Irgendwo auf der Welt sind sie zu Hause, aber ganz selten sind sie daheim - die Seeleute aus aller Herren Länder. Im Hamburger Seemannsheim Duckdalben suchen sie Wärme mit Würde in der Vorweihnachtszeit.

Draußen vor der Tür vibriert der Motor der Hansestadt: der Freihafen Hamburg, Waltershof, zwischen Köhlbrandbrücke und Elbtunnel, im Windschatten der Containertürme von Eurogate. Und alles ist nun einmal so, wie es sich für den Maschinenraum einer Stadt gehört - Geräusche, Gerüche, Gedrängel. Beim Stapeln der Stahlkisten scheppert es ohrenbetäubend. Nebenan, auf der A 7, stehen Lkw im Stau; schwere Motoren dröhnen. Es riecht nach verbranntem Gummi und Abgasen, auch nach Benzin. Ein Güterzug rattert vorbei. Räder quietschen. Nicht nur in den Ohren tut es weh. Schneeregen behindert die Sicht. Pfui Deibel! Nichts wie rein in den internationalen Seemannsklub "Duckdalben". An der Zellmannstraße 16 steht das hellrote Backsteingebäude mit Anbau. Zwei Tannenbäume be-grüßen den Besucher, die Fassade schmücken Lichterketten. Es weihnachtet sehr, hier wo viele Seemänner fern der Heimat die Adventszeit verbringen.

Im Garten gibt es einen Teich und einen Fußballplatz mit Flutlicht. Vorne einen Duckdalben - als Namenspate - eine in den Grund gerammte Pfahlan-lage aus meterhohen Baumstämmen. Pfähle, an denen traditionell Schiffe festmachen sollen. In diesem Falle ist der Duckdalben ein kleiner Hafen für Seeleute aus aller Herren Länder. Ein Ankerplatz für Körper und Seele, eine Oase im Tohuwabohu zwischen den Terminals.

Drinnen ist es himmlisch ruhig. Und warm. Und urgemütlich. Überall sind Tannenzweige angebracht. Kerzen brennen. Leise Musik. Eine Katze schnurrt in ihrer Kuschelecke, Mischlingshund Murmel wartet auf Streicheleinheiten. Und knackt inzwischen höchst professionell Walnüsse. Auf breiten, hellbraunen Sofas sitzen Männer in rustikaler Kleidung: Jeans, Troyer, derbe Strickjacken, Sweatshirts. Lautstark wird geklönt und telefoniert. Viel telefoniert. Im Sitzen und im Stehen, aber auch angelehnt in einer der Telefonzellen mit den Bullaugen als Fenster. Undefinierbares Stimmengewirr dringt durch das Foyer. Kurz vor Weihnachten gehen Grüße hinaus in die Welt, nach Hause, wo immer das ist.

Kursänderung. Von backbord strömt ein verführerischer Duft. Im großen Raum, einer Kombination aus Restaurant, Bar und Krämerladen, werden frisches Zwiebelbrot und Kaffee gereicht. Wer mag, trinkt ein Bierchen. Das perlt gut, so kurz nach Fofftein. Zwei Matrosen aus Lettland kaufen Rasierzeug und Butterkekse, ein Ingenieur aus Indien erwirbt eine Telefonkarte, ein Chinese erkundigt sich nach dem Rücktransport zu seinem Schiff. Ein Kollege von ihm ordert eineGerman Bockwurst.

Und in der Ecke, auf den gemütlichen, rot gepolsterten Sesseln, hat es sich die Besatzung der "MT Diplomat" kommod eingerichtet. Sechs Mann, allesamt von den Philippinen: Kapitän Jose Maria, der Zweite Ingenieur Geovanie, Bootsmann Brando, Arwin, Julius. Rey Molina, Chefingenieur mit Wohnsitz in Tarlac City, etwa 200 Kilometer von Manila entfernt, ordert eine Runde Becks Bier. Sola Ogunbowale, Chemiker aus Nigeria und im Duck-dalben für ein Jahr an allen Fronten im Einsatz, serviert prompt. Cheers! Dazu ein paar Erdnüsse und gebackene Schweinekruste. Auftanken. Harte Drinks sind tabu. Randale ebenso.

Reys Laune ist bestens. Für eine Handvoll Euro hat er 30 Minuten mit Ehefrau Linda und den Töchtern Kathleenjoy, Karinamai und Kimber telefoniert. Ganz bequem per Festnetz. Ein Service, der im Duckdalben groß-geschrieben wird.

Rey hat seine Familie seit März nicht gesehen. Weihnachten wird er in der Mittelmeerregion auf See sein. Spanien? Portugal? Tunesien? Wer weiß. Oder mit Glück in einem Seemannsklub irgendwo da. In jedem Fall ist die Liegezeit kurz; in Windeseile geht es von Hafen zu Hafen.

