Vor 100 Jahren wurde Hamburgs Innenstadt zukunftsfähig gemacht. Ganze Straßenzüge fielender Spitzhacke zum Opfer,ein neuer Durchgang vom Hauptbahnhof zum Rathaus entstand: die Mönckebergstraße. Eine Straße, die noch heute im Wandel ist. Ein Spaziergang.

Da ist sie nun also. 30 Meter breit, 800 Meter lang. Chic. Edel. Eifernd, prächtig zu wirken. Und gleichzeitig irgendwie zurückhaltend. Hanseatisch, kann man wohl sagen. Tausendmal gesehen und immer wieder neu. Immer im Wandel, in Veränderung. Die Mönckebergstraße. Unbestritten ein Mittelpunkt der Stadt. Ihr Herz. Und das Herz des Handels, seit dieser am 26. Oktober 1909 mit dem ersten Geschäft aufgenommen wurde.

Gerade einmal 100 Jahre ist es her, dass diese Stelle ein heruntergekommener Ort war, ein Getto. Wo sich heute die Mönckebergstraße befindet, herrschten bittere Armut, Dreck, Kriminalität und die Folgen der Cholera-Epidemie in den elenden Fachwerkhäusern des Gängeviertels. Da, wo sich heute Hamburger und Touristen aus aller Welt nette Nachmittage machen, Kaffee trinken oder bei Peek & Cloppenburg, Zara, H&M und WMF Schnäppchen im Winterschlussverkauf machen. Im Jahre 1907 haben Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg und der Hamburger Senat entschieden, dass der Schandfleck Gängeviertel weg muss. Dass die aufkeimende Metropole Hamburg eine Durchbruchstraße vom neuen Rathaus zum noch neueren Hauptbahnhof braucht, mit einer modernen Straßen- und Untergrundbahn.

Mönckeberg hatte die Zeichen der Zeit erkannt. Seiner Zeit, die diesen Durchbruch zum Aufbruch benötigte. Den Aufbruch in eine neue Ära, mit einem der spektakulärsten Großstadtprojekte, die in ihrer Dimension mit dem Projekt HafenCity heute gemessen werden kann. Auch wenn der Finanzexperte Mönckeberg eigentlich immer darauf bedacht war, das Geld der Stadt zusammenzuhalten. Neue, elegante Kontorhäuser und eine richtige Innenstadt sollten Hamburg zur Weltstadt machen. Zu einer bedeutenden und schönen Weltstadt. Der Hamburger Architekturhistoriker Jan Lubitz (32) will in diesem Sommer ein Buch über die Mönckebergstraße herausgeben. Er sagt: "Mit der Mönckebergstraße gelang der Stadt Hamburg der Sprung ins 20. Jahrhundert." Für diese moderne Bauaufgabe habe man einen "eigenständigen baukünstlerischen Ausdruck" gefunden.

Schlendert man in diesen Tagen über die Mönckebergstraße, vorbei an edlen und weniger edlen, hanseatischen und weniger hanseatischen Fassaden, erahnt man nichts mehr von der riesigen klaffenden Bausstelle, die von 1907 an mit Spitzhacken, Schaufeln und Manneskraft aufgetan wurde. Klöpperhaus, Hammoniahaus oder Levantehaus erscheinen, als wären sie immer schon da gewesen. Wohnadressen gibt es an dieser Straße nicht mehr. Die Mönckebergstraße wird vom Denkmalschutzamt als städtebauliches Ensemble aus geschichtlichen und baukünstlerischen Gründen eingeschätzt, etliche Gebäude stehen im Denkmalverzeichnis. "Die Bauten an der Mönckebergstraße glänzen dadurch, dass sie auf das individuelle Glänzen verzichten", sagt Jan Lubitz. "Sie nehmen sich im Sinne des Gesamtbildes selbstbescheiden zurück."

Und sie haben sich in einem Jahrhundert verändert - und sind doch gleich geblieben. Das würde die Pioniere der Mönckebergstraße, Architekten und frühere Bauherren freuen. "Mein Urgroßvater wäre überrascht, wie die Mönckebergstraße heute aussieht. Dass sie und ihre Gebäude eben nicht total verändert wurden", sagt die Hamburger Kauffrau Claudia Bach, deren Familie nun in vierter Generation in der Innenstadt besitzt und verwaltet. Ihr Urgroßvater, Franz Bach, entwarf und baute viele Häuser auf beiden Seiten der Mö. Wie beispielsweise die Hausnummer 7. Zur Zeit seiner Fertigstellung hieß das Kontorhaus Hubertushof, wurde dann in den 30er-Jahren nach einem seiner Hauptmieter benannt: der Deutschen Levante-Linie. Levante ist Italienisch und heißt "der Sonne entgegen". Die Reederei ist mittlerweile an der Willy-Brandt-Straße, auch vieles andere hat sich nach dem Umbau 1995 geändert.

