“Lienekes Hefte“ sind liebevolle Texte und Bilder, die ein Vater während der Nazi-Besetzung an seine kleine Tochter schrieb. Kein tragisches Dokument wie die Tagebücher von Anne Frank - sondern eine Briefesammlung mit Happy End.

Nili Goren sagt von sich, dass sie sehr viel Glück gehabt hat. Sie ist 75 Jahre alt und lebt in einem Vorort von Haifa in Israels Norden. Sie ist eine sehr freundliche ältere Dame, die auch über die traurigen Zeiten ihres Lebens inzwischen mit einer leichten Stimme sprechen und ihnen etwas Gutes abgewinnen kann. Vielleicht, weil das genau ihre Geschichte ist und sie ein Paradebeispiel ist für Menschen, die Glück im Unglück haben.

Ein neues Buch erzählt jetzt die Geschichte von Nili Goren. Die ein bisschen an Anne Frank erinnert. Aber nicht traurig ausgeht. Nili Goren wurde zwar auch als Mädchen versteckt, weil sie Jüdin war, aber ihre Geschichte ging gut aus. Sie überlebte den Holocaust. Und die Briefe, die ihr Vater ihr zu dieser Zeit heimlich schrieb, um sie zu trösten und ihr zu zeigen, dass er an sie denkt, wurden aufbewahrt und jetzt veröffentlicht.

Nili Goren wurde im Mai 1933 in Utrecht in Holland geboren. Als jüngstes von vier Kindern hörte sie auf den Namen Jacqueline van der Hoeden. Jacqueline war eine Mischung aus Jacob (oder Yakoov), so hieß ihr Vater, und Lien, dem Namen ihrer Mutter. Ihr Spitzname wurde Lieneke. Diesem typisch holländischen Namen, zusammen mit ihren blauen Augen und den Beziehungen des Vaters, verdankte sie während des Zweiten Weltkrieges die Rettung vor den Nationalsozialisten. Denn auch in den besetzten Niederlanden wurden Juden verfolgt.

Ihr Vater Jacob van der Hoeden war Tierarzt und lehrte am Universitätskrankenhaus. Den Beginn des Krieges erlebte die Familie noch relativ normal. Doch irgendwann bemerkte auch Lieneke, dass sich die Zeiten verändert hatten. "Erst mussten wir mit einem gelben Stern auf der Kleidung aus dem Haus gehen, dann durften wir manche Geschäfte nicht mehr betreten und nicht mehr in die Schule gehen", erinnert sich die 75-Jährige heute. Obwohl den Kindern nicht viel erzählt wurde, hätten sie gespürt, wie die Situation war. "Die ganze Luft war damals voll mit Angst."

Als im Sommer 1942 die Deportation der Juden in den Niederlanden begann, musste Dr. van der Hoeden eine schwierige Entscheidung treffen. Die Familie sollte sich trennen, um zu überleben. Die vier Kinder wurden aufgeteilt, zu befreundeten Familien aufs Land geschickt und dort versteckt. "Egal, wo ich in dieser Zeit war. Mir war klar, ich durfte nicht verraten, wer ich und dass ich jüdisch bin", sagt Nili Goren.

Von Oktober 1942 bis April 1943 lebten Lieneke und ihre ältere Schwester Rachel bei der Familie Cooymans in St. Oedenrode. Der Familienvater war ein ehemaliger Student von van den Hoeden, der ihm zu Beginn des Krieges Hilfe angeboten hatte. "Als ich später selber Kinder hatte, habe ich mich oft gefragt, ob ich dieses Risiko auf mich genommen hätte", sagt Nili Goren. Denn die Cooymans hatten selbst Kinder, und bei einer Entdeckung der Mädchen wären alle in großer Gefahr gewesen. Nachdem ein holländischer Polizist die Cooymans noch rechtzeitig warnen konnte, weil die Deutschen Verdacht geschöpft hatten, wurden die Mädchen getrennt, und Lieneke kam zu Dr. Hein Kohly in das kleine Dorf Den Ham. Dort erhielt Lieneke den ersten Brief ihres Vaters. Da Dr. Kohly im Widerstand organisiert war, konnten ihm die Briefe übergeben werden. Lieneke durfte jeden neuen Brief nur eine Stunde lang behalten, danach wollte er sie aus Vorsicht vernichten. Als der Krieg zu Ende war, übergab Kohly Lieneke alle Briefe. Weil sie so schön waren, hatte er sie in einer Dose unter einem Apfelbaum im Garten versteckt. "Er hat es nicht übers Herz gebracht, sie zu vernichten. Es hätte ja das Letzte sein können, was ich von meinem Vater hätte behalten können." Drei Wochen später wurde das Mädchen vom Vater abgeholt. Alle hatten überlebt, außer der Mutter, die an einer Krankheit gestorben war. Es war also doch nicht alles gut gegangen. Lieneke hatte ihre Mutter verloren, doch die drei Geschwister und den Vater hatte sie wieder. "Wenn man bedenkt, was andere erlebt haben im Holocaust, kann ich doch sehr glücklich sein."

Nach dem Krieg wanderte die Familie nach Israel aus. Lieneke heiratete einen Chemiker und hat heute drei Kinder und sechs Enkelkinder. Ihr Vater, der Autor der Briefe an Lieneke, starb 1980, er wurde 76 Jahre alt.


"Lienekes Hefte" von Jacob van der Hoeden wurden von der französischen Autorin Agnès Desarthe entdeckt und herausgegeben. Zehn Hefte liegen in einer Box. Erschienen bei Jacoby & Stuart; 10 Hefte, 144 Seiten, 19,95 Euro.