Der Garten in der Literaturbeschreibt den Eintritt in eineandere Welt. Gehegt und gepflegt steht er seit Jahrhunderten für den Ausbruch aus dem Alltag.

Jeder Garten erinnert uns an den allerersten Garten: den Garten Eden. Umgrenzt und umhegt, fernab jeder Gefährdung, ist der Garten immer noch die andere Welt - die Gegenwelt, aus der wir einst vertrieben wurden, als wir vom Baum der Erkenntnis aßen. Das Mittelalter hatte seinen Klostergarten als Heilort. Die Renaissance hatte ihren Lustgarten. Für den französischen Barock sollte der göttliche erste Gärtner in jedem Garten verherrlicht werden und natürlich der Besitzer. Die Kunst darin zeigte sich mit Stolz, wobei nicht nur menschliche Gärtner, sondern Architekten, Skulpteure, Maler sowie Brunnenbauer beteiligt waren. Und das war auch so beim etwas jüngeren, englischen Landschaftsgarten. Immer sangen die Dichter ihr Lied auf den Garten, auf Blüten, Duft, Fülle und Vogelgezwitscher. Uns berührt der schöne Garten besonders inniglich jetzt im Frühling - warum eigentlich?

Hinter Mauern ein Paradies Bernhard von Clairvaux preist im 12. Jahrhundert seinen Klostergarten: Ein Kranker muß sich nur auf eine Rasenbank setzen, und während der Hundsstern die Ebenen ausdörrt und die Flüsse vertrocknen lässt, ruht er wie in einer schattigen Laube; er weidet seine Augen an der Vielfalt der Dinge, Pflanzen und Bäume, die ihn über sein Elend hinwegtrösten, nimmt die vielfältigsten köstlichen Düfte wahr, und erfüllt seine Ohren mit der süßen, abwechslungsreichen Harmonie der Vogelstimmen. Guter Gott, welche Fülle an Wonnen hast du dem Menschen bereitet! Die poetische Entsprechung des mittelalterlichen realen Gartens war der sogenannte "Hortus conclusus", der "verschlossene Garten" - vorgepägt im Hohelied (4,12-15): Ein verschlossener Garten bist du, meine Schwester und Braut,/ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell./Dein Schoß ist ein Garten von Granatbäumen/mit den köstlichsten Früchten,/Narde und Krokus, Kalmus und Zimt,/ mit allerlei Weihrauchsträuchern, Myrrhe und Aloe,/samt all den besten Balsamen./Der Gartenquell ist ein Born lebendigen Wassers,/das vom Libanon fließt. Dieses Sinnbild eines Gartens stand für die Reinheit der Jungfrau Maria, für ihre Unantastbarkeit durch die Welt und darüber hinaus symbolisch für jede reine Seele.

Effis verschlossener Garten Ein jüngerer Hortus conclusus findet sich in einem unserer großen Romane: Fontanes "Effi Briest" aus dem Jahr 1896. Er beginnt: In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetztes Rondell war. Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau dem Seitenflügel entsprechend, lief eine ganz in kleinblättrigem Efeu stehende, nur an einer Stelle von einer kleinen, weißgestrichenen Eisentür unterbrochene Kirchhofsmauer (...). Fronthaus, Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes Hufeisen, an dessen offener Seite man eines Teiches mit Wassersteg und angeketteltem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde (...)" Hier wächst Effi heran, bevor sie mit knapp 17 Jahren von der Schaukel weg dem mehr als doppelt so alten Baron Instetten vermählt wird - einst der Liebhaber ihrer Mutter. Hier, wo anfangs die Sonnenuhr steht, wird Effi etwa zwölf Jahre später schon begraben liegen. Ihre behütete Kindheit bereitet sie schlecht vor auf ihre eigene Lebenslust, auf die Ehe mit einem Instetten und auf die lebensfeindlichen Ehrbegriffe der Bismarckzeit. Der Efeu ist im Roman Effis Symbol, auch in Anklang an ihren Namen: Er ist wie sie vital, anschmiegsam, immergrün und immer schön. Dass der Efeu sich anfangs um eine Kirchhofsmauer rankt, nimmt Effis Schicksal symbolisch vorweg.