Hans Albers' Seefahrer-Romantik mit erquickenden Tagen an Land, einer Braut in jedem Hafen und Gelagen in vertrauten Pinten ist längst nur noch Nostalgie. Wenn immer höhere Schlagzahlen den maritimen Rhythmus bestimmen, es beim Umschlag auf Minuten ankommt, bleibt viel Menschlichkeit auf der Strecke. Gerade dann gewinnt ein Zuhause fern der Heimat an Bedeutung. Fester Boden unter den Füßen ist gefragter denn je.

"Gute Adressen werden unter uns Sailors als Geheimtipps gehandelt", verrät Rolando, Decksmann auf dem Feederschiff Livland, bei einer Tasse Tee. Er hat einen harten Job - aber auch eine Ehefrau, eine Tochter und vier Söhne daheim in Manila. 70 Euro Heuer hat er gerade überwiesen. Hundertemal hat er im Seemannsheim in Waltershof schon festgemacht. Weil Mann hier Kollegen zum Klönschnack trifft, preiswert essen und trinken kann- und mit Würde Wärme erlebt. Unbezahlbar, besonders in der Adventszeit.

Kostenloses Internet, Fernsehen in verschiedenen Sprachen, ärztliche Betreuung, Tischtennis, Billard, internationale Zeitungen oder Karaoke sind verlockende Angebote. Dennoch sagen Rey, Jose, Rolando & Co. unisono, dass sie besonders gerne wegen der herzlichen Atmosphäre im Duckdalben zu Hamburg andocken.

Und wer lieber eine Ruheoase statt Geselligkeit sucht, zieht sich in die Bibliothek im Wintergarten zurück. Auch hier ist in diesen Tagen alles adventlich geschmückt. Die Wände und Regale sind voll mit Geschenken aus aller Welt: In Öl gemalte Sonnenblumen von einer chinesischen Crew, Duckdalben aus Eisen von philippinischen Künstlern, afrikanische Fresken, Teppiche, Skulpturen, Pfeifen, Wappen - und jede Menge Rettungsringe. Die Einträge im Gästebuch zeugen von Zufriedenheit und von großer Dankbarkeit. Die raubeinigen Kerle, so die Erkenntnis nach Lektüre, müssen einen weichen Kern haben.

"Erfreuliche Erlebnisse sind grenzenlos", sagt Seemannsdiakon Jan Oltmanns, seit der Gründung 1986 im Duckdalben an Bord und ebenso wie seine Mitstreiterin Anke Wibel gebürtig in Ostfriesland. 365 Tage im Jahr sind die Türen für Seeleute geöffnet, immer von 10 bis 22 Uhr 30. Träger ist die Deutsche Seemannsmission Hamburg-Harburg. Erhebliche Teile des Jahreshaushalts von etwa einer Million Euro tragen die Hamburg Port Authority (228 000 Euro) sowie Reedereien und Hafenagenturen (340 000 Euro) mit freiwilligen Abgaben. Zehn feste, acht Teilzeit- und sechzig ehrenamtliche Mitarbeiter sind bemüht, hanseatische Gastfreundschaft zu beweisen - und Hamburger Herz zu zeigen. 38-Stunden-Woche? Sehr witzig!

Auch Klaus Vohland aus Groß Flottbek, früher selbst drei Jahre auf den Weltmeeren unterwegs, ist ohne Vergütung im Einsatz. Acht Sunden pro Woche hilft er, wo Not am Mann ist. Im Verkauf, mit Rat und Tat, beim Kutschieren der Gäste von Bord und zurück. Wegen der verschärften Sicherheitsvorkehrungen im Hafenareal, knapp bemessener Liegezeiten und mangelnder Ortskenntnis ist dieser Shuttle-Service enorm wichtig. Im vergangenen Jahr wurden 48 030 Besucher befördert. Drei Busse legten in Kurzstrecken 190 000 Kilometer zurück. Für das dringend benötigte vierte Fahrzeug wird emsig Geld gesammelt.

Jahr für Jahr docken mehr als 40 000 Seeleute im "Klub der einsamen Herzen" an. Die Zahlen von 2007: 15 028 Philippinen, 3270 Inder, 2641 Chinesen, 2253 Ukrainer, 743 Deutsche, aber auch Einzelgänger aus Zimbabwe, Jamaika, Trinidad, von den Fidschi-Inseln oder aus Oman.

Viele nutzen die behagliche Atmosphäre im Klub zum seelischen Innehalten im Andachtsraum. Für praktisch jede Religion ist dort eine kleine Ecke eingerichtet. Friedlich nebeneinander, so wie es sein soll.

"Jeder nach seiner Facon", sagt Diakonin Corinna Dohotariu bei einem Pott Kaffee im Billardraum. An Heiligabend werden hier 250 Gäste von überall erwartet. Zum traditionell fröhlichen Gottesdienst und munteren Zusammensein. "Kein Muss, jeder kann",ergänzt die gebürtige Schwäbin. "Unsere Arbeit ist christliche Nächstenliebe - und so gesehen ist jeder Tag Gottesdienst." Die Arbeit fessele sie. In jeder Beziehung. Wie der rumänische Seemann Catalin bezeugen kann. Im Sommer 2006 kam er von Bord der "Millennium Express" in den Duck-dalben. Dort traf er auf Corinna.

Heute sind die beiden ein Ehepaar.