Was haben Eierbecher und Teekesselchen gemeinsam? Lutz Wendler wollte das auch gern wissen und sprach mit Stilikone Alberto Alessi über Entscheidungen aus dem Unterbewusstsein und darüber, was die Dinge, die uns umgeben, über uns aussagen.

Journal:

Was bedeutet Stil für Sie?

Alessi:

Er ist für mich der Ausdruck einer Persönlichkeit. Und wir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in der die Menschen mehr Freiheiten haben, ihre Persönlichkeiten durch individuelles Verhalten ausdrücken zu können. Vor 30, 40 Jahren sah das noch anders aus. Diese Freiheit ist für mich primär, die Frage der Qualität des individuellen Stils dagegen halte ich in diesem Zusammenhang für weniger wichtig.



Und was heißt Stil für Sie persönlich?

Auch ich will mich in meiner Art zu leben, zu wohnen, mich zu kleiden als Individuum ausdrücken. Ich empfinde das als eine Suche. Für den persönlichen Stil gibt es kein Patentrezept, und er ist nicht für immer gleich, es gibt keinen Stillstand. So wie sich die Persönlichkeit über die Jahre entwickelt, so verändert sich auch der Stil. Das lässt sich sogar auf ein Land, auf nationale Eigenarten übertragen. Was allerdings gleich bleibt, das sind die Grundlagen eines individuellen oder nationalen Stils.



Wie würden Sie Ihren eigenen Stil beschreiben?

Ich muss bekennen, dass der sehr schizophren ist. Einerseits finde ich viele Dinge anziehend, die ich sehe. Das hängt eng mit meinem Job zusammen, denn ich muss das Interesse an Konsumgütern wachhalten. Andererseits gibt es bei mir das starke Bedürfnis nach Einfachheit. Es ist mir noch nicht gelungen, beides in Einklang zu bringen.



Wie bewusst sind wir uns des eigenen Stils?

Ich glaube, das läuft überwiegend unterbewusst ab. Man saugt etwas auf, filtert es für sich, und am Ende wird es zu einem Teil des persönlichen Stils.



Wie stark ist der Einfluss der Umgebung, in der wir aufwachsen, für unseren individuellen Stil?

Enorm groß. Unsere Sozialisation in der Kindheit ist zunächst prägend für unser Verhältnis zur Welt - im Guten, aber auch im Schlechten, beispielsweise indem wir manches, was wir nicht kennen, von vornherein ablehnen.



Glauben Sie, dass Alessi das Stilempfinden vieler Menschen verbessern kann?

Mit Sicherheit haben wir eine gewisse Verantwortung, denn wir verkaufen jedes Jahr weitaus mehr als eine Million Produkte. Wir leisten also einen erheblichen Beitrag zu der Welt der Objekte, die uns umgibt. Da ist es nach unserem Selbstverständnis notwendig, dass wir nützliche und schöne Dinge in hoher Qualität produzieren. In diesem Sinne würde ich Ihre Frage bejahen.



Sie sind sehr erfahren, was die Sprache der Zeichen in unserer Konsumgesellschaft anbelangt ...

Ich arbeite daran ...



Was verrät Ihnen Stil über andere Menschen? Was können Sie beispielsweise durch Kleidung über sie erfahren?

Die Kleidung ist das, was wir sofort wahrnehmen. Wenn man in der Lage ist, diese Zeichen zu übersetzen und sie zu interpretieren, dann erfährt man sozusagen auf den ersten Blick eine Menge vom Gegenüber. Gerade die Art, wie wir uns kleiden, ist eine sehr wichtige Form der nonverbalen Kommunikation. Es sind eben nicht nur die funktionellen Gründe, die unsere Wahl der Kleidung bestimmen, sondern wir wollen auch unsere Persönlichkeit damit ausdrücken, wir möchten anderen etwas über uns mitteilen. Manchmal sind wir uns dessen bewusst, oft geschieht es unterbewusst. Letzteres ist besonders wichtig, um andere Menschen verstehen zu können.



Erfahren wir mehr über sie, als wenn wir mit ihnen sprechen?

Ja. Hinter Worten kann man sich verstecken. Wie sie sich kleiden, wie sie ihre äußere Erscheinung stilisieren, das verrät oft mehr über andere Menschen als das, was sie sagen.



Was erzählt Ihnen die Kleidung über bekannte Designer, mit denen Sie zusammenarbeiten? Ist sie im Einklang mit deren Entwürfen?