Märchengärten und Gier Wenn im Märchen ein Garten erscheint, dann meist als sicherer, schöner Ort. Er steht oft im Gegensatz zum dunklen, wilden Wald. Doch können Gärten für diejenigen gefährlich werden, die sie nicht besitzen. Davon erzählt Grimms "Rapunzel": Die Leute hatten in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenster, daraus konnte man in einen prächtigen Garten sehen, der voll der schönsten Blumen und Kräuter stand, er war aber von einer hohen Mauer umgeben, und niemand wagte hineinzugehen, weil er einer Zauberin gehörte, die große Macht hatte und von aller Welt gefürchtet wurde. Eines Tages stand die [schwangere] Frau an diesem Fenster und sah in den Garten hinab, da erblickte sie ein Beet, das mit den schönsten Rapunzeln bepflanzt war, und sie sahen so frisch und grün aus, dass sie lüstern wurde und das größte Verlangen empfand von den Rapunzeln zu essen." Lust und Verlangen nach dem Verbotenem werden in dieser Geschichte zu maßloser Gier. Schließlich verscherbeln Mutter und Vater ihr Frischgeborenes an die Zauberin für den Genuss der Rapunzeln. Das Mädchen wird sich dann erst als Erwachsene und nach langem Leiden aus den zauberischen Fängen befreien können, in welche ihre Eltern sie gaben.

Manchmal auch Zaubergarten Der Garten hütet gern Geheimnisse und ist manchmal verwunschen oder verzaubert. 1818 beschreibt Eichendorff in "Das Marmorbild" einen Zaubergarten, wobei er sich auf die mittelalterliche Sage vom Venusberg bezieht. Der galt als Ruhesitz der Göttin Venus, die sich immer mal wieder Männer holt, die ihr dienend das alte Leben verjüngen. Der Garten in der Eichdendorffschen Version ist verwildert, mit Ruinen bestückt und wenig einladend. Jedoch erwacht dieser Garten zu neuer Pracht, wenn ein verträumter, schöner Jüngling wie Eichendorffs Florio ihn betrachtet: Da kam er unerwartet an ein Tor von Eisengittern, zwischen dessen zierlich vergoldeten Stäben hindurch man in einen weiten, prächtigen Lustgarten hineinsehen konnte. Ein Strom von Kühle und Duft wehte den Ermüdeten erquickend daraus an. Das Tor war nicht verschlossen, er öffnete es leise und trat hinein. Hohe Buchenhallen empfingen ihn da mit ihren feierlichen Schatten, zwischen denen goldene Vögel wie abgewehte Blüten hin und wieder flatterten, während große, seltsame Blumen, wie sie Florio niemals gesehen, traumhaft mit ihren gelben und roten Glocken in dem leisen Winde hin und her schwankten. Unzählige Springbrunnen plätscherten, mit vergoldeten Kugeln spielend, einförmig in der großen Einsamkeit. Fast erliegt auch Florio dem Zauber, aber eben nur fast.

Von der großen Weite in die kleine Tiefe Dem großen Blick in den Garten folgte der kleine Blick nach unten, forscherfreudig und aufklärerisch. Der Hamburger Kaufmannssohn Barthold Heinrich Brockes wählt zwischen 1720 bis 1750 für seine immerhin neunbändige Gedichtsammlung "Irdisches Vergnügen in Gott" als Erster den einfachen Garten als Sujet mit dessen kleinsten Bewohnern: Käfer, Wurm, Fliege, Ameise. Höfischer Prunk wird abgelöst von bürgerlicher Innerlichkeit: Man siehet jetzt fast über all mit Haufen/Viel bunte Käferchen, gefärbte kleine Fliegen/Zu unsrer Augenlust ein Leben kriegen/Und in dem Gras, auf Kraut und Blumen laufen. (...) Wie manche Art von Wespen und von Bienen/Erblicket man in dem beblümten Grünen!/Die Hummel fliegt mit Brummen hin und her;/Ihr Körper scheinet in sich schwer,/Als wenn er in der Luft ein kleiner Bär/Mit Flügeln wär.