Geblieben ist die Sonne - und eine Überzeugung: "Wir sind stolz auf das Vermächtnis meines Urgroßvaters. Wir freuen uns über den steten Wandel der Mönckebergstraße mit ihren unterschiedlichen Mietern und Geschäften, solange der Mix ausgewogen ist", sagt Erbin Bach, was so viel heißen soll wie: Große Ketten und regelmäßige Neuerungen sind Publikumsmagnet, sie dürfen aber nicht überhandnehmen. Im Februar ziehen zwar Calvin Klein und Swarovski ins Levantehaus, aber, so sagt Bach, auch der Blumen-, der Gewürz oder der Seifenladen, eben der kleine, individuelle Einzelhandel, muss bestehen können, "es darf nicht immer nur um die Rendite gehen. Es muss auch darum gehen, was gut ist für die Mönckebergstraße und für die Stadt", sagt Bach. Das scheint die 44-Jährige bei ihren Projekten zu beherzigen: Zu den etwa 40 Geschäften im Levantehaus gehört bisher nur ein Fünf-Sterne-Hotel einer Kette an. Im Rahmen des Architektursommers soll es in diesem Sommer eine historische Ausstellung geben. Ihr Thema: 100 Jahre Mö.

"Mit offenen Augen durch die Straße, und schauen, was es Neues gibt", sagt Claudia Bach. Das lohnt sich immer, nicht nur für das Neue. Wer weiß noch, dass die Rappolt-Häuser einst einer jüdischen Familie gehörten, bis diese vor den Nazis fliehen musste? Dass die St.-Petri-Kirche den ältesten und mit 120 Metern den höchsten Aussichtspunkt in Hamburg bietet? Ein kleines, unauffälliges Schild an der Mauer zur Mö weist darauf hin. Leicht zu übersehen auch die Statue von Dietrich Bonhoeffer, die hinter diesem Schild steht und die Vergangenheit anmahnt. Wer schnell noch einige Einkäufe erledigen muss, nimmt Bonhoeffer wohl ebensowenig wahr wie die goldene Kogge auf dem Dach des Jugendstilhauses nebenan, das 1910 der Leder-Kunsthandwerker Georg Hulbe bauen ließ, als sogenanntes "Übergangsgebäude" neben der Petri-Kirche, entgegen dem üblichen Kontorhausstil. Das Hulbe-Haus sieht immer noch aus wie vor hundert Jahren, wie eine alte gut erhaltene Diva, die alleine auf einer Party herumsteht, nach der sich aber trotzdem jeder umdreht. Wenn er denn mal mit offenen Augen die Mönckebergstraße entlangspaziert.

Wer schließlich am westlichen Ende der Mönckebergstraße die Fahrbahn quert, dabei unbedingt auf die leise heranrauschenden Busse 4, 5 oder 109 achtet, und auf der linken Seite zurück gen Hauptbahnhof marschiert, lässt die Symbole der politischen und finanziellen Macht in seinem Rücken. Das Rathaus, die Hamburger Sparkasse und die Hanseatische Wertpapierbörse. Die neue Einkaufsstraße sollte vor hundert Jahren, wie Zeitzeugen berichten, mit etwas mehr als hanseatischer Eleganz die angemessene "Größe und Wirtschaftskraft" präsentieren.

Öfter mal was Neues. Die Sportgeschäfte Intersport und Sport-Scheck suchen auch in der Krise "kompetente Mitarbeiter". Und nebenan in der Nummer 20 gibt's eine Premiere. "Opening soon" prangt auf drei verklebten Fenstern. Ende Januar/Anfang Februar soll hier eine Filiale von "Ara-Shoes" eröffnen. Sebastian Meyer, Expansionsleiter des Schuhherstellers aus Langenfeld bei Düsseldorf, sagt, warum: "Wir sind der Meinung, dass auch in der jetzigen Situation gute Lagen gut bleiben." Und das bedeutet: "Die Mönckebergstraße ist eine der traditionsreichen Einkaufsstraßen in Deutschland." Hanseatisch muss nicht selbstbescheiden sein. Im Schaufenster von Juwelier Christ glänzen Brillantringe für 3499 Euro.

