt wurde.