Insgesamt gibt es da mehr Übereinstimmungen als Abweichungen. Nehmen Sie Richard Sapper, den deutschen Designer, der schon lange in Italien lebt und für uns unter anderem die Espressomaschine 9090 und den Wasserkessel mit den zwei Stimmpfeifen entworfen hat. Er trägt meist Jeans und kleidet sich bequem und unprätentiös, weil es ihm entspricht. In gewisser Weise ist auch seine Arbeit sehr unkompliziert und puristisch. Alessandro Mendini dagegen wirkt in seiner Kleidung dekoriert - wie seine Entwürfe als Designer und Architekt. Und Philippe Starck kleidet sich stets schwarz und demonstriert damit die Nähe zur Gothic-Kultur, die seine Arbeit beeinflusst.



Und wie ist es mit Giovannoni, der viele der verspielten Kunststoffobjekte entworfen hat, die das Bild der preisgünstigen "A di Alessi"-Kollektion geprägt haben?

Auch er kleidet sich stets dunkel. Aber er ist schwierig zu interpretieren. Auf den ersten Blick sieht er sehr trendy aus, er scheint ein typisches Mode-Opfer zu sein. Gleichzeitig hat sein Auftritt etwas Amüsantes: Stellen Sie sich einen Bären in einem Anzug von Yamamoto vor! Das ist seltsam und gleichzeitig weit weg von seinen Arbeiten als Designer. Ähnlich ergeht es mir in seinem Haus: Man erwartet viele Spielereien und Spaßiges, stattdessen aber ist es sehr schlicht und rechtwinklig. Giovannoni kann ich nicht lesen. Noch nicht.



Sie haben immer wieder Anstöße dazu gegeben, dass Alessi sich auf neue Betätigungsfelder wagt. Haben Sie schon mal über Mode nachgedacht?

Klar. Sogar sehr konkret. Aber die Familie fand es zu riskant. Ich kann das verstehen, weil Mode sehr weit von unseren üblichen Geschäftsfeldern entfernt ist. Und es hat keinen Sinn an etwas festzuhalten, wenn die anderen diese Leidenschaft nicht teilen. Trotzdem bedauere ich, dass wir es nicht versucht haben.



Sie sind Design-Chef bei Alessi und sehen sich selbst, wie sie einmal gesagt haben, als eine Art Galerist, der Kreativität von anderen erkennt und sie dem Markt zuführt. Die letzte Entscheidung im Familienunternehmen wird aber gemeinsam getroffen, und da sind Ihre Brüder und der Cousin, die zuallererst kaufmännisch denken müssen, in der Überzahl. Wie sehen Sie Ihre Rolle in dieser familiären Konstellation?

Ich bin der offizielle Träumer. Die anderen glauben mir, aber nur so weit, wie man einem Träumer Glauben schenken kann. Das heißt: Sie prüfen, ob meine Vorstellungen in der Realität bestehen können. Ich werde akzeptiert, aber meine Arbeit unterliegt einer strengen Kontrolle.



Sie haben sich zeitweise mit einer Theorie des italienischen Psychologen und Analytiker Franco Fornari (1921-1985) beschäftigt, der in Deutschland eher unbekannt ist. Fornari hat "die Sprache der Dinge" untersucht. Was ist Ihre Erkenntnis: Haben die Dinge eine eigene Sprache?

Ja. Meine Beschäftigung mit dieser Theorie hat vor allem in den 90er-Jahren viele meiner Entscheidungen beeinflusst. Ich bedauere, dass ich Fornaris Überlegungen nicht noch stärker in unsere Arbeit einbinden konnte. Die Sprache der Dinge ist für uns elementares Wissen. Nehmen Sie nur die Theorie der affektiven Codes, nach der sich in der Formensprache maternale, paternale und infantile Codes erkennen lassen. So etwas kann ein wichtiges Werkzeug für unsere Arbeit sein. Es erleichtert die Wahl des geeignetsten Designers für ein Projekt, und es kann diesem wertvolle Hinweise für die Gestaltung geben. Ein Beispiel dafür ist das erste Badezimmer, das Alessi konzipiert hat: Mithilfe der Theorie von Fornari haben wir begriffen, dass das klassische Bad hauptsächlich vom männlichen Code bestimmt wird. Bäder sind meist funktional und minimalistisch gestaltet, selten nur emotional oder gar poetisch. Ich verstand, dass Alessi das anders machen müsste. Wir haben daraufhin Giovannoni mit der Gestaltung beauftragt - einen Designer der weibliche und kindliche Codes, also sanftere und rundere und verspielte Formen, bevorzugt. Fornaris Theorie hilft uns, solche Entscheidungen zu treffen. Und sie macht uns deutlich, wie wichtig die Logik des Traums für unsere Entscheidungen sein sollte.