Der Domhof, Haus Nr. 18, erbaut 1910/11 von Franz Bach, war das erste Backsteingebäude an der Mönckebergstraße. Und der gewaltige Barkhof, Nr. 8-10 mit 170 Meter Straßenfront, bildet den klassischen Kontorhausstil aus Naturstein ab. "Eigenständige Baukörper, die rhythmisch angeordnet sind und historischen Zierrat wegwarfen", sagt Kunsthistoriker Lubitz über diese Dickschiffe der Architektur, deren markante Giebel erst in den vergangenen Jahrzehnten wieder aufgebaut wurden. Junge Architekten verdienten sich hier ihre Meriten, keine arrivierten Kollegen aus der Generation der Rathausbaumeister: Fritz Höger, Henry Grell, Franz Bach und Carl Gustav Bensel.

Ein paar Schritte neben dem Kaufhausgiganten Karstadt, der hier ununterbrochen seit 1912 hinter einer prägnanten Sandsteinfassade residiert, taucht endlich ein Hinweis auf den Namensgeber auf. Am Mönckebergbrunnen, neben einer einbetonierten Platane zwischen Zeitungskiosk und Mö-Grill, heißt es: "Errichtet 1913-1915 von Fritz Schumacher und Georg Wrba in Verbindung mit einer Bücherhalle zum Andenken an Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg, 1839-1908". Ein repräsentativer Platz, den die Nazis gern für Aufmärsche missbrauchten. Im Brunnen, der schon bessere Tage gesehen hat, liegen noch Reste vom Silvesterfeuerwerk. Im Rücken des Brunnens steht ein Pavillon, der gern nach dem damaligen Baudirektor als "Schumacherscher Tempel" bezeichnet wird: die ehemalige Volkslesehalle von 1911. Heute sagt die Werbung "Double-Whopper 6,29 Euro", wer hier zu Hause ist: Burger King.

Ende März ist Schluss mit Burgern. Dann wird die ehemalige Bücherhalle wieder in ein Stück Kultur zurückverwandelt. Jedenfalls teilweise. Ein "KulturPunkt" soll das kulturelle Angebot der Stadt vorstellen und Kartenverkäufe anbieten - besonders, aber nicht nur, für Touristen. Neben der Elbphilharmonie sollen "schwerpunktmäßig auch kleinere Institutionen ihre Angebote präsentieren" können, sagt Jochen Margedant, Projektleiter Elbphilharmonie bei der Kulturbehörde.

Wegen der klammen Finanzlage muss sich das neue Kultur-Informationszentrum den Platz in dem historischen Gebäude allerdings mit einem gastronomischen Partner teilen. Kaffee statt Klopse. Neuer Hauptmieter wird im Juli für mindestens zehn Jahre die US-Coffeeshopkette Starbucks, die den KulturPunkt jährlich mit 60 000 Euro unterstützt. Die Übergänge zwischen Kultur und Service sollen auf allen Stockwerken fließend sein, auf einer kleinen Bühne sind Veranstaltungen möglich. Auch der bisher stiefmütterlich behandelte Außenbereich soll aufgehübscht werden. Mehr Komfort, weniger Tauben.

Mit dem rotgeklinkerten Südseehaus von 1912, in dem seit 60 Jahren Peek & Cloppenburg hinter einem neobarocken Portal residiert, endet das historische Abenteuer Mönckebergstraße. Denn die beiden Häuser unmittelbar vor dem Hauptbahnhof, Saturn, Hausnummer 1 auf der rechten, und das Karstadt-Sporthaus, Nummer 2 auf der linken Seite, gehören eigentlich nicht mehr zum Brückenschlag von 1909. Die Häuser, die damals hier standen, blieben stehen. Links ein Block unter anderem mit einem Hotel, rechts ein naturhistorisches Museum. Beide fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer und wurden als Kaufhäuser neu aufgebaut. Nicht zu jedermanns Geschmack. Das ehemalige Horten-Haus, in dem seit 1999 Geiz geil ist und Teuer gehasst wird, steht etwas abseits. Wie ein sich schämender Fremdkörper, unverwechselbar durch Tausende "Hortenkacheln", kreiert vom Architekten Egon Eiermann. Gegenüber, im Schaufenster von Karstadt Sport, verheißen Laufschuhe: "Ich habe keine Zeit für Gewöhnliches". Das sollte einst ja auch ein Grund für den Besuch der Mönckebergstraße sein.

Und das gilt weiterhin. "Die Entscheidung für die Mönckebergstraße war eine absolut weise Entscheidung", sagt Jan Lubitz, "ein Impulsgeber für den Umbau der Innenstadt." Und zukunftsfähig? "Ja. Weil sie ein geschlossener Stadt- und Erlebnisraum ist, mit offenem Himmel und Qualitäten, die keine Passage bieten kann. Auch für die nächsten 100 Jahre."