Ihr Umgang mit Natur zeitigt das Wesen der Figur Goethe beschreibt anfangs der "Wahlverwandtschaften" im Jahr 1809 einen frisch angelegten Landschaftsgarten von einem frisch errichteten Mooshüttchen aus: Man hat einen vortrefflichen Anblick: unten das Dorf, ein wenig rechter Hand die Kirche, über deren Turmspitze man fast hinwegsieht; gegenüber das Schloß und die Gärten. (...) Dann, fuhr der Gärtner fort, öffnet sich rechts das Tal, und man sieht über die reichen Baumwiesen in eine heitere Ferne. Der Stieg die Felsen hinauf ist gar hübsch angelegt. Die gnädige Frau versteht es, man arbeitet unter ihr mit Vergnügen. Hier ist selbstverständlich alles nicht nur hübsch, sondern auch symbolisch angelegt. Von der gnädigen Frau, Charlotte, erfahren wir - bevor wir ihr das erste Mal begegnen -, dass sie es versteht, ohne große Eingriffe das Vorgegebene neu zu gestalten: Mooshütte und Stieg fügen sich vorsichtig ein, weil sie sich klein halten. Charlottes Mann dagegen, Eduard, legt kurz darauf drei natürliche Teiche zu einem See zusammen. Er beschwört mit seinem großspurigen Eingriff nicht nur finanzielle und arbeitsmäßige Belastungen herauf, sondern auch gegen alle Warnungen ein Unheil: Bei einem Gartenfest bricht der frische Damm, und nur knapp werden Menschen vorm Ertrinken gerettet. Der Umgang mit der Natur spiegelt jeweils die Seelenlage der Figuren: Die Weitsichtige steht dem Rücksichtslosen gegenüber. Ein Ehedrama darf seinen Lauf nehmen.

Zum Garten gehört der Gärtner Das Wort Garten stammt vom gotischen garda, das Gehege bedeutet. Ursprünglich bezeichnete es ein mit Gerten eingefriedetes Gelände zum Anbau von Nutz-, Zier- oder Heilpflanzen. Ein wurzelverwandtes Wort ist unser "Haus", das sich vom gotischen gards herleitet. Die frühe Verwandtschaft der Worte zeigt an, dass der Garten zu einem Haus gehörte - so wie der Garten Eden im schönsten Sinn der Hausgarten Gottes ist.

Ein außergewöhnlich guter Gärtner begegnet uns in Adalbert Stifters Roman "Der Nachsommer" aus dem Jahr 1857. Dort hat sich der alternde Freiherr von Risach im Voralpenland den Aspermeierhof gekauft, für den Stifter einen realen Hof als Vorbild hatte. Ein Besucher erzählt uns: Ein Umblick überzeugte mich sogleich, daß der Garten hinter dem Hause sehr groß sei. Er war aber kein Garten, wie man sie gerne hinter und neben den Landhäusern der Städter anlegt, nämlich, daß man unfruchtbare oder höchstens Zierfrüchte tragende Gebüsche und Bäume pflegt, und zwischen ihnen Rasen und Sandwege oder einige Blumenhügel oder Blumenkreise herrichtet, sondern es war ein Garten, der mich an den meiner Eltern bei dem Vorstadthause erinnerte. Es war da eine weitläufige Anlage von Obstbäumen, die aber hinlänglich Raum ließen, daß fruchtbare oder auch nur zum Blühen bestimmte Gesträuche dazwischen stehen konnten, und daß Gemüse und Blumen vollständig zu gedeihen vermochten.

Was sich hier gewachsen und sinnvoll angelegt zeigt, ist die Frucht jahrelanger und personalintensiver Arbeit. Risach hatte die vorgefundenen Obstbäume alle versetzen lassen, um in seinem Sinn die Bewirtschaftung zu betreiben. Die Bewirtschaftung dieses Gartens ist Symbol der Ethik Risachs.

Die großen Dichter Europas und ihre Gärten 2005 bereist Gerhard Meier in seiner Erzählung "Ob die Granatbäume blühen" die Gärten großer Dichter, wie Tolstoi, Proust, Nietzsche.

