Cornelia Mark-Maas hat einen Hang zu Bronze, in ganz großer Form und Menge. Sie gießt die Glocken der Kirchen im Lande und hat dafür gesorgt, dass diese uns gut ins neue Jahr hineinläuten.

Knarrend öffnet sich die angerostete Eisentür. Der Blick fällt in eine riesige Halle. Der Geruch von Kohle, kaltem Rauch, gebranntem Ton und feuchter Erde zieht in die Nase. Vorne, auf einem Stahlgestell, lodert ein Feuer. In der Mitte ist eine große Grube gegraben. In der Ecke lagern Pferdemist und Rinderhaare. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen.

Fahl fällt des Tages-Restlicht durch die Scheiben - in der Vulkaneifel hält die Dämmerung Einzug. Im Duett mit den wabernden Rauchschwaden in der Werkstatt ergibt sich eine skurrile Kulisse. Nicht nur die Dezemberkälte lässt frösteln. In der Ferne schlägt eine Glocke. Wie passend. Jetzt, so das klamme Gefühl, könnte der Glöckner von Notre Dame erscheinen. Oder Luzifer gar.

Von wegen! Mit quietschenden Reifen stoppt ein schwarzer Kombi vor der Halle. Heraus springt eine fröhliche Frau mit mittellangem Haar und Sportjacke. "Grüß Gott!", ruft sie. "Herzlich willkommen in unserer Glockengießerei." Es ist Cornelia Mark-Maas, einzige Glockengießermeisterin hierzulande. Mutter von drei Kindern, beim Vater in die Glockengießerlehre gegangen, vor Ort verwurzelt. Ihre Manufaktur, eine von nur noch fünf in Deutschland und wenigen mehr in ganz Europa, wurde 1840 vom Ur-Ur-Urgroßvater Johannes Mark im Dörfchen Brockscheid gegründet. In der Eifel, westlich von Koblenz, zwischen Köln und Trier. Erloschene Vulkane prägen die Region. Aktenkundig ist, dass die Vorfahren seit 1620 als wandernde Glockengießer von Ortschaft zu Ortschaft zogen, um mit ihrem Wissen und ihrer Hände Arbeit die Stimme des Herrn erklingen zu lassen - in Glockenform, vom Kirchturm aus.

"Am Handwerk hat sich seitdem im Prinzip nichts geändert", sagt Cornelia Mark-Maas. Sie begrüßt die Lehrlinge, Andreas Krämer (19) und Julius Maas (17), die sich in Blaumännern an die Arbeit machen. Mit uralten Werkzeugen, nach Lehre der Vorfahren. Julius, Sohn der Chefin, soll die Firma eines Tages in siebter Generation leiten. Gerade noch eine Handvoll Auszubildender werden in diesem Metier geschult: Der Zunft geht's schlecht.

Weil auch die Kirchen sparen müssen. Und weil der Markt gesättigt ist: Praktisch überall hängen einsatzbereite Glocken. Im Gegensatz zu teilweise maroden Glockentürmen aus Holz sind Bronzeglocken nicht totzukriegen und zum Schweigen zu bringen. Wenn es, so Gott will, keinen Krieg gibt. So wie zweimal im vergangenen Jahrhundert. Als landesweit Glocken einkassiert und eingeschmolzen wurden, um als Kanonen allem anderen als himmlischen Mächten zu dienen.

In der Eifeler Gießerei in Rheinland Pfalz werden jährlich etwa 10 bis 15 Tonnen Bronze verarbeitet. Je nach Weltmarkt variierte der Preis pro Kilogramm in den vergangenen Jahren zwischen 4 und 8,50 Euro. Knapp 50 mehr als hundert Kilo schwere Glocken wurden 2008 produziert, in fünf Formperioden. Glocken-Giganten mit einem Gewicht von 7,5 Tonnen, so wie für eine Kirche in Nordrhein-Westfalen, werden nur noch selten in Auftrag gegeben. Kein Wunder bei Kosten von fast 100 000 Euro für ein solch weithin klingendes Prachtexemplar.

Segensreich für das Geschäft, so sagt Meisterin Mark-Maas in ihrer einläutenden Erklärung, sind Aufträge für Missionshäuser in Nigeria, Ekuador, Korea oder Japan, aber auch Bestellungen privater Haushalte und von Schiffseignern - mit Aufschrift nach Wahl. Die großen Arbeiten dieses Jahres sind längst erledigt und ausgeliefert. Schließlich sollte der neue, schöne Klang pünktlich zum Heiligen Abend und zum Jahreswechsel zu hören sein. Vor Silvester werden nur noch kleinere Glocken hergestellt. Der Arbeitsablauf ist immer gleich. So wie in Schillers "Glocke" anno 1799 meisterhaft beschrieben.

Fest gemauert in der Erden / steht die Form, aus Lehm gebrannt. / Heute muss die Glocke werden. / Frisch, Gesellen, seid zur Hand.

