Am Montag um 17.44 Uhr ist der Sommer auf dem Kalender vorbei. Kein Grund zu verzagen. Denn der Herbst hält einiges Erquickliche für uns bereit.

Der Wind frischt auf, das satte Grün des Sommers bekommt morbide graubraune Spuren. Die ersten Blätter rieseln von den Bäumen, Vögel interessieren sich für die knallrot leuchtenden Beeren an den Ebereschen. Die Spinnennetze leuchten im zarten Silber der morgendlichen Tautropfen. Die Sonne geht dramatisch früher und weiter westlich unter. Auf der kleinen Terrasse unter unserem Balkon liegt ein in sich zusammengesunkenes Plastikschwimmbecken, die Gartenmöbel sind hochkant gestellt, Heerscharen von Schnaken haben ihr kurzes Leben ausgehaucht.

Der Sommer ist vorbei.

Am Montag um 17.44 Uhr - so steht es im Kalender - ist Herbstanfang. Salopp gesagt: Die Tage werden kürzer, Strümpfe, Jacken und Bremswege dafür länger. Der Duft von Sonnencreme und frisch gemähtem Gras weicht dem Aroma von Kerzenwachs und dem würzigen Geruch der Pilzwälder. Oder, mit Eichendorff gedichtet: "Nun lass den Sommer gehen, Lass Sturm und Winde wehen."

Was? Schon? Die Zeit der Tagundnachtgleiche teilt den von Jahreszeiten geprägten Mitteleuropäer in zwei Lager. Der eine denkt wehmütig an die verpassten Grillabende und Strandfeste zurück und trauert vielen ins Wasser gefallenen Fanfesten zur Fußball-Europameisterschaft nach. Der Herbst-Hasser seufzt nur: Jetzt! Wird's! Dunkel! Für ganz empfindsame Menschen beginnt schon im September der Winterblues, wenn Proteine den glücksbringenden Botenstoff Serotonin aus den grauen Zellen vertreiben.

Der aus dem anderen Lager, der sich von der Sommerhitze gestraft fühlt, hält die Farbenpracht des Indian Summer sowieso für die schönste Zeit des Jahres und liebt jenes "milde Sterben", das Nikolaus Lenau so einfühlsam beschrieb. Der Herbstliebhaber sammelt Kastanien, stellt einen Kürbis vor die Haustür und labt sich an Spaziergängen an menschenleeren Nord- und Ostseestränden. Sein Auge freut sich, wenn es nicht mehr an jeder Straßenecke unverdeckte Speckröllchen serviert bekommt.

Der Herbst ist mehr als die Zeit der Ernte, der Wein- und Bücherlese, des Pflaumenkuchens, des Vogelzugs und des Kuschelns. Angeblich verliebt man sich in den späten Monaten des Jahres besonders schnell - und romantischer als im Biergarten. Warum wohl nennt man den Herbst auch die "gemütliche Zeit"?

Deutschland im Herbst, das ist aber auch ein beklemmendes Gefühl, das von der Endzeitstimmung der großen Berliner Koalition und dem jetzt anlaufenden Film über die RAF-Zeit "Der Baader Meinhof Komplex" befeuert wird. Der heiße Herbst, den die Amerikaner in diesem Jahr schon in ihrem Wahlkampf haben, steht uns genau in zwölf Monaten ebenfalls bevor.

In einer älter werdenden Republik ahnen auch die Jüngeren, dass der "Herbst des Lebens" ein entscheidender Abschnitt sein wird. Für manche sogar ein zweiter oder dritter Frühling. Mit 72 kandidiert man noch für das Amt des US-Präsidenten. Mit 68 wird man noch einmal SPD-Vorsitzender. Und das Kino ("Wolke 9") zeigt uns, dass auch mit Silberhaar noch Zärtlichkeiten ausgetauscht werden dürfen.

Das Jahr flieht dahin. Genießen Sie das Licht des Herbstes und seine warmen Farben. Tanken Sie Kraft. Und ignorieren Sie den dünner werdenden Kalender. Denn schon in drei Monaten ist Weihnachten.