Wir folgen Meier nach Soglio: (...) dort, wos den Palazzo Salis gibt, mit dem Garten dahinter, dem sogenannt historischen, den man auf Anhieb als paradiesisch empfindet, als Anklang an Eden. Rainer Maria Rilke ist dort den Rosen nachgelaufen, hat an diesen gerochen, (...). Dort setzten wir uns hin, Dorli, unter einen der beiden Mammutbäume, während die Rittersporne herumstanden, die Rosen, der Phlox, die abgeblühten Pfingstrosen, die kümmerlichen Apfel-, Birn- und Kirschbäume, wobei niedrige Buchshecken die Bäume, Rosen, den Phlox zusammenzuhalten versuchten und die Berge hereinschauten, aus angemessener Entfernung.

Meier hat seine Frau Dorli nach Jahrzehnten glücklicher Ehe verloren und lässt in der Rückschau auf sie noch einmal die wunderbaren Gärten entstehen, die sie miteinander besuchten. Auch seine Erinnerung und Trauer hebt sich darin.

Der königliche und der göttliche Garten Jeder Garten erinnert uns an den allerersten Garten, den Garten Eden, das Paradies. Der Garten versucht, das Paradies wiedererstehen zu lassen. Das Wort "Eden" entstammt dem Hebräischen und bedeutet "Wonne" und verweist darauf, dass hier auch ein Lustgarten gemeint war. Das Wort "Paradies" entstammt ebenfalls dem Hebräischen, ist jedoch ein altpersisches Lehnwort: pardes mit den Bedeutungen Park, Garten, Umzäunung. Damit war in älterer Zeit speziell die königliche Domäne bezeichnet. Erst die griechische Bibelübersetzung nennt den Garten Eden in der Genesis das Paradies: paradeisos . Damit wurde die Vorstellung der prachtvollen, königlichen Gärten übertragen auf den Garten Eden. Der so hieß, weil er "in Eden" lag, und der wohl nicht so sehr königlich prachtvoll war, sondern schöpferisch prachtvoll: ewiger Frühling, ewiger Sommer, ewige Fruchtbarkeit und Schönheit sind darin. Was dabei immer gern vergessen wird, sind unsere Aufgaben im Paradies, das nämlich kein Schlaraffenland war.

Heißt es doch in Genesis 2,15: Gott der Herr setzte den Menschen in den Garten Eden, damit er ihn bearbeite und bewahre. Arbeit und Schutz des Paradieses waren unsere Aufgaben. Und an dieses Göttlich-Schöpferische bindet ein schöner Garten zu-rück, mag er königlich, schreberisch, bäurisch oder poetisch sein oder einfach meiner.

Paradiesisches Echo Was bedeutet es für mich, wenn ich mich in einem Garten paradiesisch fühle? Zuerst einmal berührt mich dabei etwas Uraltes, Ursprüngliches - wie ein Echo trägt es sich fort durch die Tiefe der Zeiten: Von dort bin ich einst gekommen, und einst werde ich dort wieder hingelangen. Das ist mein menschliches Schicksal, wenn ich der Religion glaube. Viel mehr als Vergnügen oder Freude oder sogar das Überwältigtsein von der Schönheit der Schöpfung findet in solchem Augenblick statt: Meine Seele wird gehoben, weil sie berührt wird vom Schöpferischen in der Geborgenheit des Gartens. Alles, was in mir ist, klingt nun an: Enttäuschung und Verlust, Liebe und Angst, Hoffnung und Sehnsucht. Meine Vergangenheit verbindet sich auf diese Weise mit meiner Gegenwart und schwappt über ins Zukünftige. Denn ich werde darin nicht nur selbst wieder klarer und wacher, sondern kann und soll darüber hinaus auch selbst erneut schöpferisch werden. Gerade jetzt, im Frühling, da alles frisch und grün dem Licht entgegenstrebt und sich erneut entfalten darf, ist dieses Schöpferische am kraftvollsten.

Also: Genießen Sie den blühenden, duftenden Garten und horchen Sie auf das paradiesische Echo.