Herzstück des Schaffens ist die Glockenrippe, ein Buchenbrett, auf dem Cornelia Mark-Maas das Profil der späteren Glocke berechnet und aufzeichnet. Zugrunde liegen geheime Familienaufzeichnungen, in die nur Vertraute eingeweiht werden. Die Herstellung dieser Rippe ist jedes Mal ein Kunststück. "Sie ist Basis von Größe und Gewicht, vor allem jedoch auch des gewünschten Tons. Jeder Halbton ist in 16 Stufen eingeteilt", sagt Cornelia Mark-Maas. Sie ist in ihrem Metier, weiß alles über Glocken, deren Herstellung, deren Klang. Glocken sind ihr Leben. Ein wenig kann später noch geschliffen werden, aber nicht viel. Sprich: Die Rippe muss stimmen.

Mit ihrer Hilfe wird in mehreren Arbeitsschritten eine Form aus Ziegelsteinen, Lehm, Pferdemist und Rinderhaaren hergestellt. Tagelang haben die Gesellen daran gesessen, diese Mixtur von innen zu beheizen. Hart soll sie sein. Sodass zwischen dem Kern und einer Art Lehmmantel ein Hohlraum für die eigentliche Glocke entsteht. Aus einem Guss muss diese sein.

Kocht des Kupfers Brei, / schnell das Zinn herbei, / dass die zähe Glockenspeise / fließe nach der rechten Weise.

Der Glockenguss, Höhepunkt einer jeden Formperiode, wird bis zu fünfmal im Jahr zelebriert - je nach Auftragslage. Einem uralten Ritual zufolge, an dem oft Kirchengemeinden, Pastoren oder andere Auftraggeber teilnehmen.

Zügig, aber doch bedächtig, wird die zischende und brodelnde Bronzemasse in den Hohlraum gegossen. 1100 Grad heiß, zu 78 Prozent aus Kupfer und 22 Prozent aus Zinn bestehend. Das ist die einzige Konstante. "Zinn macht die Klangfarbe schöner", sagt die Glockengießermeisterin. Zu viel Zinn jedoch erhöht die Bruchgefahr. Pfeifend entweichen Dampf und Gase durch eine Windpfeife. Ein Bild für Götter. Beim Betrachter stellt sich Demut ein.

Was hier auf den ersten Blick leicht von der Hand geht, wird noch Jahrzehnte hallen. Vielleicht länger. Und dabei keinesfalls stummer Zeuge des irdischen Auf und Ab sein. Zum Gebet rufen, Neugeborene begrüßen, zur letzten Stunde schlagen, den Heiligen Abend krönen oder das Neue Jahr willkommen heißen. In kleinere Form gegossen, werden Sitzungen eröffnet, Schulstunden abgeläutet oder zum Essen gerufen. Je nachdem.

Bis die Glocke sich verkühlet/ lasst die strenge Arbeit ruh'n.

Je nach Größe und Gewicht der Glocke kann der Kühlprozess mehrere Tage dauern.

Diesen Zeitraum nutzen Cornelia Mark-Maas und ein Dutzend Mitarbeiter zur Abarbeitung kleinerer Aufträge, zur Vorbereitung neuer Jobs, aber auch für ganz andere Tätigkeiten auf dem großen Gelände. In einer weiteren Halle werden Glockenstühle aus Holz und Stahl gefertigt. Ein Team ist für die Instandsetzung und Wartung auswärtiger Glocken-, Läute- und Turmuhrenanlagen zuständig. Zum Beispiel in Hamburg-Eidelstedt.

Mehr als 10 000 Besucher kommen jährlich nach Brockscheid, um sich über dieses künstlerische Handwerk mit Tradition zu informieren. Es locken Führungen durch die Werkstätten, aber auch ein imposanter Verkaufsraum mit Glocken in allen möglichen Formen und Größen sowie eine Rast im Cafe-Restaurant "Glockenstube". Dort sind die Tischlampen, na klar, selbst gegossene Produkte. Wer's mag, labt sich in rustikaler Umgebung an Vulkan-Teller oder Glocken-Toast.

Schwingt den Hammer, schwingt, / bis der Mantel springt. / Aus der Hülse, blank und eben, / schält sich der metall'ne Kern.

Sobald die Deckschicht zerschlagen ist und sich die Glocke bronzen präsentiert, schlägt sie, die Stunde der Wahrheit. Mit einer Stimmgabel testet Cornelia Mark-Maas, ob der Ton richtig getroffen ist. "Dann spürt man der Glocken Seele", sagt sie. "Ein perfekter Ton ist der Lohn."

Voll, rund und rein soll er sein. Ästhetisch, gut und gerne zwei Minuten nachklingend. Keinesfalls schrill, blechern, rasch verebbend, so wie bei manchem stählernen Nachkriegsprodukt. Charakter soll die Glocke haben. Um mit Würde klingen zu können.

Begleite sie mit ihrem Schwunge / des Lebens wechselvolles Spiel.